Santiano melden sich mit ihrem Album „Doggerland“ gewohnt erfolgreich zurück. Sänger Björn Both verrät im prisma-Interview unter anderem, was ihm dieser Erfolg bedeutet.
Sie sind mit „Doggerland“ direkt auf Platz 1 der Charts eingestiegen. Was bedeuten Ihnen dieser Erfolg?
Björn Both: Natürlich ist das immer wieder ein großartiges Erlebnis, das ohne unsere sehr treue Fanbase gar nicht möglich wäre. Andererseits haben wir ziemlich viel dafür getan, dass es wieder so passiert. Insofern wäre alles andere tatsächlich ein Misserfolg gewesen und wir hätten uns ernsthaft fragen müssen, was schiefgelaufen ist.
Wie fühlen Sie sich mit dem neuen Album?
Björn Both: Wir fühlen uns natürlich sehr gut mit dem neuen Album und haben jetzt große Lust, das auch auf die Bühne zu bringen.
Ich frage, weil bekannt ist, dass Ihnen bei den ersten Alben nicht immer alle Songs völlig gefallen haben.
Björn Both: Auch Santiano reift wie ein guter Wein. Und natürlich ist es am Anfang noch schwierig, diesen einen guten, immer passenden gemeinsamen Nenner zu finden, den wir für uns auch erst einmal herausarbeiten mussten. Dieser ist aber schon sehr bald gefunden worden und wir stehen komplett hinter dem, was wir da so machen.
Sie waren vor Ihrem Erfolg schon lange als Musiker unterwegs, wie war es, so „spät“ diesen Riesenerfolg zu haben?
Björn Both: Gesund war das. Glaube ich. Ich weiß nicht, wie wir mit dem Erfolg in dieser Größenordnung im Alter von Zwanzig und nen Keks umgegangen wären. Andererseits kann ich mir auch nicht vorstellen, dass wir mit unserer natürlichen Bodenhaftung da großartig durchgedreht wären. Müßig, das zu ergründen.
Fühlten Sie sich damals ein wenig wie „die älteste Boy Band der Welt“? Schließlich wurde Santiano als Band ja mit einem gewissen Konzept zusammengestellt. Kannten Sie sich alle vorher schon?
Björn Both: Ja sicher kannten wir uns alle schon vorher. Wir haben teilweise in WGs zusammengelebt. Wir sind untereinander Patenonkel unserer schon längst erwachsenen Kinder. Zusammen mit unseren Produzenten, mit denen wir seit Ewigkeiten befreundeten sind, haben wir verschiedene Bands gehabt und unsere Wege haben sich in unzähligen Projekten schon vorher gekreuzt. Es ist diese alte Mär von der gecasteten Band, die wir angeblich sind. Die ist auch nach über zehn Jahren immer noch Schwachsinn und ebenso falsch.
Bei Ihnen gibt es eine gefühlte Diskrepanz: Beim Publikum total beliebt, aber im Mainstream und im Formatradio kaum zu hören. Wie ist das zu erklären?
Björn Both (lacht): Ganz einfach: Wir haben den Radiostationen einfach verboten, uns zu spielen. Klappt hervorragend. Wer Santiano will, muss sich ´ne Platte kaufen oder ins Konzert kommen.
Es scheint so, als hätten Sie keinerlei Berührungsängste, da Sie bei Rock- und Metal-Festivals auftreten, aber auch den Schlager nicht verleugnen. Ist dieser Eindruck richtig?
Björn Both: Manchmal sind die Dinge, wie sie zu sein scheinen. Die Beobachtung ist völlig korrekt. Wir machen einfach unser Ding und versuchen gar nicht erst, irgendwo hineinzupassen. Und wenn man ehrlich ist, passen wir auch nicht wirklich in die aufgezählten Genres.
Wo fühlen Sie sich denn persönlich am wohlsten?
Björn Both: Tatsächlich dort, wo der meiste Spaß ist. Das kann heute das Metal-Festival sein, aber morgen auch die Schlagershow im TV. Wir gehen eigentlich überall so unvoreingenommen wie möglich hin und sind offen für die jeweilige Aufgabe. Wir wollen Santiano und das wofür wir stehen, immer so gut wie möglich präsentieren. Egal wo.
