Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys haben es mit ihrem Album „Kult“ direkt Platz 1 der deutschen Albumcharts geschafft. Hinter der fiktiven „Italo-Pop-Band aus Sirmione“ stecken eigentlich Musiker aus Bayern, die auch während des Interviews in ihren Rollen bleiben. Im Gespräch mit prisma, das noch während der Europameisterschaft stattfand, blitzten nichtsdestotrotz hier und da durchaus ernstzunehmende Ansichten und Einblicke in die Welt des Italo-Schlagers durch.
Wo erwische ich Euch gerade? Zu Hause oder?
Abbrunzati Boys: Ich sitze unverkennbar bei unserer Agentur im Büro.
Roy Bianco: Ich befinde mich in meinem Panikraum (lacht).
Seid Ihr auch im EM-Fieber? Schaut Ihr Fußball?
Roy Bianco: Ja, natürlich. Endlich mal eine gute Frage gleich zum Einstieg.
Für wen schlägt denn Euer Herz? Italien? Deutschland?
Abbrunzati Boys: Ich halte es da mit meinem altgedienten Spruch: Italien hat jetzt häufig genug gewonnen, speziell letztes Mal. Dieses Mal sind wir Deutschen wieder dran.
Die Spiele der Squadra Azzura bisher waren ja auch wieder so ein bisschen typisch Italienisch. Erst richtig toll „Bella Italia“, da haben sie wirklich einen ausgepackt, aber dann irgendwie in den Verwaltungsmodus geschaltet.
Abbrunzati Boys: Ja, das stimmt. Aber letztendlich kann man es ihnen nicht vorwerfen, weil sie dann doch wieder gewonnen haben. (Das Interview fand nach dem zweiten Gruppenspiel der Italiener und noch vor ihrem frühen Ausscheiden statt. Anmerkung der Redaktion). Und wenn man zum Beispiel die Belgier sieht, die haben sich sehr viel blöder angestellt.
Roy Bianco: Der Catenaccio hat immer Saison.
Es ist ja lustig, wenn man sieht, dass die deutsche Mannschaft beim Fußball leidenschaftlich und feurig spielt, während die Italiener dann irgendwie wieder sehr abgeklärt wirken. Wie seht Ihr das?
Abbrunzati Boys: Ich glaube, das hat einfach nur was mit der fußballerischen Spielphilosophie zu tun. Ich glaube, bei der deutschen Nationalmannschaft hat einfach durch die Ära Klinsmann und Löw ein wenig dieser Hurra-Fußball Einzug gehalten und der hat sich irgendwie nie mehr so wirklich verabschiedet. Und in Italien ist man einfach immer dabeigeblieben, auf eine sichere Defensive zu setzen. Der italienische Fußball in der italienischen Liga funktioniert auch viel mehr nach diesen Parametern. In Deutschland wird ja prinzipiell auch einfach offensiver Fußball gespielt.
Roy Bianco: Deswegen sind italienische Mannschaften ja auch immer so unangenehme Gegner, auch im europäischen Wettbewerb, weil sie einfach richtig stark verteidigen.
Aber sprechen wir lieber über das neue Album. „Kult“ heißt es und ist direkt auf Nummer 1 der Charts eingeschlagen. Wie habt Ihr das aufgenommen?
Roy Bianco: Wir haben es aufgenommen, aber noch nicht so richtig begriffen. Wir sind zwar erfolgsverwöhnt, aber es ist dann doch sehr besonders, einfach zu wissen: Okay, wir sind jetzt auf Platz eins der deutschen Albumcharts. Wir hatten das Vergnügen bereits 2022 und ich kann sagen: Der Hunger bleibt. Es ist einfach eine wahnsinnige Ehre und wir haben das natürlich nur wegen unserer vielen Fans geschafft, die uns diesen Vorsprung in einer doch relativ prominenten Konkurrenz gesichert haben. Das ist schon irre genug und wir wissen es auch wirklich zu schätzen bei all der Hybris, die wir doch dann manchmal an den Tag legen können und auch müssen. Für Roy Bianco & Die Abbruzati Boys ist das natürlich Pflicht. Aber ja, es ist wahnsinnig toll und eine schöne Erfahrung.
Wie fühlt es sich denn an, das neue Material live zu spielen?
Abbrunzati Boys: Wir haben uns sehr darauf gefreut, genauso wie unsere Fans, die sehr aufgeregt waren, das neue Album live präsentiert zu bekommen. Natürlich ist man im Vorfeld etwas nervös, denn man hat ja diese ganzen Titel noch nie live gespielt. Gleichzeitig ist so eine Premiere natürlich auch immer aufregend und wir waren sehr euphorisiert.
