22.09.2015 Reise

Der Zug, die Wildnis und selige Ruhe

Von Pia Hoffmann
Landschaft mit Zug: Wie eine Riesenschlange windet sich der Rocky Mountaineer durch die Weiten Kanadas.
Landschaft mit Zug: Wie eine Riesenschlange windet sich der Rocky Mountaineer durch die Weiten Kanadas. Fotoquelle: Rocky Mountaineer

Kanada: mit dem Rocky Mountaineer auf alten Pioniertrassen.

Es ist früh am Morgen in Vancouver, British Columbia, als die ersten Sonnenstrahlen auf die blitzblanken Waggons treffen. Begleitet von einem Dudelsackspieler schreiten die Passagiere über einen roten Teppich zu dem historischen Zug. Auf dem beflaggten Bahnhof herrscht ehrfurchtsvolle Erwartung wie bei einem Staatsakt. "All aboard", schallt es über den Bahnsteig, und schon jetzt ist klar: Eine Reise mit dem Rocky Mountaineer ist keine gewöhnliche Zugfahrt.

Die stolze Flotte der kanadischen Eisenbahngesellschaft besteht aus neun Lokomotiven und 75 gold-blauen Waggons, einige davon sind doppelstöckig.

Wie im Flugzeug haben die Passagiere Sitze mit verstellbaren Klapptischen in der Rückenlehne des Vordermanns. Die Stewardessen heißen hier "On-Board-Hostessen" und tragen dunkelblaue Uniformen mit goldblauen Halstüchern.

Nur die Wolken sind anders als im Flieger nicht durch winzige Fenster, sondern durch ein großes Panoramadach zu sehen, das sich wie eine gläserne Kuppel über Ecken und Seitenwände zu Fenstern wölbt. Der Sonnenaufgang über den Rocky Mountains wird so zu einem dramatischen Rundumschauspiel, ganz wie in einem 360-Grad-Kino.

Dieses Naturerlebnis genießen allerdings nur die Passagiere, die den GoldLeaf-Service gebucht haben und in den entsprechend komfortablen Panoramawagen sitzen. Die anderen Gäste reisen in einstöckigen Waggons mit zugüblichen Panoramafenstern, was trotz eingeschränkter Sicht zum Himmel den Landschafts- und Naturbeobachtungen keinen Abbruch tut. Aus vier Service-Klassen können die Fahrgäste wählen: vom günstigsten Red-Leaf-Tarif, der nur kalte Speisen und alkoholfreie Getränke einschließt, über SilverLeaf und GoldLeaf bis hin zur GoldLeaf-Deluxe-Kategorie mit Gepäckservice, geräumiger Aussichtsplattform im Freien und À-la-carte-Restaurant.

Dort, ein Bär! Aber ach, es war Gestrüpp

Der Zug fährt entlang fünf historischer Strecken quer durch den Pazifischen Nordwesten, durch die Provinzen (Bundesstaaten) British Columbia und Alberta. Damit unterwegs keine Sekunde der Eisenbahnromantik verloren geht, verkehrt der Rocky Mountaineer nur tagsüber. Zahlreichen internationalen Auszeichnungen zufolge zählt die Fahrt von Vancouver nach Calgary zu den eindrucksvollsten Bahnstrecken der Welt.

Wie ein schmaler Fluss schlängelt sich die Trasse durch die Weiten Kanadas. Am Fuße des Mount Robson, mit 3954 Metern der höchste Gipfel in den kanadischen Rockies, wirkt der Rocky Mountaineer wie ein winziger Spielzeugzug.

Oft lehnen sich die Passagiere in den Kurven über die offenen Zugplattformen, um zu fotografieren, wie sich das Vorderteil des Zugs durch die Landschaft windet. Fotostopps sind leider nicht möglich, doch an spektakulären Aussichtspunkten drosselt der Lokführer die Geschwindigkeit. Schließlich soll eine Reise mit dem Rocky Mountaineer ein nachhaltiges Erlebnis sein.

Ein Großteil der Strecke führt durch einsame Wildnis. Abschalten und Zu-sichselbst-Finden stellen sich automatisch und ganz ohne Wellnesscenter ein. Wie entspannend es doch sein kann, einfach mal den Kopf zurückzulegen und durchs Panoramadach zu beobachten, wie Fisch- und Weißkopfadler über den Waggons ihre Kreise ziehen.

Neben den Gleisen äsen friedlich ein paar Hirsche, und ab und zu ist aus dem Zugfenster auch mal ein Elch oder ein Wapiti zu sehen. Es soll sogar Schwarz- und Grizzlybären geben, die sich bis an die Zugstrecke vorwagen, was mehrmals während der Fahrt für Aufregung in den Waggons sorgt. Doch in den meisten Fällen entpuppt sich der Bär als Windstoß oder Gestrüpp.

Landschaftsprägend ist der Fraser River, der mächtigste Fluss in British Columbia, der an seiner engsten Stelle nördlich von Yale nur 33 Meter breit ist. In einem Canyon zwängen sich 72 Millionen Tonnen Wasser pro Minute durch eine schmale Felsspalte; doppelt so viel, wie an den Niagarafällen die Felsen hinabstürzt.

Die Wassermassen und die aufschäumende Gischt haben der Stelle den Namen "Hell's Gate" eingebracht.

Übernachtung in Kamloops

Auch der Ortsname "Salmon Arm" kommt nicht von ungefähr. Zu bestimmten Jahreszeiten tummeln sich hier Wildlachse, die so farbintensiv wirken, dass sie vom Zugfenster aus sichtbar sind. Jedes Jahr kehren die Schwärme an ihren Ursprungsort zurück. Dabei ist der Fraser River ihre wichtigste Reiseroute.

Vor 130 Jahren, am 7. November 1885, wurde in der kleinen Siedlung Craigellachie der letzte Schienenbolzen eingeschlagen – eine Stelle, die der Zug auch heute noch passiert. Ein Schienenstück, eine alte Lok und eine Gedenktafel erinnern dort an das große Ereignis und sind bei den Passagieren ein beliebtes Fotomotiv. Damals war der Bau einer Bahnstrecke in der unwirtlichen Landschaft außerordentlich schwierig. Für die Kleinstadt Kamloops, die auf halber Strecke zwischen Vancouver und Calgary liegt, zahlt sich die Investition jedoch bis heute aus, denn hier legt der Rocky Mountaineer gleich auf zwei Strecken einen Übernachtungsstopp ein, was den Hotels jedes Mal bis zu 1000 Übernachtungsgäste beschert.

Seit 1990 durchquert der Rocky Mountaineer nun schon auf historischen Trassen die Wildnis der kanadischen Rockies. Fast zwei Millionen Passagiere aus der ganzen Welt sind seitdem mit dem Zug gereist und haben das Unternehmen zum weltweit größten Anbieter von Luxuszugreisen gemacht.

Neben einer Ausweitung der Serviceangebote an Bord sind fürs Jubiläumsjahr Vorstöße ins Streckennetz der USA und eine Zusammenarbeit mit Norwegian Cruise Line geplant, um künftig weitere Kombinationen aus Bahn- und Schiffsreisen zu ermöglichen.

Ein Bildband, der zum Silberjubiläum erschienen ist, verdeutlicht, dass die letzten 25 Jahre für den historischen Zug vor allem eines waren – bahnbrechend.

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