12.07.2016 Reise

Hier geht's zum Mittelpunkt der Welt

Von Feen und Fußball: Island ist wirklich so: wild, märchenhaft und musikalisch.
Von Feen und Fußball: Island ist wirklich so: wild, märchenhaft und musikalisch. Fotoquelle: Ovchinnikova Irina / Shutterstock.com

Die Leidenschaft Islands heißt nicht Fußball, sondern Gesang. Außerdem gibt es viel mehr Elfen als Einwohner.

Dass ganz Island nicht mehr als 323.000 Einwohner zählt, weiß seit der Fußball-EM jedes Kind. Dabei ist die Insel im Nordatlantik größer (und schöner) als die Schweiz mit acht Millionen Einwohnern. Sie ist auch größer und viel schöner als Bayern mit zwölf Millionen.

Das ergibt einen Quotienten von Einwohner zu Fußball-Erfolgserlebnis, der weltweit einmalig ist und nur getoppt werden kann, sollte Liechtenstein eines Tages Weltmeister werden, also nie.

Wer Island begreifen will, sollte seinen vielen Dichtern lauschen, zum Beispiel Sigurdur A. Magnusson, der geschrieben hat: "Die Isländer sind auf die gleiche Weise unreif, wie die Jugend unreif ist." Soll heißen: klug und oberflächlich, lernbegierig und voller Fantasie.

Was die Einwohnerzahl angeht, hat Island die Welt getäuscht. Das Eiland ist in Wahrheit von einem zahlenmäßig nicht näher erfassten "Huldefólk" besetzt. Es lauert in jeder Höhle, hinter jedem Grasdachhaus, es flattert in Menschengestalt umher und greift, wie man mutmaßen muss, auch in Fußballspiele ein. Es handelt sich um Elfen, die zu Island passen wie das Nordlicht und die Wasserlauge, die den Geysiren entspringt.

Außerdem singen sie, die Elfen. Im Frühjahr ist eine CD mit Elfenmusik erschienen, "Álfadans" heißt sie (www.islandamusic.com): Gesänge wie der Wind oben auf dem 1700 Meter hohen eisbedeckten Arnafell; oder auf dem Vulkan Katla, bevor er ausbricht und Europas Luftraum mit Asche zuregnet.

Elfengesang ist der vielleicht tiefste Ausdruck einer Volksseele (ein zweifelhaftes Wort, aber in diesem Fall vielleicht ausnahmsweise?), die sich ganz und gar dem Gesang verschrieben hat. Singen ist Islands Passion, größer als Fußball.

In dem Spielfilm "Cold Fever", in dem es einen Japaner nach Island verschlägt, wird kaum ein Wort gesprochen. Die Isländer singen immerfort, der Japaner läuft gegen fröhliche Chöre an, die keine Auskunft geben.

Die Hingabe an die heilende Kraft des Gesangs muss mit der Natur zusammenhängen, die übermächtig und wie ein Bühnenbild über dem Alltag thront. Kaum einer der 100.000 Quadratkilometer Inselfläche, auf dem es nicht blubbern, grummeln, dampfen oder beben würde. Lavafelder, Moosflächen, Gletscher, Hunderte von Niagaras und Millionen Schafe im Wollmantel prägen das Landesinnere, das dem Touristen, der dort nicht länger verweilen muss, romantisch schön und auch ein wenig außerirdisch erscheint.

Nur hier konnte Jules Verne das Einstiegsloch für seinen Roman "Die Reise zum Mittelpunkt der Erde" finden, nämlich im Krater des Vulkans Snaefellsjökull auf einer westlichen Halbinsel Islands. In einem anderen Roman, "Das wiedergefundene Paradies" (womit Island gemeint ist), schreibt der bekannteste Schriftsteller des Landes, Halldor Laxness (1902–1998): "Wenn die Welt in den Augen unserer Kinder nicht mehr voller Wunder ist, dann ist nicht mehr viel übrig."

So ist das im Land der Unreife. Aber zur Not greifen die Elfen ein.

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