Vorbild für ZDF-Krimireihe mit Heino Ferch

Prominenter Kommissar Ingo Thiel verstorben

23.07.2025, 13.05 Uhr
Ingo Thiel, der als hartnäckiger Ermittler der Mordkommission bekannt wurde, ist im Alter von 62 Jahren verstorben. Er prägte die Polizeiarbeit in NRW und wurde durch den Fall Mirco bundesweit bekannt.
Ingo Thiel & Heino Ferch stehen nebeneinander und schauen in die Kamera.
Ingo Thiel (l.) war das Vorbild der gleichnamigen ZDF-Krimireihe, in der Heino Ferch (r.) die Hauptrolle spielt.  Fotoquelle: picture alliance/dpa | Oliver Berg

Als jahrelanger Leiter der Mordkommission der Mönchengladbacher Polizei blickte Ingo Thiel in die Tiefen menschlicher Abgründe. Seine Fälle waren spektakulär, grausam und – vor allem – real. Einer von ihnen machte den Mord-Ermittler 2011 bundesweit bekannt und wurde sogar 2017 mit Heino Ferch (61) in dessen Rolle verfilmt. Lokale Medien berichteten unlängst, dass Ingo Thiel am 18. Juli 2025 nach kurzer schwerer Krankheit im Alter von 62 Jahren verstorben sei.

Thiel erhielt erst vor kurzem Krebsdiagnose

Eigentlich hätte Ingo Thiel nun seinen Ruhestand genießen können, doch er entschied sich dafür, mit halber Stundenzahl weiterzuarbeiten. Viele Menschen aus der Region waren von der Nachricht seines plötzlichen Todes in der Nacht von Freitag, 18.07. auf Samstag, 19.07. tief ergriffen.

Die Kreispolizeibehörde Viersen bestätigte am Montag den Tod ihres Kollegen. Thiel, der unter anderem bei der Polizei in Mönchengladbach, in Neuss und zuletzt in Viersen-Dülken tätig war, wurde erst vor kurzem mit einer Krebsdiagnose konfrontiert. Dieser erlag er zu Hause im Kreis seiner Familie. Er hinterlässt seine Frau und zwei Kinder.

Ingo Thiel: der „Terrier der Wahrheit“

Ingo Thiel entwickelte sich im Laufe seiner Karriere zu einem der hartnäckigsten und erfolgreichsten Ermittler Deutschlands. Seine ehemalige Dienststelle sprach von ihm als „einer Ausnahmeerscheinung im deutschen Polizeidienst.“ Seitens seiner Kollegen wurde er nicht umsonst „Terrier der Wahrheit“ genannt. Er „verbiss“ sich nämlich regelrecht in die Aufklärung seiner Fälle.

Laut der Kreispolizeibehörde sei Thiel weit mehr als ein erfahrener Kriminalbeamter gewesen: „Er war ein Vorbild – menschlich wie fachlich. Mit seiner offenen Art und seiner Bereitschaft, jederzeit mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, hat er viele Menschen inspiriert, geprägt und gefördert. Er war Polizist und Kriminalist mit Leib und Seele – und vor allem ein Mensch, der andere mitnehmen konnte. Mit seinem Tod verlieren wir nicht nur einen außergewöhnlichen leitenden Ermittler, sondern einen hochgeschätzten Kollegen und guten Freund.“

Tief betroffen äußerte sich auch Kreisdirektor Ingo Schabrich: „„Ich bin erschüttert über die Nachricht vom Tod Ingo Thiels. Er war eine große Bereicherung für den Kreis Viersen und hat maßgeblich für die Sicherheit aller Bürgerinnen und Bürgern beigetragen." „Die Zusammenarbeit mit Ingo war für mich immer eine große Bereicherung. Mit ihm verlieren wir einen besonderen Menschen, enormes Fachwissen und Erfahrung. Ich werde ihn vermissen", so Ulrike Herold, die stellvertretende Leiterin der Kreispolizeibehörde Viersen.

