05.05.2025 Fußballlegende Winfried Schäfer im Interview

"Die haben sich angeschaut und gedacht, der Schäfer spinnt"

Winfried Schäfer erzählt in seiner Autobiografie von unglaublichen Erfolgen, dem Wunder vom Wildpark und persönlichen Rückschlägen. Ein faszinierender Einblick in die Welt des Fußballs.
Hat als Trainer und Spieler Bundesliga-Geschichte geschrieben: Winfried Schäfer.
Hat als Trainer und Spieler Bundesliga-Geschichte geschrieben: Winfried Schäfer. Fotoquelle: Tom Ziora/Edel Sports

Winfried Schäfer ist eine der schillerndsten Spieler- und Trainer-Persönlichkeiten, die Deutschlands Eliteliga, die Bundesliga, hervorgebracht hat. In seiner Autobiografie „Wildpark, Scheichs und Voodoozauber“ (Edel Sports) blickt er nun auf seine lange Karriere zurück. prisma hat ihn anlässlich der Veröffentlichung gesprochen.

Sie blicken auf eine lange Karriere im Fußball zurück, und doch verbindet man mit Ihnen sofort „Das Wunder vom Wildpark“, als der KSC unter Ihrer Leitung 1993 den FC Valencia mit 7:0 besiegte. Ihre Autobiografie beginnt quasi direkt damit.

Winfried Schäfer: Das Beste kommt eben sofort am Anfang (lacht).

Werden Sie noch häufig auf das Spiel angesprochen?

Ja, denn das war wirklich ein Wunder. Aber wir haben das Wunder herbeigearbeitet, denn im Hinspiel, das wir auch 0:4 hätten verlieren können, machte Edgar Schmitt, unser Euro-Eddy, plötzlich ein 1:3. Da wusste ich, dass wir im Rückspiel in Karlsruhe eine Riesenchance haben. Das habe ich so auch auf der Pressekonferenz nach dem Spiel in Valencia gesagt. Da waren vielleicht fünf deutsche Journalisten, und die haben mich fassungslos angeschaut.

Das war ja nach diesem Spiel auch eine etwas überraschende Ansage von Ihnen.

Ich habe gesagt, wir gewinnen das Rückspiel und kommen weiter. Da ist denen erst einmal der Griffel runtergefallen. Die haben sich angeschaut und gedacht, der Schäfer spinnt. Der KSC hatte nach ihrer Meinung keine Chance, das Spiel zu gewinnen – außer diesem einen Tor. Und jetzt fängt der an zu träumen. Doch ich wusste, dass wir eine Chance haben, und das musste ich ja auch den Spielern vermitteln. Wenn ich auf der Pressekonferenz gesagt hätte, wir sind ausgeschieden, hätte ich erst gar nicht mehr nach Karlsruhe fahren müssen. Das war mein Anliegen damals. In der Presse wurde dann geschrieben, ich sei arrogant und es sei unverständlich, dass ich so etwas sage.

Wie ging es denn dann weiter, als Sie wieder in Deutschland waren?

Am Samstag haben wir dann erst mal beim VfB Leipzig verloren, das war wieder eine Katastrophe. Darüber habe ich kaum ein Wort verloren, denn das war so unnötig. Mit den Spielern habe ich nicht groß darüber gesprochen, wir waren voll auf Valencia fokussiert. Wir haben uns vorbereitet, ich habe Einzelgespräche geführt, in denen ich immer wieder gesagt habe, wir packen das! Ich war immer positiv und habe in der Mannschaftsaufstellung einen Wechsel vorgenommen. Ich habe auf der rechten Abwehrseite einen Stürmer aufgestellt. Im Zentrum brauchte ich keinen Stürmer, denn da hatten wir Kiki (Sergei Kiryakov) und Edgar (Edgar Schmitt). Ich brauchte da jemanden, der gut flanken kann und auch ein guter Kopfballspieler ist.

Das war schon ein wenig eine Harakiri-Aufstellung, oder?

