„Tatort“ am Sonntag

Ein wertvolles Mitglied unseres Wirtschaftslebens

05.12.2014, 11.22 Uhr
von Detlef Hartlap
Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) hat bei ihren Ermittlungen viel Stoff zum Nachdenken.
Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) hat bei ihren Ermittlungen viel Stoff zum Nachdenken.  Fotoquelle: NDR / Christine Schroeder

Wenn ein Film ein Anliegen hat und dieses Anliegen penetrant vor sich herträgt, dann sollte man ihn lieber gar nicht erst angucken. „Der sanfte Tod“ aber, der erste Furtwängler-Tatort seit zwei Jahren, handelt von Massentierhaltung und damit auch von Massenschlachtung. Darauf spielt der Titel an. Eine Beschönigung wie aus der Fernsehwerbung. Zumal sie aus dem Munde des Schlächters stammt.

Die Fleischfabrikation und wie sie Markt und Mensch befriedigt – das ist kein wohlfeiles Anliegen, es trifft den Nerv der Zeit, löst in zunehmendem Maße Empörung aus, und die Anfänge eines Wandels der Essgewohnheiten sind hier und da zu beobachten. Über die Qualität des Films sagt das freilich nichts aus.

Heino Ferch spielt den Fleischfabrikanten Jan-Peter Landmann. Aus einer Klitsche (vulgo Metzgerei) hat er irgendwo in der niedersächsischen Provinz (das Autokennzeichen CLP für Cloppenburg taucht auf) einen Großbetrieb mit 300 Angestellten und noch mehr Lohnsklaven aus Bulgarien gemacht. Trotzdem sieht er sich gern als Oberhaupt eines Familienbetriebs. Das passt ihm so.

Als Landmanns Chauffeur mit einem professionellen Präzisionsschuss aus großer Entfernung erschossen wird, und zwar just in dem Moment, als er mit seinem Chef die Plätze im Auto getauscht hat, tippt nicht nur Landmann selbst auf die Tat eines geharnischten Tierschützers: Der Schuss habe selbstredend ihm gegolten ...

Auch in Hannover geht man von dieser These aus. So versteht es sich, dass der Leiter des Landeskriminalamts () sein, wie er sagt, „bestes Pferd“ an den Tatort schickt – die bewährte Fachkraft Charlotte Lindholm (). Wirtschafts-Matadore wie Landmann sind besonders schützenswerte Personen.

Während sich nun der Film Spruch um Spruch daranmacht, Herrn Landmanns Gewerbe als besonders eklig und zynisch bloßzustellen, vollzieht sich auf schauspielerischer Ebene ein Paradox. Bösewicht Landmann wird mit jeder Szene faszinierender, auch unheimlicher, beinahe magisch. Heino Ferch, den man im Laufe der Zeit da und dort schon gesehen hat und der selten eine Rolle vergeigt, ist als sentimentaler Patron einer mafiösen Firmenstruktur überragend. Dass ihm nicht (oder kaum) beizukommen ist, auch von der immer aufrechten Charlotte Lindholm nicht, die arg in die Enge getrieben wird, macht diesen Tatort zu einem spannenden; das will was heißen im sonntagabendlichen Genre des Relaxfernsehens.

Gleichwohl steht das Anliegen, die barbarische Tierschlachterei anzuklagen, einem wirklich gelungenen Film im Wege.  (Buch & Regie) transportiert das, was er und mutmaßlich auch Frau Furtwängler für verwerflich halten, vor allem verbal. Ein Spruch jagt den anderen. „Im Schulbus meiner Tochter muss die Hälfte der Kinder stehen, bei mir hat jedes Tier seinen Platz“ (Landmann). Oder: „Der Afrikaner liebt den deutschen Schweinebauch.“ Oder: „Ich bin Flexitarier – ich esse alles.“

Fleischesser, seid wachsam! 

Und damit es nun auch wirklich jedem Couch-Potato klar wird, dass es sich bei der Fleischproduktion aus deutschen Landen um etwas Abartiges handelt, lässt Adolph ein fleischessendes junges Mädchen sagen, die Besichtigung der KZ-Schlachthöfe in Buchenwald habe ihm ja auch nichts ausgemacht. Paff, das soll sitzen wie eine Ohrfeige. Fleischesser, seid wachsam! Dieser Film stellt euch in die Ecke.

Worauf Alexander Adolph leider weitgehend verzichtet, ist die Kraft seines Mediums, des Films. Er findet keine Bilder, um die Grauen sichtbar werden zu lassen. Selbst die Steilvorlage, die sich aus der Diskrepanz von ländlichem Idyll einerseits und dem sich aus Feldern erhebendem Groß-Schlachthof andererseits ergibt, lässt er ungenutzt. Für einen Regisseur, der gern mit Elementen des (filmischen) Horrors arbeitet, ist das erstaunlich und sicher eine Verbeugung vor den Sehgewohnheiten des Sonntagabends; man könnte auch Feigheit dazu sagen.

Alexander Adolph hatte zuletzt für den Tatort die Münchner Folge „Tatort - Der tiefe Schlaf“ produziert, die mit Fabian Hinrichs in der Rolle des Kriminal-Novizen Gisbert eine Kultfigur der Twitter- und Facebook-Gemeinden hervorbrachte. Gisbert war überstark dem Dürrenmatt’schen Kommissar Matthäi („Das Versprechen“) nachempfunden. Demnächst wird Fabian Hinrichs sein eigener Kommissar, im Frankenland. In diesem Jahr zeigte wiederum der Bayerische Rundfunk Adolphs „Polizeiruf 110“-Folge „Polizeiruf 110 - Morgengrauen“, die trotz Starbesetzung (Sandra Hüller, Matthias Brandt, Axel Milberg) nicht recht zündete und ihrem Titel gerecht blieb.

Für reichlich Twitter-Stoff wird in „Der sanfte Tod“, neben dem Für und Wider des Fleischessens, vor allem Bibiana Beglau sorgen. Sie spielt eine Kriminalbeamtin, die sich nicht traut: die Schüchternheit selbst. Darin erkennen sich viele wieder. Und dass ihr auf märchenhafte Weise neuer Mut erwächst, macht die Sache umso schöner. Schade, dass sie an der (fragilen) Lösung des Falles letztendlich unbeteiligt ist.

„Der sanfte Tod“, Sonntag, 7. Dezember, Das Erste, 20.15 Uhr

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