Der Albumtitel „Kult“ passt perfekt zu Eurer Fanbasis. Ist er auch eine Art Kompliment für die Fans? Oder wie ist der Titel zu verstehen?
Roy Bianco: Natürlich ist das auch ein Kompliment an die Fans, denn wenn man es religiös betrachtet, gibt es ohne Anhänger, ohne fanatische Anhänger auch keinen Kult um eine Person oder eine Gruppe. Wir reden ja nicht umsonst von „den heiligen Messen des Italo-Schlagers“ mit den großen Gesten. Wir ziehen das Ganze wie einen Gottesdienst auf. Im Publikum sind die Fans, die Anhänger und wir stehen als das Medium auf der Bühne, sind die Hohen Priester des Italo-Schlagers. Denn der Italo-Schlager selbst lebt von seiner frohen Botschaft von Frieden und Lustigkeit. Ich glaube, so ist der Titel dann auch am Ende zu verstehen. Mit all seinen Facetten, die auch ambivalent und polarisierend sein können.
Ein Begriff, der ja etwas inflationär benutzt wird.
Roy Bianco: Ich glaube, es gibt sicher einige Menschen, die sich an diesem Wort Kult immer wieder stoßen und das gerne vermeiden. Aber es ist so ein offener Begriff, so ergebnisoffen, mit wenig Definitionsschärfe. Von daher passt er auch extrem gut zu uns, weil wir alles davon sind.
Wenn man sich Eure Fans bei den Konzerten anschaut, passt das „Kultige“ wirklich perfekt. Nehmt uns doch einmal mit auf die Reise zur Entstehung des Albums. Wo habt Ihr das aufgenommen, wie ist es zustande gekommen, wie war der Prozess des Songwritings für Euch diesmal?
Abbrunzati Boys: Wir haben uns bei diesem Album noch einmal sehr viel intensiver mit unserer Musik und diesem Musikschaffen an sich auseinandergesetzt. Gerade die Prozesse im Studio waren noch einmal sehr viel intensiver und wir haben uns mehr Zeit gelassen. Wir waren sehr viel länger im Studio als bei den vorherigen Alben. Das hört man dem Album an. Es hat uns einfach wahnsinnig viel Spaß gemacht.
Eine intensive Zeit?
Abbrunzati Boys: Das hat natürlich auch sehr viel Kraft gekostet, das darf man nicht vergessen. Durch das Mehr an Zeit konnten wir jede Idee dann noch Dutzende Male umwerfen, anders als früher, als alles einfach schneller gehen musste. Uns standen für die Aufnahmen diese dreifaltigen Orte offen: die Trixx Studios in Berlin, dann unsere Jugendherberge, die Fattoria Musica im westfälischen Hinterland und dann natürlich noch als großes Highlight die Abbey Road Studios in London. Genau aus diesen drei verschiedenen Orten ist dann so ein Kultalbum entstanden, denn diese drei Orte haben alle auf ihre Art und Weise mit in diese Produktion eingewirkt.
Dadurch gibt es auch neue musikalische Einflüsse. Wollt Ihr da einmal näher drauf eingehen? Zum Teil sind Anklänge von Britpop zu hören. Ist das ein Zeichen, dass Ihr wirklich offen für alles seid? Oder gibt es auch Sachen, wo Ihr sagt, das können wir uns eher sparen?
Abbrunzati Boys: Eine Facette, die ich bei Roy Bianco und den Abbrunzati Boys immer schon sehr geschätzt habe, ist, dass uns eigentlich keine Grenzen gesetzt sind in unserem musikalischen Schaffen. Wir haben uns beim neuen Album entschieden, musikalisch neue Wege zu gehen, und die Möglichkeit, in den Abbey Road Studios aufzunehmen, ließ bei uns die Idee aufploppen: Lass doch mal was in Richtung Britpop ausprobieren. Wir bezeichnen uns ja auch gerne als „Oasis des Italo Schlagers“, von daher wollten wir mal eine richtige Britpop-Hymne auf das Album packen. Unsere Tifosi lieben den Song „Goodbye, Arrivederci“ tatsächlich auch so sehr wie wir. Das gibt uns eigentlich nur das notwendige Feedback, weiterhin der Überzeugung zu sein, dass der Italo-Schlager eigentlich alles darf.
Der Italo-Schlager war ja auch immer das Vorbild für den deutschen Schlager. Einige der größten Schlager-Erfolge sind im Original italienische Lieder. Wenn Ihr da mal vergleicht, was ist jetzt für Euch das Besondere am deutschen Schlager und was ist das Besondere am Italo-Pop-Schlager?
