Harald Krassnitzer im Interview

"Bürger sind nur blöd, wenn man sie blöd macht"

von Eric Leimann

Harald Krassnitzer, der demnächst in der neuen ARD-Reihe "St. Josef am Berg" zu sehen ist, geißelt im Interview die gegenwärtige Politik der Deals als Sargnagel für die Demokratie.

Bei einer fiktiven Wahl zum beliebtesten Österreicher Deutschlands hätte Harald Krassnitzer sicherlich gute Chancen. Der 57-Jährige ist nicht nur "Tatort"-Kommissar in Wien, wo die Morde gerne härter als anderswo ausfallen. Man engagiert den Ehemann Ann-Kathrin Kramers auch für leichte, volkstümliche Stoffe wie die neue ARD-Reihe "St. Josef am Berg" (Freitag, 16. und 23. Februar, 20. 15 Uhr). Darin kämpft ein österreichischer Alpenpatriarch (Krassnitzer) gegen den Behauptungswillen seiner von der Ostseeküste zugezogenen Schwiegertochter (Paula Kalenberg).

Ein Gespräch mit dem überzeugten Sozialdemokraten Krassnitzer über das Zeitalter der "Deals" in der Politik und ein Demokratieverständnis, das unsere Zukunft gefährdet.

prisma: Die krassen Gegensätze zwischen Küsten- und Bergbewohnern, zwischen Österreichern und Preußen – gibt es die überhaupt noch?

Harald Krassnitzer: Sicher nicht mehr so deutlich wie früher. Wir spielen auch bewusst mit verschiedenen Klischees, aber ohne dabei jemandem zu nahezutreten. Was wir im Film zeigen, ist ein Generationenkonflikt zwischen Schwiegervater und Schwiegertochter. Zwei starke Charaktere prallen aufeinander: eine junge, moderne Frau gegen den Lokalpatriarchen alter Schule. Solche Patriarchen gibt es nicht nur in Österreich. Die kann man überall finden, an jedem beliebigen anderen Ort. Das sind Männer, die sich als Dorfkaiser sehen. Und Sie haben immer dieselbe Technik: Wenn man in so einem Ort landet, muss man erst mal dem "Silberrücken" gerecht werden.

prisma: Wo zeigt sich die Macht solcher Männer, wie Joseph Pirnegger im Film einer ist?

Krassnitzer: Joseph ist ein in die Jahre gekommener, eher traditionsbewusster Bürgermeister, der eine gewisse Schlitzohrigkeit, aber auch eine gewisse Liebenswürdigkeit hat. Er verfolgt seine ganz eigenen politischen Ziele, die nicht immer durchschaubar sind und sich auch nicht unbedingt nach der Interessenlage der Allgemeinheit richten. Seine Macht zeigt sich in unserer Geschichte zum Beispiel dadurch, dass er ein ganzes Tal zu einem Nationalpark umwidmen lassen möchte und dabei so seine Vorstellung hat, wer daran verdienen soll und wer eher nicht. Dabei zeichnet er ein ganz eigenes Bild – aus seiner eher konservativen Weltsicht.

prisma: Ist Ihr Heimatland Österreich ein besonders konservatives Pflaster?

Krassnitzer: In Österreich regierte seit 2006 eine große Koalition, die sich in den letzten Jahren eher gegenseitig behindert hat, als die Probleme der Menschen zu lösen. Bei der letzten Nationalratswahl haben sich die Österreicher und Österreicherinnen für die konservative Bewegung von Herrn Kurz entschieden und ihm sozusagen den Regierungsauftrag erteilt. Sebastian Kurz hat sich für eine Koalition mit der rechtspopulistischen FBÖ entschieden. Leider gibt es in dieser Partei immer wieder Menschen, deren verbale Entgleisungen an die dunkelste Zeit der österreichischen Geschichte erinnern oder in deren Umfeld Liedertexte auftauchen, die aufs Widerwärtigste und mit einer unglaublich zynischen, menschenverachtenden Art den Holocaust verherrlichen.

prisma: Solche Tendenzen gibt es nicht nur in Österreich ...

Krassnitzer: Leider müssen wir erkennen, dass es überall in Europa stärker werdende rechtspopulistisch Parteien gibt. Ich glaube nur nicht, dass sie die besseren Antworten haben für jene Probleme, die zu bewältigen sind. Demokratie ist ein sehr komplexer Prozess, der vor allem Zeit braucht.

prisma: In Ihrer Filmreihe denkt und handelt die junge Politikerin deutlich demokratischer als ihr traditionell aufgestellter Widersacher. Ist das auch in der Wirklichkeit so?

Krassnitzer: Nein, glaube ich nicht. Auch junge Politiker müssen lernen, dass man sich Demokratie erarbeiten muss. Vor etwas mehr als 100 Jahren sind Menschen noch ins Gefängnis gekommen oder gestorben, weil sie für etwas gekämpft haben, das wir als selbstverständlich erachten – das freie Wahlrecht. Paula Kalenberg spielt in unserer Geschichte die Schwiegertochter von Joseph Pirnegger. Diese junge Frau hat, als sie in das Tal der Pirneggers kommt, nichts mit Politik am Hut. Sie hat einfach nur einen sehr ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit und stellt sich diesem sturen alten Mann entgegen. So wird sie zur Politikerin. Zugegeben, bei uns hat das eher humorvolle Züge, und es geht fast immer gut aus. Ich bin aber überzeugt, dass es viele junge Menschen gibt, die mit einem sehr gesunden und kräftigen Gerechtigkeitsgefühl ausgestattet sind. Man findet diese engagierten jungen Leute nicht immer in den Parteien, weil sie sich anders organisieren.

prisma: Kritiker sagen, wir leben mittlerweile in einer Gesellschaft der Deals von Mächtigen – anstatt in einer richtigen Demokratie?

