12.07.2022 Urlaub auf Menorca

Die schüchterne kleine Schwester

Von Jürgen Grosche
Eine Gasse mit Blick auf das Meer in der Altstadt von Mahón.
Eine Gasse mit Blick auf das Meer in der Altstadt von Mahón. Fotoquelle: picture alliance / pressefoto_korb | Micha Korb

Noch immer steht Menorca im Schatten der großen Baleareninsel Mallorca. Zu Unrecht – bietet die kleine Schwester doch tolle Landschaften, Jahrtausende alte Kultur, leckere Kulinarik – und viele Strände hat sie auch.

Von Jürgen Grosche Von da oben hat man einen Überblick über die ganze Insel: Der Monte Toro, die höchste Erhebung Menorcas, ragt gerade mal 358 Meter über den Meeresspiegel, doch die Anfahrt verläuft über eine beachtlich kurvige Straße nach oben. Dort schiebt sich im Südwesten das Tramuntana-Gebirge Mallorcas ins Blickfeld, scheinbar nur wenige Kilometer entfernt. Kein Wunder, dass Mönche den kontemplativen Ort für sich auserkoren haben. Das Augustiner-Kloster neben der Wallfahrtskirche zu Ehren der Patronin Menorcas, der Verge del Toro, wurde zwar 1835 geschlossen, aber heute leben dort sechs südamerikanische Nonnen in Klausur und hüten den Wallfahrtsort.

Die Touristen erspähen vom Berg aus die Ziele ihrer Urlaubsreise. Zum Beispiel die beiden wichtigsten Städte der Insel, im Westen das mittelalterlich anmutende Zentrum Ciutadella und im Osten die heutige Hauptstadt Mahón oder Maó, wie die Menorquiner sagen. Die Städte sind nur 45 Straßenkilometer voneinander entfernt, so weit wie der Kölner Dom von der Düsseldorfer Lambertuskirche. Das ist nicht die einzige Gemeinsamkeit der menorquinischen und rheinischen Städte.

Ciutadella und Mahón

Wie Köln ist Ciutadella Bischofssitz, dem Mahón aber den Rang der Inselhauptstadt weggenommen hat (Düsseldorf, nicht Köln, ist NRW-Landeshauptstadt). Entsprechend ähneln sich die Nickeligkeiten der Städte. "Wir haben hier also auch so ein Köln-Düsseldorf-Ding", erklärt Jutta Vaupel. Die Reiseführerin lebt schon seit 1991 auf Menorca, kennt und liebt die Insel und ihre Bewohner und verfügt über erstaunliches Wissen, etwa über die historischen Hintergründe.

Lange war Ciutadella die Hauptstadt Menorcas, verteidigte aber auch später ihre wirtschaftliche Position. Die vor allem zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert errichteten Herrenhäuser der Adligen mit ihren Ehrfurcht gebietenden Foyers mit eleganten Treppen zeugen noch heute von der Pracht der Zeit. Aus strategischen Gründen hatten indes die Briten nach der Besetzung der Insel im 18. Jahrhundert ihre Verwaltung und damit die Hauptstadtfunktion ans andere Inselende nach Mahón verlegt. Der über fünf Kilometer lange fjordähnliche Natur- und Tiefseehafen, der größte im Mittelmeer, war einfach zu verlockend. Den britischen Einfluss erkennt man in der Hauptstadt noch immer, etwa an den zahlreichen Erkern und Bogenfenstern. Und eine Gin-Destillerie hat Mahón auch. Die britischen Soldaten wollten den Wacholderschnaps so trinken, wie sie ihn kannten. Noch heute wird der Gin Xoriguer genau nach dem Rezept von 1750 destilliert. Und exportiert: Heute rangiert der deutsche Markt vor dem britischen. Jugendstilgebäude, das älteste Opernhaus Spaniens (erbaut 1829) und die erste Stadt auf Balearen mit elektrischem Licht (seit 1892) – das Inselhauptstädtchen bietet mit seinen knapp 30.000 Einwohnern – ähnlich viele leben in Ciutadella – den Besuchern einen großen Schatz an Kultur und Geschichte.