Der Fall „Mirco S.“

Über seinen bekanntesten Fall sagte Kriminalhauptkommissar Thiel einst: „Es gibt nichts Schlimmeres als Ungewissheit.“ Diese Ungewissheit wollte er den verzweifelten Eltern und Angehörigen der Opfer nehmen. Es war der Abend des 3. September 2010, als der damals 10-jährige Mirco Schlitter von seinem Aufenthalt auf der Skate-Anlage in Grefrath-Oedt nicht nach Hause, in das nur fünf Kilometer entfernte Grefrath (NRW), zurückkehrte.

Als Leiter der Sonderkommission „Mirco“ wurde Ingo Thiel bundesweit bekannt. Schon beim ersten Treffen mit Mircos Eltern sagte er ihnen: „Offen gesagt glaube ich nicht, dass Mirco noch lebt.“ Er versicherte jedoch: „Wir gehen hier nicht weg, bis wir ihn gefunden haben.“

Eine der größten Suchen in der Geschichte der Bundesrepublik

Und so kam es, dass der „Terrier“ wieder zubiss. Es folgte eine gigantische Suchaktion, an der rund 1000 Polizisten beteiligt waren. Unter anderem wurden Hubschrauber der Bundeswehr mit Wärmebildkameras sowie eine Drohne eingesetzt. Taucher suchten in einem Sumpfgebiet erfolglos nach Mirco.

Die rund 80 zur SOKO „Mirco“ gehörenden Beamten gingen über 8.000 Hinweisen nach. Im Laufe der Zeit tauchten Gegenstände des vermissten Kindes auf. Unter anderem fand eine Frau eine Hose, die mittels einer DNA-Analyse Mirco zugeordnet werden konnte. Von dem Jungen selbst fehlte nach wie vor jede Spur, dafür wurden im Grefrather Umland Mircos Fahrrad, sein Handy sowie weitere Kleidungsstücke aufgefunden – letztere blutverschmiert und zerrissen.

Für den Chef-Ermittler und sein Team ging es nun um ein Gewaltverbrechen. Thiel ließ rund 240.000 Mobilfunk-Daten auswerten. Mehrere Zeugen sagten damals aus, in der mutmaßlichen Tatnacht nordöstlich von Grefrath Kinderschreie in einem Maisfeld vernommen zu haben.

Ein Versprechen, das er nie brach

Ingo Thiel ließ nicht locker. Die SOKO „Mirco“ leistete akribische Detailarbeit, die sich letztendlich auszahlte. Nach 146 Tagen unermüdlicher Arbeit nahmen Thiel und seine Kollegen in Schwalmtal im Kreis Viersen, nur wenige Kilometer vom Elternhaus des Jungen entfernt, den Familienvater Olaf H. fest. Der Telekom-Vertriebs-Bereichsleiter galt als beliebt und unauffällig. Ein Biedermann.

Der 45-Jährige gestand den Mord an Mirco und verriet nach vier weiteren Stunden im Verhör, wo er die Leiche des 10-Jährigen versteckt hatte. Am 29. September 2011 verkündete das Landgericht Krefeld sein Urteil: Olaf H. bekam lebenslange Haft bei zusätzlicher Feststellung der besonderen Schwere der Schuld. Ingo Thiel verriet später über den Fall: „Es war, trotz der Tatsache, dass das unser Job ist, das Emotionalste, was wir je erlebt haben.“

Der Ermittler gab zu, nach dem Geständnis des Täters geweint zu haben. „Nicht aus Schwäche“, so Thiel, „sondern, weil ich mitgefühlt habe. Mirco hätte mein Sohn sein können.“ Im Laufe der Ermittlungen wiederholte Thiel einen kurzen Satz, der zu einem Versprechen gegenüber Mircos Eltern wurde: „Wir finden ihn!“ Und der Ermittler hielt Wort.

Die Verfilmung des Falles „Mirco S.“

Zusammen mit dem Journalisten Bertram Job (66) schrieb Ingo Thiel das Buch „Soko im Einsatz“. Es handelt von der Suche nach Mirco, vom Hoffen und Bangen. Das ZDF verfilmte den Fall 2017 unter dem Titel „Ein Kind wird gesucht“. Die Rolle des Mord-Ermittlers Ingo Thiel übernahm der Schauspieler Heino Ferch. Aus diesem Projekt ging die ZDF-Krimireihe „Soko-Chef Ingo Thiel“ mit fünf weiteren, auf wahren Verbrechen basierenden, Filmen hervor. Sie alle würdigten die besondere Herangehensweise und Haltung des Mord-Ermittlers vom Niederrhein.

