04.12.2018 EMS-Training

"Fit sein ist ein individuelles Körpergefühl"

Von Florian Blaschke

In der Medizin und im Profisport ist Training mit Hilfe elektrischer Muskelstimulation (EMS) schon Standard– jetzt gibt es auch für Privatanwender immer mehr Studios. Doch ist das Training wirklich so effektiv? Und: Ist es auch sicher? Wir haben darüber mit Diplom-Sportlehrer und Studiobetreiber Stephan Türk gesprochen.

In einer Kolumne in prisma schrieb ich vor einiger Zeit über das EMS-Training, es erinnere an Menschen, "die sich auf Gipfel fliegen lassen, weil ihnen das Wandern lästig ist, sie aber nicht auf den Ausblick verzichten wollen". Darüber haben Sie sich ziemlich geärgert und mir daraufhin einen längeren Leserbrief geschrieben. Warum?

Weil dadurch ein falsches Bild vom EMS-Training entsteht. EMS ist nämlich durchaus anstrengend, wenn man auf den "Gipfel der Trainingsziele" kommen will.

Meine Kolumne bezog sich auf den Werbeslogan eines Studios: "Warum stundenlang trainieren, wenn 20 Minuten pro Woche genügen?" Der suggeriert ja genau diese Mühelosigkeit. Was halten Sie davon?

EMS ist zeitsparend, weil in einem Moment alle Muskeln gleichzeitig stimuliert werden können. Dabei können auch mehr Muskelfasern als beim konventionellen Krafttraining rekrutiert werden. Zudem werden auch tiefliegende, kleine Muskeln gut erreicht. Alles zusammen ergibt eine hohe Effektivität im Vergleich zum konventionellen Krafttraining. Effektiv heißt aber nicht, dass es mühelos ist.

Wenn Sie einen Slogan texten müssten: Wie würde er lauten?

EMS – das neue Krafttraining oder: fit in 20 Minuten pro Woche.

Sie würden also schon sagen, dass EMS-Training genügt, um fit zu werden oder zu bleiben?

Fit sein ist ein individuelles Körpergefühl. Wer in seinen Körper investiert, wird sich mit Sicherheit besser fühlen, auch wenn es ein "nur" 20-minütiges Krafttraining pro Woche ist. Aus Sportlehrersicht empfehle ich zwei Mal pro Woche ein Ausdauertraining und ein Mal pro Woche ein Krafttraining. Damit wäre man im Breitensport gut aufgestellt.

Wie genau funktioniert denn das EMS-Training?

Der Strom lässt unsere Muskulatur kontrahieren. Die Stärke der Kontraktion wird über die Maschine geregelt. Die Stromimpulse gelangen über Nervenbahnen zur Muskulatur. Übrigens ist das nichts Körperfremdes, weil unser Gehirn ebenfalls elektrische Impulse über Nervenbahnen zur Muskulatur sendet, damit wir uns bewegen können.

Und gibt es Gefahren? Immer wieder liest man ja davon, beispielsweise von der Zerstörung der Skelettmuskulatur, der "Rhabdomyolyse".

Die gibt es nicht, wenn der Kunde von fachlich gut geschultem Personal begleitet wird. Eine Rhabdomyolyse ist kein EMS-spezifisches Phänomen. Die kann bei jeder Sportart eintreten, wenn zu intensiv belastet wird.

Welche Warnsignale gibt es da, auf die Sie achten und auf die Sportler achten sollten?

Gerade in der ersten Einheit darf es keine maximale Ausbelastung geben. In den folgenden Einheiten sollte die Intensität langsam gesteigert werden. Wichtig als Trainer ist: beobachten, hören und fragen.

Bieten Sie auch deshalb in Ihrem Studio eine ärztliche Betreuung an?

Viele Kunden haben Beschwerden am Bewegungsapparat oder andere Erkrankungen. Die Begleitung erhöht die Qualität des Angebots und gibt den Kunden und mir Sicherheit.

Die Deutsche Gesellschaft für klinische Neurophysiologie und funktionelle Bildgebung rät zudem, EMS nur unter Anleitung ausgebildeter Sportmediziner und Physiotherapeuten zu betreiben ...

Anleitung unter fachlich gut ausgebildetem Personal finde ich absolut richtig. Dass dies nur Sportmediziner oder Physiotherapeuten sein sollten, halte ich für überzogen. Auch die müssten sich noch EMS-spezifisch ausbilden lassen.

Die Einfachheit des Trainings reizt natürlich, es häufiger zu machen als empfohlen. Was halten Sie für vertretbar und gesund?

EMS ist Krafttraining und soll nach einer Einführungsphase kurz und intensiv sein. Je intensiver die Belastung, desto länger die Regeneration. Nach intensivem Training sollen im Mittel 48 bis 72 Stunden Pause erfolgen und spätestens nach einer Woche der nächste Reiz gesetzt werden. Daraus ergibt sich ein bis maximal zwei Mal pro Woche. Ich persönlich finde ein Mal pro Woche optimal bei einer Ausbelastung.

Für wen eignet sich das EMS-Training?

Für alle. Besonders aber für ältere Menschen und Menschen mit Beschwerden am Bewegungsapparat, etwa Rückenschmerzen.

Und für wen eignet es sich nicht?

Bei Herzschrittmacher, Schwangerschaft und schweren neurologischen Erkrankungen wie ALS oder Epilepsie. Bei anderen Erkrankungen empfehle ich vorab eine ärztliche Abklärung.

Auch das EMS-Training verbrennt Kalorien. Ist es damit die perfekte Diät?

Nein! Kein Training ist eine Diät. Es kann sie aber gut unterstützen. Krafttraining erhält oder verbessert bei Diäten die Muskulatur und damit den Grundumsatz.

Was kann das Training noch leisten?

Die Durchblutung, der Lymphfluss und der Stoffwechsel werden angekurbelt. Studien und meine Erfahrung zeigen zudem, dass es einen positiven Einfluss bei Antriebslosigkeit, Niedergeschlagenheit, Depression und Burn-out gibt.

Auch aus der Werbung kennt man Reizstrom-Geräte ja schon lange, Stichwort: Bauch-weg-Gurte. Was halten Sie davon?

Ganz einfach: Wer seine Bauchmuskulatur sti-muliert, wird nicht automatisch seinen Bauchumfang reduzieren.

BUCH-TIPP

Stephan Türk ist Diplom-Sportlehrer und Biologe. Nach dem Studium arbeitete er fünf Jahre als Sportlehrer und Erzieher in Kinder- und Jugendheimen. Nach einem Wechsel zum Kieser-Training betreibt er heute mehrere EMS-Studios im Rheinland – unter anderen in Dormagen, Grevenbroich und Pulheim. Gerade hat er im Eigenverlag das Buch "EMS– das neue Training" herausgegeben, das für 39,90 Euro bestellt werden kann (per E-Mail an s.tuerk@netcologne.de). Es enthält wissenschaftliche Erläuterungen zu Muskelaufbau, Elektrostimulation und Trainingsgestaltung.

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