Wie Menorca insgesamt. Seit Jahrtausenden ist die Insel bewohnt, wovon neben Festungsanlagen und Kirchen vor allem die 1574 prähistorischen, megalithischen Monumente zeugen, die größte Konzentration im Mittelmeerraum, wie Jutta Vaupel erläutert. Wenn die Reiseführerin ihre Gäste an die Tempelanlage Torralba d’en Salort führt, vor der T-förmigen Taula in der Mitte stehend deren Größe verdeutlicht und die archäologischen Erkenntnisse zusammenfasst, dann läuft im Betrachter ein Film im Zeitraffer ab, in dem vorhistorische Kulturen, Phönizier, Karthager, Römer, Araber, Spanier, Franzosen, Engländer auf- und wieder abtreten.

Der Tourismus kam erst spät

Eine so reiche Geschichte und Landschaft – und doch so im Schatten Mallorcas: warum? Zunächst: Menorca passt mit seinen gut 700 Quadratkilometern fünfmal in die Nachbarinsel, 96.000 Einwohnern stehen 870.000 Mallorquiner gegenüber. Und während die große Schwester bereits in den 50ern und 60ern des vergangenen Jahrhunderts den Massentourismus ausbaute, konnte sich Menorca erst nach Francos Tod öffnen. "Menorca hat zusammen mit Barcelona als republikanische Insel gegen den Diktatur gekämpft und erlebte deswegen einen deutlich verzögerten Beginn des Tourismus", erklärt Jutta Vaupel. Die späte Erschließung gereicht aber der kleinen, schüchternen Schwester heute zum Vorteil: Sie hat viele Fehler im Tourismus erst gar nicht mitgemacht. Von Beginn an setzten die Menorquiner auf Werte, die sich heute durchsetzen: sanften Tourismus, keine Hotel-Burgenlandschaften. Es gibt nur acht Hotels mit mehr als fünf Stockwerken.

Als einziges Eiland im Mittelmeerraum ist die gesamte Insel von der Unesco als Biosphärenreservat geschützt. Die prähistorischen Stätten sollen bald den Status als Weltkulturerbe erhalten. Und im Unterschied zu anderen Meeresanrainern haben die Menorquiner durchgesetzt, dass ein 300 Meter breiter Küstenstreifen wieder öffentlich zugänglich wird. Das Land wurde seinen Besitzern mit Verweis auf historische Dokumente abgekauft. Bereits im 14. Jahrhundert diente der Cami de cavalls, der „Weg der Pferde“ als Meldereiterweg, um Angriffe rechtzeitig zu erkennen. Heute nutzen Wanderer, Mountainbiker und Reiter den Rundweg, um die vielfältige Insel zu erkunden. Viele der 135 registrierten Sandstrände erreicht man über ihn, aber auch historische Stätten, Höhlen und Schluchten. "Menorca ist ein bunter, vielgesteiniger Fels im Mittelmeer, herb und lieblich gleichermaßen", sagt Jutta Vaupel. "Und die Insel und seine Bewohner sind mir eine Heimat geworden." Sie zitiert einen Wanderer, der einmal meinte: "Ich war gekommen, eine Insel zu sehen, und habe fünf gefunden."

Anreise

Zum Beispiel mit Eurowings oder Tuifly, Direktflüge ab Düsseldorf möglich, Flugzeit gut zwei Stunden

Übernachtung

Hotel 55 Santo Tomás, Es Migjorn Gran: moderne Hotelanlage mit Pool in Strandnähe, 35 Minuten bis zum Flughafen, durchschnittlicher Preis 200 Euro im Doppelzimmer (incl. Frühstück)

Agroturismo Rafal Rubí: liebevoll in ein Gästehaus mit 13 Zimmern umgewandelte Finca mit Gartenanlage und nachhaltigem Landwirtschaftsbetrieb, 20 Minuten vom Flughafen, durchschnittlicher Preis 320 Euro im Doppelzimmer (incl. Frühstück)

Hotel Rural Morvedra Nou: in Familienbesitz befindlicher Landsitz nahe Ciutadella, der in ein Hotel mit 24 Zimmern umgewandelt und als Biosphärenreservat-Hotel und Starlight-Reservat-Hotel zertifiziert wurde. Angebote zur Nachthimmel- und Sternenbeobachtung, 65 Minuten vom Flughafen, durchschnittlicher Preis 200 Euro im Doppelzimmer (incl. Frühstück)

Feiern

Cova D’en Xoroi, Cala en Porter: Höhlen-Club mitten in der Steilwand an der Küste, spektakuläre Aussicht

Reiseveranstalter

zum Beispiel Wikinger, Studienreise mit Wandern (geführt) ab 1325 Euro.

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