Heino Ferch nannte Thiel in einem Interview einen „sturen Hund […], der nie die Hoffnung aufgibt, die Stecknadel im Heuhaufen doch noch zu finden. […] Der brennt, der ist ständig auf Adrenalin, wenn so ein Ding läuft.“ Und über seine Rolle sagte er damals: „Mit der Rolle konnte ich mich komplett identifizieren. Diese breitschultrige Spur, mit der Ingo Thiel den Sachen nachgegangen ist – das ist toll, auch als Figur.“ Die beiden Männer duzten und gratulierten sich zum Geburtstag.

Auch Mircos Eltern, Sandra (49) und Reinhard (57) Schlitter, berichteten unter dem Titel „Mirco – Verlieren. Verzweifeln. Verzeihen“ im Jahr 2012 gemeinsam mit Autor Christoph Fasel (68) davon, wie es ihnen gelang, die grausame Tat zu verarbeiten. Die Mitglieder einer Freikirche haben dem Täter verziehen. Um weiterleben zu können – nicht zuletzt auch wegen Mircos Geschwistern – wollen die beiden nicht hassen.

Aufklärungsquote von 100 Prozent

„Der Täter landet bei mir immer im Gefängnis. Vorher gebe ich keine Ruhe“, so der Chef-Ermittler 2011 in einem Gespräch mit dem Hamburger Abendblatt. Er löste jeden von ihm in Eigenregie bearbeiteten Mordfall.

Im Laufe seiner jahrzehntelangen Dienstzeit waren dies einige, die er stets in enger Zusammenarbeit mit seinem Team löste. Ingo Thiel sprach nie emotionslos über seine Fälle. Gerade wenn Kinder involviert waren, machte dies ihn unglaublich wütend. Es gab auch manche Situationen, in denen Tränen flossen, zum Beispiel an Mircos Grab.

Der Mensch Ingo Thiel

„Ingo Thiel war ein Mensch, der das Wort Gerechtigkeit mit Leben gefüllt hat. Sein Tod hinterlässt eine Lücke, die nicht zu schließen ist“, lautete die Mitteilung der Polizei Nordrhein-Westfalen. Der BDK (Bund Deutscher Kriminalbeamter) Nordrhein-Westfalen trauert um einen außergewöhnlichen Kollegen, Mitstreiter und Menschen. Für den BDK war Thiel weit mehr als ein erfolgreicher Ermittler.

Er habe sich stets für die Belange seiner Kollegen eingesetzt und „sein Engagement, seine Hartnäckigkeit und sein menschlicher Zugang machten ihn für viele zum Vorbild“. „Seine Stimme wird fehlen, sein Wirken bleibt“, heißt es an anderer Stelle im Nachruf des BDK. Sein privates Engagement galt den Wehrlosesten unserer Gesellschaft: Kindern. Thiel war stellvertretender Vorsitzender des Duisburger Vereins „Riskid“ e.V., der sich gegen Kindesmisshandlung einsetzt.

Der Kriminalist war tief mit dem Niederrhein verwurzelt – er wuchs in Schwalmtal auf und wohnte zuletzt in Niederkrüchten. Als Mordermittler und Leiter der Mordkommission war er viele Jahre im Polizeipräsidium Mönchengladbach tätig. Im Neusser Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten (LAFP) der Polizei NRW unterrichtete er junge Kommissare. Zuletzt war Ingo Thiel als Leiter des Kriminalkommissariats 1 wieder in den heimischen Kreis Viersen zurückgekehrt. Auch wenn er mit dem Erreichen des Pensionsalters die Leitungsposition abgegeben hatte, dachte er noch lange nicht daran, dem Polizeidienst den Rücken zu kehren.

Vielen Dank Ingo Thiel, mögen Sie in Frieden ruhen!

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