14.12.2021 Musiker

Richard Kruspe: "Rammstein ist eher die männliche und Emigrate eher die weibliche Seite“

Von Felix Förster
Rammstein-Gitarrist Richard Kruspe hat mit seinem Nebenprojekt Emigrate ein neues Album vorgelegt.
Rammstein-Gitarrist Richard Kruspe hat mit seinem Nebenprojekt Emigrate ein neues Album vorgelegt. Fotoquelle: Tobias Ortmann

Richard Kruspe ist als Gitarrist und Songwriter bei Rammstein weltberühmt. Sein Projekt Emigrate bietet ihm immer wieder die Möglichkeit, aus dem Bandgefüge der Millionenseller auszubrechen, um seine musikalischen Ideen völlig frei ausleben zu können. Mit "Persistence Of Memory" hat er mit Emigrate nun sein viertes Album veröffentlicht. Es vereint Ideen, die Kruspe in fast zwei Jahrzehnten gesammelt hat. prisma hat mit Richard Kruspe über Emigrate, Elvis-Cover und natürlich auch über Rammstein gesprochen.

Neben Rammstein ist Emigrate Ihr zweites musikalisches Standbein. Worin unterscheiden sich die beiden Projekte für Sie?

Richard Kruspe: Durch Emigrate ist eine Balance entstanden. Emigrate ist nicht nur eine musikalische Freiheit, sondern auch die Freiheit, das machen zu dürfen und zu können, was ich will – und zwar wann immer ich es will. Es gibt keinen kommerziellen Druck. Ein Emigrate-Album ist für mich auch wesentlich persönlicher, weil der kreative Prozess komplett bei mir liegt. Trotzdem merke ich immer wieder, dass die Arbeit im Team viele positive Aspekte hat. Manchmal hat man Ideen, von denen man nicht weiß, ob sie gut oder schlecht sind. Durch das Team merkt man dann sehr schnell, ob Ideen nachhaltig sind. Ich brauche Emigrate für mein persönliches Gleichgewicht. Rammstein ist eher die männliche und Emigrate eher die weibliche Seite.

Sie haben mit "The Persistence Of Memory" im Wortsinn "beharrlich" Ideen wieder aufleben lassen, die teilweise schon lange zurückliegen. Wie fühlte sich diese Reise in die Vergangenheit an?

Richard Kruspe: Ehrlich gesagt hatte ich mich schon vor Corona in Isolation begeben, nach der letzten Rammstein-Tournee. Das war vielleicht die größte Tour in unserer Bandgeschichte, und als ich anschließend nach Hause kam, bin ich erst einmal in ein tiefes Loch gefallen. Ich habe mich zurückgezogen, habe zwischendurch auch überlegt, mit der Musik aufzuhören, weil ich darin keinen Sinn mehr gesehen habe. So eine Depression erlebt man natürlich nicht gerne, und wenn man keine Hilfe von außen holt, muss man extrem stark sich selbst reflektieren können. Also floh ich in die Erinnerungen, in die Vergangenheit. Sie war das Einzige, das ich hatte. Ich stieß auf diese ganzen alten Songs und Ideen und betrachtete sie noch einmal genau. Sie halfen mir dabei, mich wieder in die Gegenwart zu bewegen, um danach endlich wieder in die Zukunft schauen zu können. Eine Zeitreise zurück zur Inspiration.

Mit "Freeze My Mind" haben Sie den ersten Emigrate-Song von 2001 neu aufgenommen. Erstaunlich, wie gut die Struktur gealtert ist. Wie war es, ihn zu dekonstruieren und neu zu interpretieren?

Richard Kruspe: Eine gute Idee bleibt eine gute Idee, musikalisch gibt es kein Verfallsdatum. Bis auf die Drums habe ich alles neu eingespielt. Die aber habe ich beibehalten, weil sie damals im Funkhaus in der Nalepastraße in Berlin aufgenommen wurden, im alten Rundfunkgebäude der DDR. Einer der bestklingenden Drum-Recording-Räume in Deutschland. Es stimmt aber schon, manche Sounds oder Ideen, die vor 20 Jahren cool waren, musste ich neu aufnehmen. Nicht alles, was retro ist, klingt auch schön retro. Manches klingt nur alt, nach Sounds, die niemand mehr hören will.

Der Song stammt von 2001, aus einer für Sie sehr wichtigen Zeit: Mit Rammstein haben Sie damals Amerika erobert, so dass man denken müsste, die Band wäre im Zentrum Ihrer Gedanken gewesen. Trotzdem haben Sie diesen bemerkenswerten Song abseits der Band geschrieben. Wie kam es damals zu der Idee "Emigrate"?