Ja, das stimmt. Und dann durfte ich vor der Partie nicht in die Kabine wegen einer lächerlichen Sperre von der UEFA. Ich habe mich aber reingeschlichen. Ich konnte damals von meinem Büro aus direkt zur Spielerkabine gelangen. Da habe ich mich hingesetzt und mit den Jungs geredet. Dann kam noch Berti Vogts rein, der damals Bundestrainer war. Der sagte zu den Jungs: 2:0, das reicht. Als er raus war, sagte ich: „Mist mit dem 2:0, geht einfach voll drauf.“

Die Spieler waren also heiß?

Absolut. Ich habe ihnen gesagt, attackiert sofort. Wolfgang Rolff war damals der Käpt’n, und ich habe ihn beauftragt, den Spaniern den Ball beim Anstoß zu überlassen. „Und dann, bevor der Schiri anpfeift, geht ihr mit zwei Spielern direkt in den Mittelkreis, damit er zurückpfeift, damit die Zuschauer wissen, was hier abgeht.“ Man muss sich das vorstellen, die Zuschauer haben am Stadion übernachtet, um Karten zu bekommen. Es durften ja nur knapp 25.000 Karten verkauft werden wegen der vielen Stehplätze im Wildpark. Die Jungs sind dann total motiviert raus aus der Kabine, und ich habe mich rausgeschlichen. Vorher hatte ich dem Zeugwart gesagt: „Du, pass auf, wenn der UEFA-Mann kommt, der kommt ja bestimmt gleich mal gucken, rufst du.“ Und dann hat er geschrien: UEFA, UEFA, und ich habe mir die Decke über den Kopf geworfen und bin durch die Hintertür raus in meinen Raum (lacht).

Und dann ging es auf den Platz.

Da gab es so eine Kunststoffröhre, durch die alle Spieler mussten. Da haben die Jungs dagegen gekloppt und geschrien. Oliver Kahn und Dirk Schuster haben dann die Gegenspieler angerempelt. Die waren ja damals Tabellenführer in Spanien und müssen gedacht haben, was ist denn mit denen los? Sind die bekloppt? Dann kam der Anpfiff. Kiki und Wolfgang Rolff liefen schon vorher rein, der polnische Schiri pfiff zurück, aber im Stadion gab es eine Explosion.

Und dann lief eigentlich alles für den KSC.

Man darf aber auch nicht vergessen, dass Oliver Kahn damals zwei Dinger von Valencia gehalten hat, die hält sonst keiner. Und dann geht ein Schuss der Spanier an den Innenpfosten und hüpft auf der Linie entlang, ohne reinzugehen. Dirk Schuster hat dann gerettet. Und warum ist der nicht reingegangen? Weil die Kreide einen kleinen Hubbel gebildet hat, über die der Ball nicht rollen konnte. Es war also auch Glück dabei, der absolute Wahnsinn.

Aber es war auch Ihre Taktik, die für den Erfolg gesorgt hat.

Darauf bin ich auch ein wenig stolz, denn die Taktik war in diesem Spiel entscheidend. Wir hatten damals aber auch eine Wahnsinnsmannschaft. Das Spiel gewannen wir durch Mentalitätsstärke, aber auch durch meine Taktik.

Leider hatte aber auch diese Geschichte irgendwann ein Ende, das für Sie persönlich gar nicht „happy“ war. Sie wurden dann 1998 in Karlsruhe entlassen. Stimmt es, dass Sie den Verantwortlichen damals vorausgesagt haben, dass der KSC bis in die dritte Liga absteigen wird?

Ich habe auf die Tafel im Besprechungsraum geschrieben: Nationalmannschaft – Bender, Rolff, Nowotny, denn die waren alle von Berti Vogts zum Lehrgang eingeladen. Ich habe gesagt: Wenn ich entlassen werde, wird die Mannschaft absteigen, und sie werden in die dritte Liga absteigen. Da haben die Verantwortlichen nur gegrinst. Doch es ist so gekommen.

Aber Genugtuung haben Sie da nicht gefühlt, oder?

