Drei Gänge zurück, zwei Schritte nach vorn: Der Headautor des Rostocker "Polizeirufs" lotst Til Schweiger mit sicherer Hand aus der Action-Sackgasse. Wenn das so weitergeht, wird einem der Kommissar Nick Tschiller am Ende noch sympathisch.
Ist ja nicht so, dass es das nicht gibt: einen NDR-Sonntagskrimi, der schroff ist und schnoddrig und rau wie der Norden. Und den die Zuschauer genauso lieben wie die Kritiker. Nur ist es halt kein "Tatort", und Til Schweiger kommt darin auch nicht vor. Aber das lässt sich ja vielleicht korrigieren. So kam es wohl, dass Eoin Moore, Erfinder der Rostocker "Polizeiruf"-Kommissare Bukow und König, beauftragt wurde, den größten lebenden "Tatort"-Star aus der Action-Sackgasse zu lotsen. Alle mussten einsehen: Selbst mit der Panzerfaust war da zuletzt kein Weiterkommen mehr.
So stehen nun alle Zeichen auf Reset im findig "Tschill Out" betitelten sechsten Fall für die Hamburger Ermittler Nick Tschiller (Schweiger) und Yalcin Gümer (Fahri Yardim). Im Begleitschreiben des Senders zur Ausstrahlung wird Til Schweiger mit einem Satz zitiert, den man sich auf der Zunge zergehen lassen muss. "Die Spannung in diesem 'Tatort' ergibt sich mehr aus der Psychologie und den komplexen zwischenmenschlichen Verwicklungen." Wow.
Nick Tschiller befindet sich den ganzen Film über auf der Nordseeinsel Neuwerk und plagt sich mit Albträumen aus fünf vorausgegangenen Kawumm-"Tatorten" – das kann man verstehen. Das Eiland wirkt wie eine Ausnüchterungszelle auf den Reizüberfluteten. 40 Einwohner, die Fähre fährt einmal am Tag. Tschiller ist hier im Zuge eines Disziplinarverfahrens gelandet und kümmert sich unterstützend um schwer erziehbare Jungendliche mit größtmöglichem pädagogischem Einfühlungsvermögen – nun gut: Einmal lässt er sie mit Paintball-Gewehren aufeinander ballern. Das geht natürlich in die Hose.
Das Verbrechen schwappt dann aber auch ganz unspielerisch auf die Insel. Kollege Gümer hat bei einem verpatzten Transport nach Spanien einen von zwei Kronzeugen an einen Attentäter verloren, den überlebenden Bruder weiß er nirgends sonst unterzubringen als beim Ex-Partner. Schließlich vermutet er beim Hamburger LKA eine undichte Stelle.
Nick Tschiller hat also fortan den bockigen Musiker Tom Nix (Ben Münchow) an der Backe, Sänger einer linksradikalen Punkband und Kronzeuge des LKA, nachdem er mit seinem erschossenen Bruder Eddie (Andreas Helgi Schmid) seine Drogen-Nebengeschäfte im Darknet offengelegt hatte. Auf dem Festland verdächtigt derweil Yalcin Gümer die junge Kollegin Robin Pien, der Maulwurf zu sein. Gespielt wird die neue Ermittlerin von der Tochter des Autors und Regisseurs: Man darf Zoe Moore eine Entdeckung nennen.
Das alles hat durchweg Thrill, keine Längen und erstaunlich viel Sinn und Verstand. Auch weil die Hauptfigur nicht neu erfunden wird, sondern nur ein paar Grad runtergekühlt. So unverbissen wie hier wird einem der Tschiller fast noch sympathisch. Der Kommissar a.D. bandelt sogar mit der bebrillten Sozialarbeiterin an, die man nicht unbedingt in seinem "Beuteschema" vermutet hätte. Die Pädagogin, gespielt von Laura Tonke, gibt nebenbei die Küchenpsychologin und vielleicht ja auch ein bisschen die "Tatort"-Kritikerin: "Merkste nicht, in was für einer Schleife du gefangen bist? Deine Sucht sagt dir die ganze Zeit: Wo kann ich hier den Helfer spielen, wo kann ich den Helden spielen? Du spielst den Supercop, und wieder sind Menschen in Gefahr."
Ganz ohne Supercop geht allerdings auch dieser Hamburger "Tatort" nicht zu Ende, was man Til Schweiger unbedingt zubilligen muss nach all der Psycho-Anamnese, auf die er sich eingelassen hat. Er muss sie nicht bereuen. Drei Gänge zurück, zwei Schritte nach vorn. Das ist eine Grundlage, auf der es weitergehen kann.
Tatort: Tschill Out – So. 05.01. – ARD: 20.15 Uhr