Wer das Geheimnis von Aarhus lüften will, muss hinter dem Eisberg links abbiegen. Muss vorbei an den eisblau verglasten Balkonen dem Weg am Wasser folgen, immer Richtung Nordosten. Dann öffnet sich nach kurzer Zeit, geschützt von einem flachen Erdwall, der "Garten" – 6.000 Quadratmeter Asphalt. Darauf verteilt: unzählige Holzkisten, Hochbeete und Gewächshäuser. Der "Ø-Haven" hinter dem "Isbjerget", einer Neubausiedlung im alten Containerhafen der Stadt, ist eines dieser Projekte, bei denen man begreift, wie sie sich das gedacht haben müssen mit Aarhus und dem Auftrag, Kulturhauptstadt zu sein. Hier, im Ø-Haven, dürfen die Aarhusianer ernten, was seit einigen Jahren gesät wird, im wahrsten Sinne des Wortes: Blumen, Gemüse, Kräuter – was auch immer sie anbauen wollen hinter ihren futuristischen Häusern.
Ganz nebenbei versucht Aarhus mit dem kostspieligen Neubauviertel aber auch, etwas zu erschaffen, was der Stadt lange Zeit gefehlt hat: Hafenflair. Denn obwohl die Stadt am Wasser liegt: Ihr Zentrum befindet sich weiter westlich, am Kanal "Aarhus Å". Und so entstand neben Isbjerget, dem "Eisberg", oder dem Ø-Haven in den letzten Jahren auch das "Dokk1", mit rund 30000 Quadratmetern größte Bibliothek Skandinaviens – ein offenes Bürgerhaus mit hohen Fenstern, bequemen Sesseln, Parkplätzen für Kinderwagen und viel Raum zum Spielen und Toben für den Nachwuchs –, noch so ein Ort, an dem das Geheimnis dieses Kulturhauptstadtjahres durchscheint.
Seit Jahren investiert Bürgermeister Jacob Bundsgaard Millionen in Architektur, Bildung oder Kultur. Doch Aarhus betreibt diese Stadtentwicklung für die Menschen – nicht nur für Investoren. Rund 7000 Aarhusianer sollen im neuen Hafen einmal leben, 12000 hier arbeiten.
Schaut man sich Aarhus aus der Luft an, wird der gigantische Umbau noch deutlicher. Dann heben sich die grauen Finger des Hafens von den roten Dächern der Altstadt ab, die wie von einem Flickenteppich von grünen Tupfern eingerahmt wird. Von Wäldern im Norden und Süden, von Parks im Westen. Und natürlich: vom Kattegat im Osten, diesem Stück Meer, das so richtig nirgendwo dazugehören mag – nicht zur Ostsee und nicht zur Nordsee. Schaut man sich Aarhus aus der Luft an, entdeckt man – ein wenig südlich der Altstadt – auch ein graues, dreieckiges Areal: den Busbahnhof der Stadt. Betritt man von hier aus den Hof des alten Terminals, betritt man ein Stück des neuen Aarhus.
Der Duft von gegrilltem Fleisch und asiatischem Essen hängt in der Luft, an langen Tischen sitzen Familien, Gruppen und Paare, essen, trinken und klönen – und in der mit Glasgiebeln überdachten alten Halle des Terminals reiht sich Bude an Bude. "Aarhus Street Food" ist eines dieser Projekte, das mindestens ebenso viele Einheimische anzieht wie Touristen. Und damit ein Ort, der ebenfalls stellvertretend für das Kulturhauptstadtjahr 2017 steht – ein Street-Food-Markt, der mehr bieten will als nur Essen. Ein Ort des Austauschs.
Dabei bietet der Titel der Kulturhauptstadt nicht nur Chancen. Wo Investitionen getätigt werden, wo eine Stadt sich hinterfragt und verändert, prallen Interessen aufeinander und da drohen immer auch Menschen auf der Strecke zu bleiben. Deshalb, so betont Anne Hübner, Marketing-Chefin von "Visit Aarhus", sei es in der zweitgrößten dänischen Stadt von Anfang an darum gegangen, die Bevölkerung mit einzubeziehen – ein Kulturhauptstadtjahr zu organisieren, von dem die Stadt, von dem die Aarhusianer etwas haben. Auch über 2017 hinaus.
Dieser Anspruch zieht sich durch fast alle Projekte, die Aarhus unter dem Motto "Let’s Rethink" auf den Weg bringt. Doch die Stadt sieht sich nicht als Einzelkämpfer. Die gesamte Region "Midtjylland" mit ihren Kleinstädten und Dörfern wurde mit einbezogen, ausgediente Gebäude wie ein altes Gefängnis, eine stillgelegte Malzfabrik oder das Viborger Arsenal wurdenumfunktioniert und beherbergen Projekte aus Kunst und Kultur. Mehr als 10.000 Menschen aus der gesamten Region haben sich bislang am Projekt beteiligt, diesem "kulturellen Labor", wie die Kulturhauptstadt sich nennt. Und: Aarhus legt besonderen Wert darauf, eine Hauptstadt für Kinder und Jugendliche zu sein. Was im Dokk1 mit Spielplätzen beginnt, setzt sich über Diskussionen und Workshops bis hin zu Wettbewerben fort. Die gar nicht immer spielerischen Themen: Ausbildung, Demokratie, Kunst und Kultur, Geschichte, Architektur oder Sport.
