11.08.2025 Im Interview

John McLaughlin: "Es war eine magische Nacht"

John McLaughlin meldet sich mit „Live at Montreux Jazz Festival 2022“ zurück. Das Live-Album fängt einen ganz besonderen Abend während des legendären Jazz-Festivals ein, an dem der Brite mit seiner Band „The 4th Dimension“ auftrat. Im Interview spricht die Legende über das neue Album, seine Einflüsse und die stilprägende Arbeit mit Miles Davis.
John McLaughlin bei seinem Auftritt 2022 in Montreux.
John McLaughlin ist ein Virtuose. Sein Auftritt in Montreux 2022 zeigte dies einmal mehr. Fotoquelle: Lionel Flusin

prisma: Sie sind seit den frühen 70ern immer wieder in Montreux aufgetreten. Was ist das Besondere an dem Festival, und was zieht Sie immer wieder dorthin zurück?

John McLaughlin: Ich freue mich immer, in Montreux aufzutreten. Mein erster Auftritt dort war 1971. Das Festival gibt es seit 1967, und anfangs war es nur ein Abend. Dann wurden es zwei, dann drei, und jetzt dauert es zwei Wochen. Es ist sicher eines der größten Festivals der Welt, vielleicht sogar das beste. Es gibt ein tolles Jazzfestival in Montreal, aber Montreux hat mich seit den 1960ern fasziniert. Die Idee eines reinen Jazzfestivals war großartig, und Claude Nobs hat das hervorragend umgesetzt. Die Atmosphäre dort ist immer wunderbar.

Spüren Sie dort immer noch Claude Nobs’ Vision? Besonders im Vergleich zu den 1970ern?

Natürlich hat es sich verändert, aber Montreux ist nach wie vor einer der schönsten Orte, direkt am Genfersee gelegen, im Hintergrund das Alpenpanorama. Ich fahre seit 30 Jahren mit meiner Familie dorthin, auch wenn ich nicht spiele, um Freunde zu treffen. Früher besuchte ich dort Claude, der in einem kleinen Dorf in den Bergen lebte, etwa 800 bis 900 Meter hoch. Wir wanderten tagsüber und genossen abends die Konzerte. Aber seit Covid hat sich viel verändert, und ich toure in den Sommermonaten nicht mehr, um Zeit mit der Familie zu verbringen.

Die Aufnahme Ihres neuen Live Albums stammt vom 11. Juli 2022. Was war an dieser Nacht so besonders?

Es war eine großartige Nacht. Bands haben gute und schlechte Tage, ohne dass man den Grund kennt. Diese Nacht war magisch – etwas, das man nicht kontrollieren kann. Es war, als käme ein besonderer Geist in die Musik. Ich bin froh, dass dieser Auftritt aufgenommen wurde, denn ich habe viele Alben veröffentlicht, aber diese Nacht war etwas Besonderes. Es war wie ein Geschenk.

Wie haben Sie die Songs für die Aufnahme ausgewählt, besonders im Hinblick auf Jany McPherson?

Jany McPhersons Mitwirkung hatte großen Einfluss. Sie spielt Klavier, singt Harmonien und Melodien unisono mit meiner Gitarre – das war wunderschön. Ihre einzigartige Stimme und ihr Klavierspiel beeinflussten die Auswahl. Ich wählte Stücke mit Melodien, die mit ihrer Stimme harmonierten, statt reinem Fusion-Material. Es war das erste Mal, dass sie mit mir tourte, und ihre Präsenz war ein Highlight. Die Aufnahme wurde live gestreamt, und Freunde aus den USA riefen an, um zu fragen, wer sie sei.

Sie ist wirklich eine außergewöhnliche Künstlerin. Interessant ist, wie Sie sich nach wie vor von anderen Künstlern inspirieren lassen. Das fing ja früh an. Gibt es besondere Kollaborationen, die Ihre Karriere als Künstler geprägt haben?

