Tatort am Sonntag

Einstürzende Welten

20.02.2015, 14.06 Uhr
von Detlef Hartlap
Rolf Poller (Armin Rohde, links) geht auf Kriminalhauptkommissar Frank Steier (Joachim Król) los.
Rolf Poller (Armin Rohde, links) geht auf Kriminalhauptkommissar Frank Steier (Joachim Król) los.  Fotoquelle: HR / Degeto / Bettina Müller

„Das Haus am Ende der Straße“, der letzte Frankfurter Tatort mit Joachim Król, gehört zu den besten überhaupt in der langen Tatortgeschichte.

Irgendwann im Sturze der Ereignisse, bei denen es um Leben und Tod geht, wird eine kleine Szene zwischengeschaltet, die von Menschlichkeit zeugen soll. Titus Schwarzenbacher, der neue Kommissariatsleiter, ordnet mit einem Telefonanruf an, dem soeben aus dem Polizeidienst ausgeschiedenen Steier eine ordentliche Abschiedsfeier zu organisieren. Denn: „Laut Statistik gehörte er zu den Besten.“

Dies ist ein filmreifer Tatort, soll heißen: ein echter Krimi und kein Wochenend-Ausklang aus dem Kölner Dilettanten-Stadl oder dem Münchner Versuchslabor für die reichlich konstruierten Identitätskrisen zweier alternder Kommissare.

Frankfurt ist da ein anderes Pflaster, die Hauptstadt der Banken und des Verbrechens, ein Schelm, wer da keinen Zusammenhang sehen mag, und die Dauerkrise von Kommissar Frank Steier (Joachim Król) nahm im Laufe der Folgen immer bedrohlichere, also echt wirkende Ausmaße an.

In seinem letzten Frankfurter Tatort werden Króls Probleme noch einmal in die tiefsten Abgründe der Melancholie geschüttet. Conny arbeitet hier nicht mehr, die Kollegin Conny Mey (Nina Kunzendorf), die ihrem zu Selbstmitleid und Quartalssuff neigenden Dienstpartner Steier irgendwie immer wieder auf die Beine half.

„Das Haus am Ende der Straße“, ein Film, den sich Michael Proehl und Erol Yesilkaya ausgedacht haben, und der von Sebastian Marka meisterlich in Szene gesetzt wurde, beginnt mit einer genialen Doppelsequenz, die zwei Männer in ihren jeweils einstürzenden Welten zeigen.

Die Situation des Hausmeisters Poller (Armin Rohde), der bessere Zeiten gesehen hat, wird mithilfe eines Anrufbeantworters geschildert. Jeder der rasch aufeinanderfolgenden Anrufe steckt voller Forderungen, Drohungen, Ultimaten und beiläufig eingestreutem Bedauern zu dem, was mit Pollers Sohn passiert ist, wobei offen bleibt, ob der schon tot ist oder nur was angestellt hat.

Poller ist am Ende. Oder ziemlich kurz davor.

Das ist aber nichts im Vergleich zu Steier. Eine zunächst harmlos wirkende Befragung ist ihm entglitten, schlimmer noch, der Vorfall mündete in den Tod eines kleinen Mädchens in der Nachbarwohnung, das von den Schüssen, die Steier in Angst versetzen sollten, getroffen wurde. Die Tat bleibt ungesühnt. Vor Gericht erlebt Steier die schwärzeste Stunde seiner Karriere. Seine Aussage wird als unglaubhaft verworfen, denn er hatte am Vorabend des Vorfalls nachweislich Bier und Wodka im Gegenwert von über zwei Promille gesoffen.

Er quittiert den Dienst. Und könnte fortan als eine Art Philip Marlowe durch Frankfurt stromern. Der berühmteste Privatdetektiv der Literaturgeschichte hatte ebenfalls eine unrühmliche Polizeihistorie hinter sich, ehe er als Held in Raymond Chandlers Romanen unsterblich wurde. Ein klein wenig lassen das die Autoren Proehl/Yesilkaya anklingen, wenn Steier scherzt: „Ich möchte endlich der Held in meinem eigenen Leben sein.“

Schön und gut, aber was macht diesen Film so außerordentlich? Es ist die nachgerade chemische Versuchsanordnung, mehrere Menschen mit sehr unterschiedlichen Absichten in einer klar umgrenzten Raumsituation aufeinanderstoßen zu lassen.

Die Brüder Nico und Robin (Nico ist der Todesschütze, den Steier nicht überführen konnte) wollen den Tresor von Hausmeister Pollers Arbeitgeber knacken. Ihre Freundin Lisa steht Schmiere.

Während der Tresor unter Höllenlärm angebohrt wird, kommt der Hausbesitzer, ein reicher und alles andere als gutmenschlicher Kunsthändler, unerwartet früh von einer Reise nach Hause. Gleichzeitig taucht Hausmeister Poller aus den Erinnerungen an seinen Sohn, aus dem Suff und einem erholsamen Bade auf und merkt, dass etwas in dem ihm anbefohlenen Häuserkomplex nicht stimmt.

Und schließlich jagt auch Steier herbei, der Nico die Erschießung des Mädchens heimzahlen möchte und überdies längst gemerkt hat, dass die Brüder ein krummes Ding planen.

Das ist die Konstellation. Vier Interessenslagen, mindestens drei Waffen, Rauschgift, blanke Verzweiflung und abgrundtiefe Wut aufeinander. Eine Versuchsanordnung, wie gesagt. Mit offenem Ergebnis.

Und während sich die Bluttaten wie von allein entwickeln und in grausame Höhen schaukeln, denkt der Kommissariatsleiter über Steiers Abschiedsfeier nach. Vorgesetzte hinterlassen in den verschiedenen Tatorten traditionell einen leicht dusseligen und dabei arroganten Eindruck. Hier aber wird die Lebensferne, die im Grund eine Berufsferne ist, der sogenannten Entscheider-Ebene auf brillante Weise vorgeführt.

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