Richard Kruspe: Emigrate steht für mich fürs Ausbrechen. Für das Verlassen meiner eigenen Komfortzone. Mein Leben war damals durch eine wahnsinnige Enttäuschung geprägt. Die resultierte daraus, dass ich glaubte, nicht verstanden zu werden. Ich wollte mich selbst verwirklichen außerhalb der Rammstein-Welt. Ich hatte diese Wut in mir, dieses Bedürfnis, es allen anderen zu zeigen. Es war wie ein Aufbruch in eine neue Welt. Ich musste mich weiterbewegen, ich hatte das Gefühl, ich muss da weg, ich bleibe stehen, ich bin nicht Teil dieser Gleichung. Es war durchaus auch ein Verlassen der Komfortzone. Deswegen auch der Name Emigrate. Das hatte alles Sinn und Verstand. Ich glaube, die größte Motivation kommt immer aus dem Bereich, jemandem etwas beweisen zu wollen. Ob das die Eltern sind, ob das deine Kollegen sind oder ob das vielleicht du bist. Es geht darum, seinen Wert zu fühlen.

Sie haben in einem Interview gesagt, Sie waren schon vor Corona kurz davor, mit der Musik aufzuhören und durch Ihre Arbeit am neuen Emigrate-Album die Liebe zur Musik wiederentdeckt. Ist Emigrate eine Art "Rettungsanker" für Sie?

Richard Kruspe: Wie schon gesagt, brauche ich Emigrate generell für mein persönliches Gleichgewicht. In der Phase nach der Rammstein-Stadion-Tournee haben mir die Erinnerungen und die Vergangenheit geholfen, wieder in die Gegenwart zurückzukehren und die Zukunft zu sehen. Also war es in gewisser Weise mein Rettungsanker.

Welchen Stellenwert hat das neue Werk für Sie?

Richard Kruspe: Es ist eine Zeitreise zurück zur Inspiration. Vielleicht braucht diese Emigrate-Dekade einen Abschluss. Dieses Album ist vielleicht das Ende einer Ära, die Klammer, bevor etwas Neues beginnt. Vielleicht brauchte es diesen Blick zurück, um etwas Neues anzufangen.

Sie haben sich auf dem neuen Album an eines der meistgecoverten Lieder überhaupt getraut, den Elvis-Klassiker "Always On My Mind". Wie kam es zu der Idee, und wie ist es Ihnen gelungen, etwas Neues aus dem Song herauszukitzeln?

Richard Kruspe: Lange Geschichte. Eine Plattenfirma wollte vor Jahren mal ein Elvis-Cover-Album machen. Ich fing an zu schreiben, verwarf es aber irgendwann wieder. Ich war aber so unfassbar fasziniert von Elvis‘ Stimme in diesem Song. Egal, welches Instrument ich im Studio hochgefahren habe: Sie hat sich immer durchgesetzt. Ursprünglich war vorgesehen, dass die Original-Stimme von Elvis auf dem Track zu hören ist. Aber dann habe ich überlegt, wer den Song noch singen könnte. Ich habe überlegt, wer eine so prägnante Stimme hat. Und dann kam ich auf Till. Manchmal ist es eben einfach zu naheliegend. Ich fragte ihn, er hatte Lust darauf, und wir nahmen das Ganze letztendlich dann sogar als Duett auf, weil ich es so emotionaler fand.

Wie Sie schon sagen, singen Sie den Song gemeinsam mit Till Lindemann, Ihrem Kollegen bei Rammstein. Wie war diese Zusammenarbeit außerhalb des typischen Band-Gefüges?

Richard Kruspe: Schnell und intensiv.

Sie haben bereits erwähnt, dass Sie nach der letzten Rammstein-Tour in ein Loch gefallen sind. Nun wird die große Rammstein-Stadion-Tour, die unterbrochen werden musste, 2022 nachgeholt bzw. fortgesetzt. Überwiegt da trotzdem die Vorfreude?

Richard Kruspe: Natürlich vermisst man etwas besonders, wenn man es nicht darf oder es gerade nicht möglich ist. Also ja, ich freue mich auf die kommende Tour mit Rammstein.

Richard Kruspe ist als Gitarrist und Songwriter bei Rammstein weltberühmt. Sein Projekt Emigrate bietet ihm immer wieder die Möglichkeit, aus dem Bandgefüge der Millionenseller auszubrechen, um seine musikalischen Ideen völlig frei ausleben zu können.

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