Als ich 16 war und Miles Davis entdeckte, hatte ich bereits einiges hinter mir. Ich begann als klassischer Klavierspieler und spielte bis zu meinem elften Lebensjahr Klavier. Gleichzeitig brachten meine Brüder Blues-Schallplatten mit nach Hause, und so hörte ich Künstler wie Muddy Waters, Howlin’ Wolf, Lightnin’ Hopkins, Robert Johnson, Son House – die großen Blues-Sänger aus Mississippi. Die Gitarre wurde für mich eine Offenbarung und eine Revolution. Schon da hatte ich zwei starke Einflüsse: die klassische Musik, die ich immer noch liebe – ich habe sogar zwei Stücke für Gitarre und Orchester komponiert, denn ich bin ein westlicher Musiker – und der Blues, der mich faszinierte. Mit 15 führten mich meine Brüder zur Flamenco-Musik, die einen enormen Eindruck auf mich machte, obwohl ich nicht genau weiß, warum. Sie übernahmen meine musikalische Erziehung, indem sie verschiedene Aufnahmen mitbrachten. Nach dem Flamenco kam Django Reinhardt – mit 15 war ich plötzlich einem phänomenalen Gitarristen ausgesetzt, der mit nur zwei Fingern spielte. Das war unglaublich, fast übermenschlich. Durch Django entdeckte ich Jazz, und 1958, mit 16, hörte ich Miles Davis’ „Milestones“, was mein Leben erneut veränderte. Mit 16 gab es für mich keine Grenzen mehr – diese kulturellen Wellen trafen mich wie Tsunamis. Bis ich 18 war, wollte ich Jazzmusiker werden, was mich völlig in seinen Bann zog. Doch ich konnte davon nicht leben. Stattdessen spielte ich 1960 und 1961 in Rhythm-and-Blues-Bands. Dann kam Motown 1962 und 1963 – unglaubliche, großartige Musik. 1965 brachte James Brown eine weitere Revolution, er war ein Künstler für sich.

Und dann trafen Sie auf Miles Davis, Ihren Helden. Wie war die persönliche Arbeit mit ihm?

Er war mein Held, ein Unikum, der den zeitgenössischen Jazz seit 1958 prägte. Miles liebte seine Musiker. Ich kam eigentlich nach Amerika, um mit seinem Schlagzeuger Tony Williams zu spielen, aber landete sofort im Studio mit Miles, weil Tony bei ihm war. Tony wollte die Band damals verlassen, was Miles nicht verstehen konnte. Weil ich Tony treffen wollte, wollte er wissen, wer denn dieser Typ aus Europa ist. Wer ist dieser Gitarrist? Es war, als wüsste er meinen Namen schon, bevor ich ihn überhaupt traf. Es war mein erster Abend in Amerika, und ich treffe Miles Davis in diesem Club. Er geht an mir vorbei und sagt in seiner rauen Stimme: „John“. Ich wäre vor Ehrfurcht fast im Boden versunken. Aber so war er eben. Nach „In A Silent Way“, meiner ersten Platte, die ich mit ihm aufnahm, hatte ich diese Art der Feuerprobe bestanden, und er lud mich häufig zu sich nach Hause ein, mit meiner Gitarre, nur um über Musik zu sprechen und zu spielen. Eines Tages brachte er mich zur Tür und steckte mir einen 100-Dollar-Schein in meine Hemdtasche und sagte: „Mann, iss was, zahl deine Miete.“ Das war typisch für ihn. Sein Klang war wunderschön, und ich arbeite noch daran, das zu erreichen (lacht).

Ihr Gitarrensound ist auf „In A Silent Way“, „Jack Johnson“ und „Bitches Brew“ essenziell. Ich würde sogar sagen, genauso wichtig wie der Trompetensound.

Das ist ein großartiges Kompliment, danke! Wie gesagt, ich arbeite noch daran.

„Jack Johnson“ ist eines meiner Lieblingsalben.

Soll ich Ihnen eine kleine Geschichte zu „Jack Johnson“ erzählen? Wir waren im Studio – Herbie Hancock, Joe Zawinul, Michael Henderson, und Billy Cobham, der neue Drummer. Ihn traf ich dort zum ersten Mal, wir freundeten uns später an und nach den Jack-Johnson-Sessions fragte ich ihn, ob er dem Mahavishnu Orchestra beitreten wollte. Miles bringt normalerweise einige grobe Akkorde mit, einige sehr lose Notizen, aber diesmal hatte er gar nichts dabei. Nach 15 Minuten begann ich, mich zu langweilen und spielte einen Shuffle. Und der wurde der Eröffnungstrack des Albums. Billy sprang ein, dann Michael, und wir fanden einen Groove. Miles kam mit seiner Trompete reingerannt und spielte eine unglaubliche acht- bis neun-minütige Improvisation. Er spielte wie ein Gott.