Roy Bianco: Was den deutschsprachigen Schlager anbelangt, denke ich, dass jeder in Deutschland ein absolutes, unveräußerliches Recht auf Schlagermusik hat, ob sie oder er davon nun Gebrauch machen möchte, oder nicht. Die Leute trauen sich aber häufig einfach nicht so, weil der Begriff immer noch etwas altbacken und eingestaubt wirkt.
Das klassische WDR4-Klischee.
Roy Bianco: Der Schlager während des Frühstücks im Radio und man aß sein Marmeladenbrot. Das war für viele Menschen eine sehr eindrückliche Erfahrung, die jeder gemacht hat. Das Problem des zeitgenössischen Schlagers ist die Produktion. Der kommt häufig aus der sogenannten Dose, setzt eher auf Schockmomente und billigste Klischees, die auf einer Insel im Mittelmeer passieren. Grundsätzlich hat jeder einen Anspruch darauf, und die Idee des deutschen Schlagers ist es, Sehnsuchtsorte zu erzeugen. Das deutschsprachige Publikum hat immer schon irgendwie so eine Art Eskapismus gebraucht, eine Flucht aus dem Alltag. Ob das jetzt die Bildungsreisen eines Goethe oder Schiller nach Italien waren oder noch weiter zurück, die Pilgerreisen der vielen deutschen Katholiken nach Rom. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es dann diese Nachkriegsurlaubsthematik in Deutschland. Letztlich suchte die deutschsprachige Bevölkerung häufig das Weite, hatte diese Sehnsucht, etwas zu finden, was sie nicht zu Hause haben. Das ist dann auch mehr ein Gefühl als ein konkreter Zustand. Und das ist genau das, was Schlagermusik ausmacht.
Sie schafft Sehnsuchtsorte?
Roy Bianco: Sie erschafft Orte, die es eigentlich nicht gibt, die aber dieses Bedürfnis nach Sehnsucht, nach Weite befriedigen können. Und das, ohne zu verreisen, sondern, indem man sich einfach anderthalb Stunden Italo-Schlager hingibt, um ein Bild von Italien zu genießen, das notwendigerweise gar nichts mit Italien zu tun haben muss. Es ist vielmehr eine Reise in Gedanken, eine Reise zu sich selbst, die es ermöglicht, sich von sich selbst zu entfernen und dann wieder zurück zu sich selbst zu kommen. In der Utopie zu leben und dann hoffentlich etwas aus der Utopie in die Wirklichkeit herüberretten zu können.
Ein Gefühl von Glück.
Roy Bianco: Jetzt habe ich lange geredet, die Vorlesung ist vorbei (lacht).
Nein, das passt ja auch zu Eurem Leitspruch, wenn ich das mal so nenne darf. Ihr sagt ja, Ihr wollt dem Schlager seine Würde wiedergeben. Ich verstehe das als eine Abgrenzung von diesem Plastikschlager, den man eben auf Mallorca hört. Verbindet Euch das auch mit der italienischen Popmusik?
Abbrunzati Boys: Wir blicken natürlich auch immer mit Ehrfurcht in den Süden, in die italienische Popkultur, die immer durch viel Geschmack glänzen konnte. Diesen Geschmack möchten wir selbst auch verkörpern. zudem möchten wir natürlich auch – wie Roy eben schon anmerkte – auch an die die Tradition des guten alten deutschen Schlagers anknüpfen wie ihn Udo Jürgens, Vicky Leandros oder andere Künstler verkörpert haben und der auch eine gewisse Haltung versprüht in seinem Wirken. Eben nicht so wie der zeitgenössische Mallorca-Schlager. Da wurde auch gerne mal das Mittel der Ironie eingesetzt, fast schon subversiv Gesellschaftskritik geübt. Und in der Tradition sehen wir uns dann eher und natürlich immer mit dem wohlwollenden Blick Richtung italienischer Popkultur und San Remo Festival.
Ein Revival des klassischen deutschen Schlagers gab es Ende der 1990er-Jahre, Anfang 2000 auch schon einmal mit Dieter Thomas Kuhn und Guildo Horn. Die haben aber, im Gegensatz zu Euch, vorwiegend Cover-Versionen gespielt. Wieso spielt Ihr vor allem Eigenkompositionen?
