Krimi im Ersten

Tatort München: Mia san mia!

01.04.2016, 11.25 Uhr
von Detlef Hartlap
Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) sind bereits seit 25 Jahren im Dienst.
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Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) sind bereits seit 25 Jahren im Dienst.  Fotoquelle: BR/Roxy Film GmbH/Regina Recht

Wie nach 25 gemeinsamen Dienstjahren nicht anders zu erwarten, kennen sich Leitmayr und Batic inzwischen recht gut. Vor Irrtümern bewahrt sie das nicht.

25 Jahre sind eine Zeit, die weit in andere Fernsehsitten zurückreicht. Bei den Langzeitkommissaren aus München lässt sich das schon daran erkennen, dass sie immer noch fest im alten Sendereihen-Schema des Tatorts verhaftet bleiben: neuer Fall, dieselben Charaktere, keine Entwicklung.

Während sich die Menschen andernorts ändern, dazulernen und in neuen privaten Konstellationen auftauchen (siehe Dortmund oder Berlin), hat es bei Leitmayr und Batic (Udo Wachtveitl, Miroslav Nemec) in 25 Jahren nie einen Perspektivwechsel gegeben. Oder falls doch, wäre er nur unter dem Mikroskop auszumachen. Der neue Fall heißt Mia san jetzt da wo's weh tut, aber für die Kommissare gilt wie schon immer: Mia san mia!

Die Fälle werden in bewährter Manier abgespult, mal sind sie besser, mal nicht so gut, mal sind sie originell, mal etwas schlicht. Völlig missglückt waren sie allerdings selten, das muss man den Münchnern konzedieren. Die Helden sind grauer und runzliger geworden, aber sie bleiben die Comic-Strip-Charaktere. "Frau Bu lacht" (Regie Dominik Graf) gilt als eine der besten Tatort-Folgen überhaupt. Auch "Im freien Fall" (mit Jeanette Hain), bei dem es um Kunsthandel und seine Schwester, das Kunstfälschen, ging, wusste zu gefallen; und die Dürrenmatt-Anlehnung "Der tiefe Schlaf" mit Fabian Hinrichs als kurzzeitigem Kollegen der Münchner Ermittler sorgte für einen veritablen Hype in den digitalen Medien, aber was sorgte nicht dafür ...

25-jähriges Dienstjubiläum für Leitmayr und Batic

"Ich meine, wie lange machen wir das hier schon?", fragt Leitmayr in einer der sparsam gesetzten Anspielungen auf das silberne Dienstjubiläum.

Seit 25 Jahren macht ihr das, Freunde! Und weil ihr es mit Mord und Verbrechen in tausenderlei Spielarten zu tun habt, stellt sich jene déformation professionelle eher selten ein, die man Routine nennt und die alle Neugier schleift.

In diesem Fall aber doch. Ein Mord im Prostituiertenmilieu, ein Geständnis, ein Urteil: "lebenslänglich". Wie schön, dass es auch mal einfach geht! Was sich indes als falsch erweist. Max Färberböck, der zusammen mit Catharina Schuchmann das Drehbuch geschrieben und Regie geführt hat, setzt den Gefahren der Berufskrankheit Routine in diesem Film ein liebenswertes Memoriam.

Die Hauptrolle spielt folgerichtig – die Vergangenheit. "Wie lange kennen wir uns schon?", fragt der Bordellbetreiber Harry (Robert Palfrader) den unvermutet bei ihm reinschneienden Ivo Batic. "100 Jahre", antwortet der. Es ist alles verdammt lang her. Einst waren sie Freunde, haben gemeinsam Fußball gespielt. Wenn Harry zur Feier des Tages eine Flasche entkorkt, dann handelt es sich um einen Rotwein, "der hat oan Abgang länger als wia Woch'n".

Gemeinsame Vergangenheit kann blind machen. Wo Batic aus alter Kumpanei unter Beißhemmung leidet, sieht Kollege Leitmayr in dem aus Südtirol zugewanderten Harry nur "einen ganz ordinären Fotzentreiber". Aber ist er deshalb auch ein Mörder?

Natürlich sind Leitmayr und Batic ein altes Paar geworden. Wenn der eine Bauchweh hat, spürt das auch der andere. Batic gefällt das "lebenslänglich" nicht, er lässt sich noch mal die Akten raussuchen. Leitmayr fährt auf: "Soll das jetzt heißen, wir haben da was übersehen?" Aber durch Lautstärke verscheucht der Irrende die Wahrheit nicht, und Leitmayr ahnt, dass Batic Recht haben könnte.

Vielleicht wäre es ein – dem Jubiläumsanlass entsprechend – schöner altmodischer Tatort geworden, wenn sich die Kommissare mit gebotener Sorgfalt dem Aufrollen eines Irrtums gewidmet hätten, eines Irrtums immerhin, der zu einem falschen Gerichtsurteil führte. Offenbar reicht das heute nicht mehr für einen Tatort; oder wird als nicht mehr ausreichend angesehen.

Ein Tatort hat Zeit und nimmt sich Zeit für nichts

Die Geschichte einer Männerrunde in fortgeschrittenem Zustand und noch dazu in heilloser Übermacht den nur zu Spielzwecken anwesenden Frauen gegenüber. Solche Situationen enden schrecklich, bisweilen tödlich. Und die Ermittlungen landen, das gehört wohl in die Kategorie "wahre Klischees", früher oder später in nobler Gesellschaft. Auch das ergäbe für sich allein einen wunderbaren Film, wenn man sich die Zeit nähme, die Charaktere auszuleuchten statt nur anzudeuten. Ein Tatort hat 90 Minuten Zeit und nimmt sich Zeit für nichts. Außer für Andeutungen.

So werden die interessanten Aspekte des Stoffs lediglich angeschnitten, im Grunde nur gestreift. Für die durchaus lohnenswerte Psychologie des Wiederauftauchens sorgsam verschütteter Wahrheiten, auf deren Versiegelung, fast wie ein Grabstein, ein Gerichtsurteil gesetzt wurde, gönnt sich der Film keine Zeit.

Denn leider haben sich Färberböck/Schuchmann zu einer Zweitgeschichte hinreißen lassen, dem üblichen jungen Desperado-Paar auf der Flucht (Nicole Mercedes Müller und Max von der Groeben), das zwischen Hoffnung und Verzagtheit hin- und hergerissen wird und zu spät merkt, dass es eigentlich nie eine Chance hatte.

So wird dieser Tatort, der starke Szenen und Momente hat, ein wenig unter seinem eigenen Wert enden. Zu viele Leute sind am Ende erschossen worden, zu viele Leute liegen halbtot im Krankenhaus, weit und breit kein verbrecherischer Zyniker, der, wie in jedem wirklich guten Krimi, mit einem blauen Auge und einem Grinsen um den Mund davonkommt.

Zum Dienstjubiläum legt die Gerechtigkeit ein Leichentuch über eine schamlose Männergesellschaft – womit alles gelöst scheint, aber nichts erledigt ist.

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