07.04.2025 ZDF verfilmt Buch

Stadtschreiberin Annett Gröschner im Interview: „Als Autorin schaffe ich Bilder im Kopf“

Annett Gröschner ist Stadtschreiberin von Mainz
Annett Gröschner ist Stadtschreiberin von Mainz Fotoquelle: Susanne Schleyer

Anfang April tritt Annett Gröschner ihr Amt als Mainzer Stadtschreiberin an. Sie hat außerdem die Möglichkeit, gemeinsam mit dem ZDF und 3sat einen Film nach freier Themenwahl zu produzieren. 

Frau Gröschner, Sie sind in diesem Jahr Stadtschreiberin für die Stadt Mainz geworden. Auf welche Themen möchten Sie den Fokus legen?
Annett Gröschner: Wenn ich an einen mir fremden Ort komme und dann eine Zeit dort verbringe, dann lasse ich mich auf den Ort ein. Auf den Alltag und die Menschen. Mich interessieren die öffentlichen Räume. Ich bewege mich immer in öffentlichen Verkehrsmitteln, bin überall auf der Welt mit der Linie 4 gefahren und habe darüber geschrieben. Mainz hat zwar schon lange keine Linie 4 mehr, aber ich werde viel mit der Straßenbahn fahren und Alltagsgeschichten sammeln. Ich werde in die Stadt eintauchen. Mir gefällt an Mainz auch die Verbindung zu Rhein und Main. Mich interessieren Flüsse, weil ich selber auf einer Flussinsel aufgewachsen bin, an der Elbe in Magdeburg. Schließlich kommt auch eine mir sehr wichtige Autorin aus Mainz: Anna Seghers.

Haben Sie als Stadtschreiberin besondere Aufgaben, die Sie erfüllen müssen?
Annett Gröschner: Es gibt viele öffentliche Termine, angefangen von der Preisverleihung. Ich werde bei der Johannisnacht auftreten und habe viele Lesungstermine in Buchhandlungen in und um Mainz sowie auf der Mainzer Büchermesse. An der Universität übernehme ich die Mainzer Poetikdozentur und bin in der Jury des Literaturförderpreises der Stadt Mainz, auch mit Schulen gibt es Kontakte.

Gemeinsam mit dem ZDF dürfen Sie außerdem einen Film realisieren. Haben Sie schon eine Idee, worum es dort gehen soll?

Annett Gröschner: Ich werde zusammen mit meinen Mitautorinnen des Buches „Drei ostdeutsche Frauen betrinken sich und gründen den idealen Staat“, Wenke Seemann und Peggy Mädler, unser Buch als Film weiterschreiben. In dem Buch geht es darum, was wir als Ostsozialisierte mitnehmen können an Erfahrungen, Werten und Überlegungen in eine ungewisse Zukunft. Wir betonen nicht das Trennende zwischen Ost und West, sondern das Gemeinsame. In unserem Buch gibt es am Ende den Vorschlag für eine Fortsetzung unter dem Titel „Drei ostdeutsche Frauen essen Bratwurst in der Provinz“. Diese Fortsetzung machen wir nun als Film.  Wir werden zu dritt mit dem Zug von Ost nach West durchs Land fahren und uns jeweils eine vierte Person an den Tisch holen. Menschen, die in der Provinz versuchen, in zivilgesellschaftlichen Projekten Wut, Gier, Hoffnungslosigkeit, Umweltzerstörung und Zwietracht etwas entgegenzusetzen. Ich habe bisher nur als Autorin für den Film gearbeitet und freue mich auf die kollektive Arbeit nach der Einsamkeit am Schreibtisch. 

Welches Genre schauen Sie besonders gern? Wer ist ihr Vorbild?

Annett Gröschner: Unter den Dokumentarfilmregisseuren mag ich besonders den kürzlich zu früh verstorbenen Thomas Heise, der wie kein Zweiter die ostdeutschen Transformationen dokumentarisch festgehalten hat. Ich mag auch Regina Schillings Dokumentationen, besonders Kulenkampffs Schuhe. Aber mein Lieblingsdokumentarfilm ist seit 40 Jahren Dziga Vertovs Mann mit der Kamera von 1929, in der er den Großstadtalltag mit revolutionären filmischen Stilmitteln eingefangen hat

Was glauben Sie, ist der Vorteil vom Film zum Buch? Oder ist der Unterschied gar nicht so groß?

Annett Gröschner: Ich würde das eine gegen das andere nicht ausspielen wollen. Als Autorin schaffe ich Bilder im Kopf. Bei einem Film werden Bilder gezeigt. Das ist eine Herausforderung.