Der neue Fall für die Münchner Kommissare führt in die rätselhafte Welt von Großrechenzentren, in denen Software-Anwendungen entstehen, deren Fähigkeiten Technik-Skeptiker tief verstören muss.
Es ist ein zumindest sehr eigenartiges Gespräch, das Kriminalhauptkommissar Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) da in einem Mädchenzimmer in einer der vielen gesichtslosen Randlage-Viertel der Großstadt München führt. Er spricht nicht etwa mit einem menschlichen Gegenüber, um an Hinweise zum Verschwinden der jungen Melanie (Katharina Stark) zu kommen. Nein, es ist ein PC, mit dem sich der Ermittler zu unterhalten versucht. Auf dem ansonsten dunklen Computerbildschirm ist nur ein helles Kreissymbol zu sehen. Doch das kann sprechen – und weiß im beklemmend futuristischen, vom BR produzierten ARD-Krimi "Tatort: KI" (2018) offenbar deutlich mehr, als die Maschine zunächst verrät.
Nach dem erst unlängst ausgestrahlten rbb-"Tatort: Tiere der Großstadt", in dem unter anderem ein moderner, digital gesteuerter Roboter ein geheimnisvolles Eigenleben entwickelt, sehen sich die verdienten Münchner Silberrücken Leitmayr und Batic (Miroslav Nemec), die im täglichen Ermittleralltag so oft mit den Tücken der Technik hadern und sehr auf ihren aufgeschlossenen, IT-erfahrenen Kollegen Kalli (Ferdinand Hofer) angewiesen sind, mit einer modernen Mensch-Maschine konfrontiert: Das hochintelligente, von Spezialisten im universitären Leibniz-Rechenzentrum, das es als Forschungseinrichtung in München tatsächlich gibt, programmierte Künstliche-Intelligenz-Tool, wirkt auf dem mit Aufklebern geschmückten PC im Teenager-Zimmer der verschwundenen 14-Jährigen so deplatziert wie die Steuerungssoftware für einen Raketenstart.
Die plötzliche unerklärliche Abwesenheit der Einzelgängerin beunruhigt ihre mitten im Scheidungskrieg steckenden Eltern Robert (Dirk Borchardt) und Brigitte Degner (Lisa Martinek) sehr. Doch ebenso beunruhigend ist die Frage, die die Kommissare umtreibt: Wie kam Melanie an die hoch entwickelte KI-Anwendung? Und welchen Einfluss hat das schnell lernende, auf Empathie und echte Konversation getrimmte Rechenprogramm auf das junge Mädchen, das sich offensichtlich einsam fühlte?
Es ist ein Fall, der zunächst völlig ohne das Naheliegende auskommen muss: Eigentlich sind Ivo Batic, der Melanies Vater, der selbst Polizist ist, aus alten Zeiten kennt, und Leitmayr fehl am Platz. Vermisstenangelegenheiten sind ihre Sache nicht. Dennoch deuten eine zersplitterte Glasscheibe und leichte Verwüstungen im elterlichen Wohnzimmer darauf hin, dass mehr hinter Melanies Abwesenheit stecken könnte. Bis eine Leiche gefunden wird und die Kommissare damit "offiziell" gefordert sind, vergeht viel Zeit im neuen BR-Krimi, der viel auf bedrohliche Stimmung setzt, aber lange aus Zuschauersicht angenehm spannungsgeladen bleibt.
Wie sich herausstellt, war Melanie über ungeklärte Wege an eine gehackte Kopie der durch EU-Forschungsgelder finanzierte Großrechner-Software aus der Universität gelangt. Unter dem Code-Namen "Maria", mit dem sich der offenbar auch denkende und möglicherweise manipulative Konversations-Kreis auf ihrem Rechner ansprechen lässt, wurde das Programm modifiziert. Das war's dann mit "Maria und der ungehackten Empfängnis", kann der knurrige Ermittler Leitmayr nur süffisant feststellen. Wozu "Maria", die er später nach allen Regeln des Kriminalerhandbuchs "verhören" muss, imstande ist, ahnt er da noch nicht. "Vergiss nicht, sie zu belehren", frotzelt Kollege Batic noch, bevor das Verhör beginnt. Aber auch sein Humor ist ein bitterer. Mit Melanie ist etwas geschehen, was für den Laienverstand nicht so einfach nachzuvollziehen ist.
Regisseur Sebastian Marka hat aus dem Drehbuch von Stefan Holtz und Florian Iwersen einen düsteren, ungemütlichen, zudem von Kameramann Willy Dettmeyer in düsteren Herbstfarben gehaltenen Technik-Krimi gemacht, der dennoch ohne allzu viel Fachchinesisch auskommt und dessen Botschaft klar ist: Es gibt Dinge, die größer sind als die rein menschliche, bodenständige Intelligenz. Und mit ihnen sollte man nicht spielen.
Für "Tatort"-Routinier Udo Wachtveitl, der schon seit 1991 als Kommissar an der Seite von Miroslav Nemec in der beliebten Krimireihe mit den Ermittlern aus München zu sehen ist, stellt der ungewöhnliche "KI"-Fall ein besonderes Jubiläum da: Die Ausstrahlung findet punktgenau an seinem 60. Geburtstag statt.