16 Top-Schauspieler improvisierten über zwei Tage vor 24 Kameras ein Klassentreffen von Mittvierzigern. Dabei entstanden 130 Stunden Filmmaterial. Filmemacher Jan Georg Schütte verdichtete sie zu einem Wiedersehens-Thriller von 90 Minuten.
Wenn Improvisation im TV, dann so: Genrespezialist Jan Georg Schütte ("Wellness für Paare", "Altersglühen – Speed Dating für Senioren") ließ ein Star-Ensemble von Mittvierzigern zwei Tage lang Klassentreffen spielen. Ein Drehbuch gab es nicht, alle Darsteller erhielten lediglich Rollenprofile. In einer abgewetzten Kneipe mit Kegelbahn und diversen Hinterzimmern für die eher dunklen Geheimnisse unter vier Augen entstanden 130 Stunden Material, eingefangen von 24 Kameras. Unter den 16 ehemaligen Klassenkameraden: Annette Frier, Oliver Wnuk, Charly Hübner, Kida Khodr Ramadan, Fabian Hinrichs, Nina Kunzendorf, Anna Schudt und Anja Kling. Einen prominenter besetzten Fernsehfilm wird es in diesem Jahr nicht mehr geben. Warum sich die Stars auf diesen Deal einließen – darunter zwei aktuelle und ein ehemaliger "Tatort"-Kommissar sowie ein "Polizeiruf"-Ermittler? Wohl weil die Schauspieler wussten, dass "Meister" Schütte (Grimmepreis 2015 für "Altersglühen") ihre Spielfreude zu einem mitreißenden Film verdichten würde, der sich dann doch so wegguckt, als wäre er nach einem bärenstarken Drehbuch erstanden.
Es ist schon interessant zu sehen, welches Image – genauer: Rollenprofile – Jan Georg Schütte welchen Star verpasste: Bei manchen, wie dem fränkischen "Tatort"-Sonderling Fabian Hinrichs oder der stets etwas mysteriös besetzten Jeanette Hain werden auf witzige Art Schubladen bedient: Hinrichs spielt den ehemaligen Klassenprimus und Besserwisser. Einen, den keiner leiden konnte, der heute – natürlich sehr erfolgreich – in Los Angeles lebt und eigentlich gar nicht eingeladen war. Jeanette Hain verkörpert die ebenso schöne wie seltsame Marion, damals Zielobjekt vieler Jungsträume, die aber auch heute noch "wie auf Pilzen" daher redet. Was ist mit dieser Frau bloß los?
Oder auch Kida Khodr Ramadan ("4 Blocks"), der mit Geldscheinen und großen Sprüchen um sich schmeißt, um im Gangsta-Style seine Migrantenkind-Erfolgsstory überlebensgroß unter die Leute zu bringen. Andere, wie Annette Frier (als leicht verklemmte Biedermann-Dauerfreundin Oliver Wnuks seit Abi-Tagen) oder die Dortmunder "Tatort"-Kommissarin Anna Schudt als älter gewordene Girlie-Spaßkanone sind eher gegen den Strich besetzt. Selbst ein alter Lehrer hat den Weg zur Kegelbahn gefunden: Burghart Klaußner ("Das weiße Band") gibt den alten Deutschlehrer Herrn Rebentisch, den auch nicht jeder gerne wiedersieht.
Gemeinsam, mal in größeren, dann wieder in intimen Gruppen, werden jene 25 Jahre Leben, die seit dem Abi vergangen sind, reflektiert: Wer hat wie viele Kinder und macht welchen Job? War das Leben gut zu den Protagonisten? Und wenn sie behaupten, es wäre so – stimmt das überhaupt?
Traurige und tröstende Wahrheiten
Jan Georg Schütte, der als "Carsten" selbst eine kleinere Rolle übernahm, brauchte nur zwei Tage, um – dank zwei Dutzend Kameras – seine 130 Stunden Material einzufangen. Bei ihm kann man als Schauspieler wirklich zeigen, was man drauf hat. Es ist tatsächlich Spielfreunde pur, die man bei fast allen Akteuren erkennen kann. Und das Drama, es ergibt sich nach 25 Jahren Leben fast von allein. Jeder, der selbst mal ein solches Klassentreffen ab der Lebensmitte besucht hat, kann ein Lied davon singen. Sämtliche animprovisierten Handlungsstränge am Ende jedoch zu einem Drama zu verdichten, das nicht nur im Alkohol-Exzess endet, sondern auch ein paar traurige und tröstende Wahrheiten bereithält – das ist schon große Kunst.
Georg Schütte und dem produzierenden Sender WDR darf man als Zuschauer dieses faszinierenden Stücks improvisierten, aber echten Lebens durchaus dankbar sein.