Die Kommissare Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Schenk (Dietmar Bär) ermitteln im Fall einer ermordeten Mitarbeiterin des Jugendamts, die zahlungsunwilligen Eltern auf die Füße trat. Die Ermittler stoßen in ein Wespennest aus kaputten Beziehungen und leidenschaftlichem Hass, wo einst Liebe war.
"Und alle haben sich mal so geliebt", konstatiert Max Ballauf (Klaus J. Beherndt) am Ende des Krimis "Tatort: Niemals ohne mich" mit Blick auf die geschlossene Würstchenbude der Ermittler und den Rhein während der Nacht. Als ob es dieses Symbols der Vergänglichkeit noch bedurft hätte, denn in den knapp 90 Minuten zuvor hat man diversen zerrütteten Familien, Unterhalts-Geld-Tricksern und vor allem sich leidenschaftlich hassenden Menschen zugesehen. Jugendamts-Mitarbeiterin Monika Fellner (Melanie Straub) sieht man am Anfang noch lebendig. Zum Beispiel, als sie den aufbrausenden Proletarier Stefan Krömer (Gerdy Zint) auf einem Hochhausdach besucht, wo der keinen Unterhalt zahlende Vater einer kleinen Tochter bei der Schwarzarbeit erwischt wird. Wutentbrannt hätte Krömer vor den Augen Jugendamts-Kollegin Ingrid Kugelmaier (Anna Böger) Monika Fellner in dieser Szene fast schon getötet. Doch war er es auch, der kurze Zeit später die Sachbearbeiterin tatsächlich erschlagen hat?
Feststeht: Monika Fellner hatte viele Feinde. Das finden Ballauf und Kollege Freddy Schenk (Dietmar Bär) nun heraus. In der Wohnung des allein lebenden Opfers Ende 30 finden sich Überwachungsfotos und Akten. Es sieht aus wie bei einem Privatdetektiv. Fellner hatte wohl einen Gerechtigkeitsfimmel. Sie war unerbittlich, wenn es um getrennte Eltern ging, die nicht für ihre Kinder aufkommen wollten.
Der "Tatort: Niemals ohne mich" zeigt Eltern – Männer wie Frauen – die sich alles mögliche zurechtmauscheln, nur um dem oder der gehassten Ex keinen Euro für die gemeinsamen Kinder zukommen zu lassen. "Nur jeder vierte, zu Unterhalt verpflichtete Elternteil zahlt den vollen Betrag", erfährt der Zuschauer in der ersten Hälfte des Films. Ein Wert, der zumindest erstaunt. Spannend und auf bittere Art unterhaltsam breitet Drehbuchautor und "Tatort"-Schlachtross Jürgen Werner ein Panoptikum getrennt lebender "Hater" vor dem Zuschauer aus: Prolo Krömer, ein "sexy Dachdecker", wie ihn seine studierte Ex Julia Beck (Karen Dahmen) bitter lachend nennt, zahlt nicht für Tochter Marie – während die Mutter versucht, einen unwürdigen Lagerjob und die Schulzeiten des kleinen Mädchens unter einen Hut zu bekommen.
Ganz bitter ist auch die Geschichte des ehemaligen Architektenpaares Rainer (Peter Schneider) und Katja Hildebrandt (Katrin Röver). Als Katja mit ihrem Chef zusammenkommt, wird Rainer entlassen und rutscht in die Arbeitslosigkeit und eine schäbige Sozialwohnung ab. Während Katja fortan in einer mondänen Designervilla mit Pool und kleiner Golfanlage lebt, muss sie ihrem verarmten Ex keinen Cent zahlen, weil sie offiziell nicht arbeiten geht.
Auch die 19-Jährige Tülay Firat (Yeliz Simsek) hat einen guten Trick. Der Erzeuger ihres Babys soll ein maskierter Karnevalist gewesen sein, während sich der wahre Vater in der gemeinsamen Wohnung verstecken muss – schließlich ist das blutjunge Paar auf das Geld vom Amt angewiesen. Als pikanten Gegensatz zu Hass und Zerrüttung malt Autor Werner, der schon zahlreiche "Tatorte" vor allem für die Kölner und Dortmunder Ermittler schrieb, noch ein provokantes Heile-Welt-Panorama als Gegensatz: Jugendamtsleiter Markus Breitenbach (Christian Erdmann) und seine Frau (Henny Reents) leben den perfekten Familientraum mit drei Kindern, einem netten Häuschen und rücksichtsvoll-liebevollem Umgang.
Was ist das Geheimnis von Familienglück oder -unglück, fragt sich der Zuschauer, während er in diesem interessanten, spannenden "Tatort" der klassischen Art Eltern beim sich Anschreien zusieht. Sie schreien, während sich weinende Kinder einen Meter unter ihnen schluchzend Einnässen oder – wenn sie etwas älter sind – einfach nur stoisch in ein fernes Nichts blicken. Die Beispiele der Elternkriege sind gut gewählt. Fast überall deckt das Drehbuch noch einen kleinen, überraschenden Twist auf – und unter der Regie von Nina Wolfrum ("Nord bei Nordwest") sieht das Ganze auch nicht so trist aus, wie das Geschehen bei einem anderen, stärker das Extrem suchenden "Tatort"-Team vielleicht ausgesehen hätte.
"Niemals ohne mich" ist ein bitterer Anti-Kriegs-Film im Mini-Gesellschaftsformat. Immer wieder fragt man sich beim Zusehen: Woher kommt diese abgrundtiefe Wut aufeinander? Die Antwort sollte nach 90 "Tatort"-Minuten klar sein: Es sind tiefe Verletzungen und persönlichste Demütigungen, die den Hass eskalieren lassen. Mehr Krieg im Nukleus der Gesellschaft geht nicht.
Tatort: Niemals ohne mich – So. 22.03. – ARD: 20.15 Uhr