Und so gibt Aarhus seinen Menschen, seiner Geschichte, aber natürlich auch sich selbst eine spektakuläre Bühne und feiert das Leben, weil es gut ist hier im Osten Dänemarks. Nicht nur links hinter dem Eisberg.
Die prisma-Tipps für Ihren Aarhus-Besuch
Hotel-Tipp: Das Hotel Oasia liegt fußläufig zum Hauptbahnhof von Aarhus und bietet ein charmantes, gediegendes Interieur in einem herrlichen Altbau.
Restaurant-Tipps: Perfekt für einen Snack oder ein lockeres Abendessen sind der Central Food Market in direkter Nähe zum Hauptbahnhof oder der Aarhus Street Food Market im alten Busbahnhof. Im Central Food Market finden Sie verschiedenste, teils internationale Küchen, von bodenständig bis luxuriös. Der Street Food Market bietet an 30 verschiedenen Ständen Street Food aus aller Welt in lockerem Ambiente.
Für alle, die es gediegender mögen: 2017 wurden gleich vier Restaurants in Aarhus mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet. Darüber hinaus erhielten zwei Restaurants die Auszeichnung "Bib Gourmand", zahlreiche weitere Restaurants werden als besuchenswert empfohlen. Sterneküche bekommen Sie in Aarhus im SUBSTANS, im Gastromé, im Domestic und im Frederikshøj.
Café-Tipp: In der Alstadt von Aarhus finden sich viele kleine Cafés in direkter Nachbarschaft. Besonders zu empfehlen: das Café Drudenfuss, eine Institution mit herrlichen kleinen Bistrogerichten und einer quirligen Atmosphäre.
Shopping-Tipp: Nicht nur die vielen Boutiquen in der Altstadt machen einen Stadtbummel durch Aarhus mehr als lohnenswert. Daneben finden Sie im Kaufhaus "Magasin du Nord" eine große Auswahl an exklusiven und modernen Marken aus der ganzen Welt und in "Illums Bollighus" auf drei Etagen eine hochwertige Auswahl an dänischem und internationalem Design.
Museums-Tipps: Gleich drei Museen in und um Aarhus lohnen einen Ausflug. Im Herzen der Stadt steht das Freilichtmuseum "Den Gamle By" (Die Alte Stadt), das eine Reise zurück in die Vergangenheit bietet. Alte Häuser, altes Handwerk und ein ganzer Straßenzug aus den 1970er-Jahren wollen entdeckt werden. Und natürlich bietet das Museum auch Ausstellungen zur Stadtgeschichte der alten Wikinger-Siedlung Aarhus an. Das ARoS-Kunstmuseum, das ebenfalls zentral liegt, ist mit seiner Sammlung moderner und zeitgenössischer Kunst, 1859 von Bürgern von Aarhus gegründet, eines der herausragenden Kunstmuseen Nordeuropas. Vor allem die Installationskunst findet hier ein Zuhause, aber auch die dänische Kunst des dänischen Goldenen Zeitalters im 19. Jh.: Christoffer Wilhelm Eckersberg, Christen Købke, Johan Th. Lundbye, Jørgen Roed, Martinus C. W.Rørbye, Wilhelm Marstrand und P.C. Skovgaard. Ein wenig außerhalb der Innenstadt mitten im Grünen liegt das Moesgaard-Museum. Zwischen 2011 und 2014 wurde diesem Haus ein 16.000 Quadratmeter großer Neubau errichtet, der in einen Richtung Süden abfallenden Hang eingelassen wurde und über ein teils grasbewachsenes begehbares Pultdach verfügt. Dahinter: ein Freilichtmuseum mit Rekonstruktionen von Wikingerhäusern. Im Museum selbst finden Ausstellungen zur dänischen Vor- und Frühgeschichte statt. Perfekt für einen Ausflug mit Kindern.
Architektur-Tipp: Das Rathaus von Aarhus wurde nach den Plänen der dänischen Architekten Arne Jacobsen und Erik Møller gebaut und 1941 eröffnet. Mit seinem Turm (samt Glockenspiel), drei originalen Aufzüge mit Kabinen aus Holz und seiner ungewöhnlichen Fassade aus norwegischem Marmor gehört es zu den aufsehenerregndsten Bauten der Stadt. Das Gebäude ist öffentlich zugänglich, der Turm kann zu bestimmten Anlässe gegen Gebühr besichtigt werden.