27.08.2015 Gesundheit und Langlebigkeit

Lang leben die Ikarier

Ikaria - der Hafen von Agios Kirykos
Ikaria - der Hafen von Agios Kirykos Fotoquelle: kostasgr/shutterstock.com

Kann es Orte geben, wo die Kraft des ewigen Lebens wohnt? Wo die Menschen alt und älter werden? Mitunter liest man davon. Die japanische Insel Okinawa, sagt man, sei die Insel der steinalten Frauen. Oder die Nuoro-Provinz auf Sardinien, das Hunza-Tal in Pakistan, die Nicoya-Halbinsel in Costa Rica – lauter Regionen, wo der Takt des Lebens erst spät zum Stillstand kommt. Später als im hektischen Mitteleuropa oder in Megastädten Asiens und Amerikas.
Ein Forscherteam, das im Auftrag der amerikanischen National Geographic Society das Geheimnis des Altwerdens untersucht, stieß in diesem Zusammenhang auf die Insel Ikaria in der nördlichen Ägäis. Sie wurde dem Team zum Musterfall, und das nicht nur, weil man unter den 8350 Inselbewohnern auf sonderbar viele 90- oder 100-Jährige stieß; es ließ sich auch beweisen.

Detaillierte Dokumentation

An etlichen Orten, denen das Methusalem-Fähnchen angeheftet wird, altern die Leute schneller als Forscher notieren können. "Kaum haben sie spitzbekommen, dass man sich für sie interessiert", sagt der belgische Demograph Dr. Michel Poulain, "sind die eben noch 82-Jährigen 100 geworden."
Auf Ikaria aber, wo der Legende nach der Flieger Daedalus seinen tollkühnen Sohn Ikarus begraben haben soll, ist alles bestens dokumentiert. Die Geburtsurkunden sind vorhanden. Und weil im griechischen Bürgerkrieg (1946-1949) viele Kommunisten nach Ikaria deportiert wurden, was in zahlreichen Dokumenten Niederschlag fand, ist die Aktenlage doppelt abgesichert.
 
Auf Ikaria überschreiten die Menschen zweieinhalb Mal häufiger die 90-Jahr-Grenze als sonst in der EU. Altersleiden wie Krebs oder schwerwiegende Herzkrankheiten setzen statistisch acht bis zehn Jahre später ein als in Deutschland oder den USA. Die Hälfte aller  Nordamerikaner über 85 wird von Alzheimer oder anderen Demenzen geplagt. Auf Ikaria ist kein einziger Fall bekannt.
Und dann gibt es da noch Stamatis Moraitis. Auf Ikaria geboren und 1943 im Kampf gegen die Deutschen verwundet, setzte er sich in die USA ab. Dort brachte er es zu bescheidenem Wohlstand. 1976 wurde bei ihm Lungenkrebs diagnostiziert, die Ärzte gaben ihm noch neun Monate.  Stamatis, damals 66, beschloss auf seiner Heimatinsel zu sterben.
Im Kreise der Freunde von früher sollte es ein fröhlicher Tod werden. Man trank Wein und lachte viel. Er legte einen Garten an und bald auch einen kleinen Weinberg. "Mein Frau wird ernten", sagte er, "wenn ich unter der Erde bin."
Heute ist Stamatis 102 Jahre alt und krebsfrei. Er hat, behauptet er, nie eine Pille geschluckt. Der Weinberg ist mit der Zeit größer geworden und liefert ca. 1600 Liter im Jahr. Gott Dionysos, der den Wein von Ikaria besonders geschätzt haben soll, hätte seine Freude daran.

Geheimnis?
Gibt es ein Geheimnis für die Gesundheit der Ikarier? Der örtliche Arzt Dr. Ilias Leriadis, der sein Alter nicht verrät, erwähnt einen "Bergtee" aus getrockneten einheimischen Kräutern. Die Ikarier trinken ihn vor dem Einschlafen. Und sie schlafen lange.
"Vor zehn, elf Uhr morgens", sagt Dr. Leriadis, "steht hier keiner auf." Er verweist weiter auf den wilden Majoran mit seinen ätherischen Ölen, auf Fliskouni (einen Minztee) sowie auf ein Getränk aus Löwenzahn und darauf, dass Honig als Allheilmittel eingesetzt werde; und dass sehr viel Wein getrunken wird auf Ikaria.
Einen Flughafen hat Ikaria, die Insel des Ikarus, übrigens nicht.