Krimi mit Nicholas Ofczarek

Tatort Frankfurt: Nolte schafft sie alle

08.04.2016, 16.11 Uhr
von Detlef Hartlap
Der verurteilte Mörder Alexander Nolte (Nicholas Ofczarek) ist wieder auf freiem Fuß.
BILDERGALERIE
Der verurteilte Mörder Alexander Nolte (Nicholas Ofczarek) ist wieder auf freiem Fuß.  Fotoquelle: HR/Bettina Müller

"Die Geschichte vom bösen Friedrich" in der Regie von Hermine Huntgeburth hat das Zeug zu einem Klassiker der Tatort-Geschichte.

Aus dem Struwwelpeter sind uns die Verse im Ohr:

Der Friederich, der Friederich
Das war ein arger Wüterich
Er fing die Fliegen in dem Haus
Und riss ihnen die Flügel aus.
Er schlug die Stühl' und Vögel tot,
Die Katzen litten große Not.
Und höre nur, wie bös er war:
Er peitschte, ach, sein Gretchen gar!

Und nun taucht er leibhaftig wieder auf. Gleich zu Beginn, wenn wir ihn zu den Klängen von Rammsteins "Asche zu Asche" ekstatisch zucken sehen, dürfen wir als Zuschauer sicher sein: Dieser Kerl ist böse. Aber wie böse, das verschlägt einem dann doch die Sprache, um gleichzeitig eine widerwillige Faszination auszuüben.

Bei diesem Tatort aus Frankfurt, Die Geschichte vom bösen Friederich, handelt es sich um ein Ein-Personen-Stück mit starken Nebendarstellern. Der Typ, um den sich alles dreht, und das nur, weil er will, dass sich alles um ihn dreht, ist ein als Paul Nolte wiedergeborener Friederich und wird vom Wiener Burgschauspieler Nicholas Ofczarek mehr als nur dargestellt: Er lebt ihn aus.

Überragend, spannend, deprimierend

Das gibt diesem in allen Belangen überragenden, spannenden, deprimierenden Tatort eine ganz außergewöhnliche Note. Oczareks Alexander Nolte ist ein Sadist, einer, der lebenslänglich bekommen hat, weil er aus nichtigem Anlass seine Freundin ertränkte, nach 19 Jahren aber als therapiert gilt. Er ist ein freier Mann, der in einem Dentallabor Anstellung gefunden hat. Er durchstreift ein Frankfurt, das dem Auge nicht das geringste Zückerchen gewährt, ein dunkles Loch voll unerfüllter Sehnsüchte.

Trostlos die Stadt. Trostlos Noltes Gedankenwelt. Neben seiner Fixiertheit auf Rache und Geilheit kennt er nichts, das Dumme ist nur: Seine Umgebung merkt es ihm nicht an. Nicht so bald. Nolte ist ein (kleines) Genie der Verstellung. Wäre er es nicht, hätte man ihn nie auf freien Fuß gelassen.

Dies ist nicht der Ort, um nachzuhalten, wen Nolte alles umbringt in diesem Film oder wen er umzubringen sich vorstellt. Auch wollen wir nicht aufzählen, wen er vergewaltigt oder zu vergewaltigen versucht bzw. mit wem er Vergewaltigungen imaginiert.  

Die bürgerliche Verzagtheit in Person

Interessanter ist, wie Nolte die Menschen in seiner Umgebung manipuliert. Er gibt sich charmant und ist zugleich widerwärtig penetrant. Er ist die bürgerliche Verzagtheit in Person und verkommen in seiner Triebhaftigkeit. Er ist schüchtern wie ein Konfirmand vor dem ersten Abendmahl, und mehr noch als alles andere ist er das Opfer einer aggressiven, ihm nicht wohlgesonnenen Umgebung.

Auf Letzteres kommt es an: Nolte weiß jede Situation, und sei sie für ihn und seine finsteren Absichten reichlich eng geworden, durch eine improvisierte Erzählung aus dem Feuer zu reißen. Er ist der Held des Narrativs und als solcher ein Schuft von großem Kaliber.

Nolte bringt es fertig, dass man sich ausgerechnet mit seiner Hilfe von seinen Untaten entspannt. So schüttelt er sich den allfälligen Psychologen-Talk mit einer Mischung aus Parodie und verfolgter Unschuld aus dem Ärmel: Er sei Produkt eines One-Night-Stands, vom Stiefvater geprügelt, Mutter Nymphomanin mit ewig schlechtem Gewissen usw.

Dieser Nolte/Ofczarek ist eine singuläre Erscheinung in der Geschichte des Tatorts.

Ursina Lardi spielt, wie immer brillant, die dem Ungeheuer sexuell verfallene Psychotherapeutin. Sabin Tambrea gibt Noltes Arbeitgeber, dem die Vergangenheit seines Schützlings bewusst ist und der seinem Arbeitseifer durchaus skeptisch gegenübersteht. Und doch setzt er sich – ein Höhepunkt der Nolte'schen Menschenmanipulation – energisch für eine von der Polizei unbeschnüffelte Resozialisierung ein.

Die Kommissare Janneke und Brix (Margarita Broich, Wolfram Koch) geben in ihrem dritten Fall das bisherige, von tiefem gegenseitigen Misstrauen geprägte Katz-und-Maus-Spiel auf, was ihr Spiel ein wenig runder und angenehmer macht. Gegen Nolte/Ofczarek anzustinken, das ist hier nicht ihre Aufgabe. Er spielt mit ihnen, auch wenn sie nicht spielen wollen. Roeland Wiesnekker als Kommissariatsleiter darf winzige Kostproben seines Clownstalents abliefern und bleibt ansonsten im unteren Anforderungsbereich.

Eine neue Dimension des Unheimlichen

"Die Geschichte vom bösen Friederich" ist in der fast 1000 Folgen währenden Historie des Tatorts auch insofern interessant, als sie dem Unheimlichen eine neue Dimension verleiht. Die von einigen Kritikern hochgelobte Folge "Borowski und der stille Gast" vom September 2012, bei dem sich ein Paketbote (Lars Eidinger) Zugang zu Wohnung und Leben alleinstehender Frauen verschafft, war bisher der "Psycho" unter den Tatorten.

Doch litt er unter den vielen Unwahrscheinlichkeiten, mit denen sich der überschätzte Krimi- und Tatort-Autor Sascha Arango notorisch behilft; man erinnere sich an "Borowski und der Engel", wo die Katze einer Krankenpflegerin zielgenau dafür sorgt, dass ein SUV außer Kontrolle gerät und exakt den richtigen Typen auf der anderen Seite der Straße überfährt.

Hier im Buch von Volker Einrauch und unter der vorzüglichen Regie von Hermine Huntgeburth geht alles seinen bisweilen schmerzlich logischen Gang, der in eine abgründige Erlösung führt. Der Film, der mit der Trilogie einer Liebesnacht anhob (bei Nolte natürlich animalisch, für Brix befriedigend, für Janneke weniger) klärt gleichsam im Vorübergehen (Dialoge finden in Krimis vorzugsweise im Gehen statt), warum Kriminalkommissare kaum glückliche Beziehungen führen können. "Wer will schon", meint Brix, "mit einem wie uns zusammenleben."

Dazu passt die vorzügliche Filmmusik, für die neben Rammstein, Mozart und Bach die Komponistin Christine Aufderhaar und das Sinfonie-Orchester des Hessischen Rundfunks verantwortlich sind.

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