Krassnitzer: Deals sind zumindest ein wichtiger Teil der Politik, über den kaum gesprochen wird. Zum Beispiel: Jene Leute, die eben noch Flüchtlinge in ihren Booten von Afrika nach Europa brachten, schützen mittlerweile die Grenzen der EU. Es ist dasselbe Europa, dass sich der Förderung des afrikanischen Kontinents verschrieben hat. Das aber dennoch gewaltige Summen Entwicklungshilfe riesigen Agrarkonzernen überweist, damit diese nach ihrem Gusto dort tätig werden – aber eigentlich damit wieder nur Fluchtgründe schaffen. Überall auf der Welt finden wir Netzwerke und Verstrickungen, die uns merkwürdig erscheinen und für viele Menschen nicht mehr durchschaubar sind. Wir brauchen auf jeden Fall eine transparentere Politik.

prisma: Wie unterscheiden sich im Film die Methoden des alten Patriarchen und die der jungen Frau?

Krassnitzer: Svea, die Schwiegertochter von Joseph Pirnegger, praktiziert eine transparentere Politik. Sie lässt alle Einwohner des Rauriser Tales an dem Projekt Nationalpark teilhaben. Sie hat im Gegensatz zum Joseph Pirnegger verstanden, dass die wirkliche Kraft im kooperativen Handeln liegt.

prisma: Gibt es auch Situationen, in denen die Öffentlichkeit von geheimen Deals profitiert?

Krassnitzer: Ja, durchaus. Die Elbphilharmonie in Hamburg ist ein gutes Beispiel. Das Gebäude wäre nie gebaut worden, hätte man die wahren Kosten vorher deutlich gemacht. Die öffentliche Meinung hätte sich gegen diesen finanziellen Kraftakt gewendet. Jetzt steht das Ding, sieht fantastisch aus und ist auf Jahre ausverkauft. Die Touristen strömen nach Hamburg, plötzlich sind alle stolz und zufrieden. Es ist ein Bauwerk, das die Stadt in der internationalen Betrachtung auf ein anderes Level gehievt hat.

prisma: Es gibt also Entscheidungen zum Wohle der Allgemeinheit, die innerhalb demokratischer Strukturen nicht zu leisten sind?

Krassnitzer: Nein, ich glaube, wir müssen nur unsere demokratischen Techniken etwas erneuern. Die Bürger sind nur blöd, wenn man sie blöd macht. Man muss sie einbinden, man muss aufklären und sich manchmal für herausragende politische Ziel und Projekte einfach mehr Zeit nehmen. Man muss Dringlichkeiten vermitteln oder eben davon überzeugen, dass es einen Jahrhundert-Kulturtempel nicht eben für umsonst gibt.

prisma: Warum kann man heute keine unbequemen Wahrheiten mehr verkünden?

Krassnitzer: In den Jahren rund um Lehmann-Pleite und Euro-Krise haben wir durchaus sehr unangenehme Wahrheiten verkündet bekommen. Sogar solche, die alternativlos waren. Also stellt sich die Frage: Wo beginnt denn die Wahrheit? Dort, wo wir erfahren, wer für den Mist, der passiert ist, verantwortlich war und somit auch zu haften gehabt hätte? Oder dort, wo von uns erwartet wird, dass der Mist von uns weggeräumt, also bezahlt werden muss, weil etwas "zu groß, um zu fallen" geworden ist? Ich glaube, dass die Wahrheit dem Menschen zumutbar ist.

prisma: Was kann man dafür tun?

Krassnitzer: Man muss wieder mehr nach den Prinzipien einer Verantwortungsethik handeln und politische Abläufe transparent machen. Ich würde mir wünschen, dass Koalitionsfragen nicht nur hinter verschlossen Türen verhandelt werden. Dort wird unsere Zukunft besprochen. Ich wüsste gern, wo da Äpfel mit Birnen vertauscht werden. Ganz wichtig ist für mich, dass Menschen, die sehr viel Geld dafür bekommen, dass sie zum Beispiel für einen großen Konzern oder eine Bank arbeiten, verantwortlich sind. Diese Verantwortung müssen sie, wenn es darauf ankommt, auch übernehmen.

prisma: Sind Sie trotz dieser Erkenntnisse ein politischer Idealist geblieben?

Krassnitzer: Ja. Für mich ist ein Glas immer halb voll und nicht halb leer. Ich habe in meinem Beruf gelernt, dass wenn man etwas zum Erfolg bringen will, es im Wesentlichen über die Zusammenarbeit mit einem Team zum Erfolg wird. Gemeinsam kann man einfach mehr und Besseres erreichen. Daran sollte sich auch die Politik gelegentlich erinnern.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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