Abbrunzati Boys: Wir haben in unseren Anfangszeiten, als Roy und ich zu zweit mit der Akustik-Gitarre auf den kleinen Kunstbühnen des Landes aufgetreten sind, natürlich auch sehr viel gecovert. Das Cover gehört natürlich zum Schlager und ist nicht wegzudenken. Aber wir haben schon immer nach Größerem gestrebt und vor allem haben wir auch einen großen Output, wie man das heutzutage sagen würde. Und deshalb war es uns auch immer schon wichtig, unsere eigenen Melodien in die Welt zu bringen. Der Erfolg gibt uns recht. Die Leute hungern nach neuen Schlagern mit einem gewissen Anspruch und nicht nur nach Coverversionen von damals.
Welche Musik hört Ihr denn außer Schlager und Italo-Pop?
Roy Bianco: Ich bin großer Beatles-Fan.
Dann passt das mit Abbey Road natürlich.
Roy Bianco: Ja natürlich, John Lennon und Konsorten. Das ist für mich eine heile Welt, das ist mein Eskapismus. Wenn wir zu sehr an uns selbst denken und mit unserer Musik unterwegs sind, dann flüchte ich mich gerne in diese ewigen Werke von den Beatles.
Abbrunzati Boys: Aber wir hören natürlich auch viel zeitgenössische Musik. Wir sind häufig auf Festivals und da gibt es viele Bands und Sänger aus dem Bereich der Jugendkultur. Da lernt man natürlich die Kolleginnen und Kollegen kennen und da gibt es ja auch ganz tolle Bands und Künstler, die man dann gerne anschaut. Auf unseren Touren nehmen wir gerne auch junge aufstrebende Newcomer mit. Da waren bisher immer ganz viele tolle Leute dabei.
Wie reagieren die anderen Bands auf Euch?
Roy Bianco: Mit Ehrfurcht.
Neben der Musik sind natürlich auch Euer Outfit und das Styling sehr wichtig. Vertraut Ihr da auf Euren eigenen Geschmack oder gibt es da Stylisten, die Euch beraten? Woher kommt die Inspiration für Eure zum Teil wirklich sehr außergewöhnlichen Kostüme?
Abbrunzati Boys: Wir sind auf jeden Fall immer die bestangezogene Band im Backstagebereich der Festivals. Die größte Inspiration sind natürlich wir selbst mit unserer 42-jährigen Geschichte. Aber wir arbeiten auch mit Experten zusammen, die dann auch einen gewissen Fundus haben. Denn das eine ist ja, wie möchte man sich kleiden und das andere ist, wie kommt man überhaupt an die spezielle Kleidung heran? Da holen wir uns dann auch schon gerne mal Hilfe für die Bühnenoutfits ins Boot.
Ihr habt Euch ja in Sirmione am Gardasee gegründet. Da war ich letztes Jahr noch im Urlaub. Was bedeutet Euch diese Region? Woher aus Italien stammt Ihr?
Roy Bianco: Da gibt es eine scharfe Trennlinie zwischen mir und Abbrunzati. Ich bin tatsächlich immer gerne in Norditalien unterwegs. Bis Rom und ab da übernimmt dann immer Zanti. Wenn es ganz runter in den Stiefel geht.
Abbrunzati Boys: Ja, ich mag es, wenn es heiß und chaotisch ist. Und da ist es dann wirklich unten in Neapel, in Apulien, in Ostsizilien am schönsten.
Ihr beide seid die Aushängeschilder der Band. Sind die restlichen Musiker festangestellt oder wechselnd?
Roy Bianco: Die anderen Musiker gehören fest zur Gruppe Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys. Unser Name bestand schon, bevor die anderen vier dazu kamen, und es wäre jetzt unmöglich gewesen, diesen schon sehr lang sperrigen Namen noch länger werden zu lassen. Deshalb stehen sie einfach mit unter diesem Namen, unter unseren Flügeln. Sie sind aber nicht nur unsere Mitmusiker, sondern Mitschaffende an unserem Werk, unserem Opus Magnum. Sie sind überall dabei, wirken in vielerlei Hinsicht mit. Wir beide haben nur das große Glück oder das große Pech, wie man es nimmt, immer vorne zu sein, um Rede und Antwort zu stehen
Abbrunzati Boys: Ein bisschen wie bei Bon Jovi.
Roy Bianco: Ja, genau.
Im Herbst geht Ihr auf große Tour. Auf was können sich die Fans freuen?
Abbrunzati Boys: Wie immer auf das Allergrößte: auf große Gesten, große Gefühle, große Hymnen. Eine fulminante und fantastische Show. Dafür stehen wir auf jeden Fall mit unserem Namen. Wer zu uns kommt, der geht mindestens eineinhalb Stunden, wenn nicht sogar zwei Stunden in den „Italo-Schlager-Spülgang“, und der kommt gereinigt und heil dann wieder aus dieser Messe heraus.