Nein, das war Trauer. Ich hatte vorher so ein tolles Verhältnis zum KSC, zu Roland Schmider, dem Präsidenten. Wir waren befreundet, unsere Familien waren befreundet. Es gab immer einen Zusammenhalt, das war das Wichtigste, das hatte ich noch aus meiner Zeit in Mönchengladbach gelernt. Das habe ich dem Präsidenten auch gesagt: Wenn du der Meinung bist, ich bin nicht mehr der richtige Trainer, lass uns zusammensetzen, dann finden wir eine Lösung. Und was hat er gemacht? In seinem Wohnzimmer saßen die Spieler, die ausgesuchten Spieler, und haben über den Trainer gelästert. In dem Moment, glaube ich, hast du keine Chance mehr. Dann bist du als Trainer kaputt. Dann kam es ja auch so. Das Schlimmste war dann folgende Situation: Ich fahre aus dem Stadion, die Entscheidung war gerade gefallen, und wer kommt mir entgegen? Jörg Berger. Der hatte auf dem Parkplatz gewartet, bis ich fertig war, ist aber zu früh losgefahren. Der kam mir entgegen und hat noch gewunken. Er hat dann nachher angerufen, sich entschuldigt. Aber Sie müssen sich das mal vorstellen. 10, 11 Jahre Arbeit, ich habe den Verein aus dem Nichts zu einem Top-Verein in Europa gemacht, und dann kommt mir der neue Trainer entgegen. Das war das Schlimmste. Ob die mich jetzt entlassen, das spürt man ja irgendwann. Aber das war das Schlimmste.

Selbst nach so vielen Jahren schmerzt Sie das immer noch?

Ja, denn ich hätte zwischendurch zu den Bayern gehen können. Warum habe ich das nicht gemacht? Ich hatte auch ein Angebot von Borussia Dortmund, eines vom FC Köln. Das habe ich alles nicht angenommen, weil ich in Karlsruhe bleiben wollte.

Hatten Sie die vielen Anekdoten, die Sie in Ihrem Buch schildern, noch parat, oder haben Sie damals Tagebuch geführt?

Ich hatte das alles noch parat. Ich habe ein gutes Gedächtnis. Ich kann mich auch noch an den Moment erinnern, als der KSC abgestiegen ist. Meine Kinder waren bei Freunden, und meine Frau und ich sind ins Elsass gefahren. Das war damals das letzte Spiel in Rostock, und ich wollte das nicht mitbekommen. Wir waren im Hotel, haben etwas Schönes gegessen, und dann kam natürlich die Meldung, dass wir verloren haben und abgestiegen sind. Aber ich habe mich nicht gefreut, glauben Sie mir.

Sie waren vielmehr traurig, oder?

Ich war enttäuscht, ja.

Über Sie wird ja der Spruch kolportiert, dass Sie einmal nach Hause gekommen sind und Ihre Frau Sie fragte: Was machst du denn hier? Da haben Sie gesagt: Ich wohne hier.

Ja, das war an dem Tag, an dem ich entlassen wurde (lacht).

Gibt es Ihre berühmte Roma-Lederjacke eigentlich noch?

Die hängt hier, und ich blicke gerade darauf. Die könnte ich eigentlich versteigern, oder?

Oder einem Museum geben. Vielleicht dem KSC? Passt die denn noch?

Doch, doch.

In Ihrem Buch schreiben Sie im Schlusswort ein wenig über die Situation der Trainer von heute und ziehen Vergleiche zu Ihrer Zeit. Sie kommen dann zum Fazit, dass die Chemie zwischen Trainer und Mannschaft nach wie vor entscheidend ist, trotz Laptop-Trainer, neuer Taktik usw.

Das ist nach wie vor das Entscheidende. Und dass man den Spielern das Gefühl gibt, sich um sie zu kümmern. Als Sportdirektor von Ghana pflege ich das nach wie vor, auch wenn ich unserem großartigen Trainer Otto Addo nicht reinrede. Aber ich kontaktiere die Spieler per WhatsApp, frage gelegentlich, ob alles passt. Das kommt gut an.