Warum zieht es deutsche Bands immer wieder zur See? Ob Rammstein, In Extremo oder Storm Seeker – es scheint eine Art Sehnsucht zu sein, sich übers Meer davonzumachen.
Björn Both: Es zieht nicht nur deutsche Bands immer wieder zur See. Es zieht generell den Menschen immer wieder an die See. Und manche von denen machen Musik.
Wie sind Sie auf das Thema „Doggerland“ gekommen?
Björn Both: Wir sind immer auf der Suche nach großen Rahmen, in denen wir unsere Geschichten erzählen können. Und diesmal mussten wir uns gar nicht aufmachen in die große weite Welt, sondern sind gewissermaßen direkt vor unserer Haustür fündig geworden. Doggerland ist eine vor circa 8000 Jahren untergegangene Landverbindung, die von der Westküste Dänemarks, Deutschlands und den Niederlanden bis zu den Britischen Inseln reicht. Heute gibt es in der Nordsee noch die Doggerbank, über die wir gelegentlich hinweg segeln.
Würde das Leben anders aussehen, wenn es diese Landverbindung heute noch gäbe?
Björn Both: Erlauben Sie, dass ich Ihnen mit einer Textzeile aus dem aktuellen Album antworte: Ein Tropfen im Meer – und wenn er nicht wär‘ – sag‘, wäre die Welt ein anderer Ort?
Aktuell ist ein Thema des Albums, „untergegangene Landstriche“, ja traurigerweise tagesaktuell, da Ihre Heimat Schleswig-Holstein mit den Folgen der Sturmflut klarkommen muss. Wie haben Sie das erlebt?
Björn Both: Nun ja. Das Thema zieht sich ja nicht durch das gesamte Album. Aber es ist der Ausgangspunkt. Wirklich thematisiert wird das nur im gleichnamigen Titel. Insofern beschreiben wir in dem Song eine Vergangenheit, die auf eine mögliche Zukunft hindeutet. Wenn sie mit Ihrer Frage auf die jüngste Sturmflut in der Ostsee abzielen: Ich bin – im Gegensatz zu vielen anderen hier an der Küste – gut durchgekommen. Ich habe die Tage auf meinem Boot abgewettert und habe getan, was getan werden musste.
Die Naturgewalten lassen sich nicht vorhersagen, was sich nun auch wieder gezeigt hat. Was macht dieses „Ausgeliefertsein“ mit den Menschen im Norden?
Björn Both: Zunächst mal kann man solche Unwetter schon sehr gezielt vorhersagen. Was ja auch geschehen ist. Und vielfach sind ja auch entsprechende Gegenmaßnahmen getroffen worden. Ob das am Ende immer gereicht hat, bleibt zu fragen. Offensichtlich nicht, wenn man sich nur die Schäden gerade in den Häfen entlang der Ostseeküste anschaut. Aber sind wir ausgeliefert? Wir hier oben leben seit Jahrhunderten mit und vom Meer. Da sind wir es uns selbst schuldig, eine gewisse Gegenwehr und eine noch größere Resilienz aufzubauen. Wenn sie dann aber so zuschlägt, die Natur, dann zeigt sich nur, was wir hier oben alle wissen: Wir sind ein Fliegenschiss gegen diese Kräfte und du tust gut daran, eine gewisse Demut in dein Leben zu lassen. Und ganz egal, wie sehr wir Menschen das Meer lieben – es liebt uns nicht einen Millimeter zurück.
Ist diese Rauheit und Lebensstärke immer noch etwas, was den Norden und seine Menschen auszeichnet?
Björn Both: Eine gewisse Rauheit ist sicherlich in der zuweilen wortkargen Kommunikation zu vernehmen. Ansonsten würde ich das gar nicht Rauheit nennen. Vielmehr ist es Klarheit in der Sprache und die ist dann aufs Nötigste beschränkt. Und es gibt hier oben diese gute Eigenschaft, einverstanden zu sein, die Herausforderung anzunehmen, auch wenn es mal hart wird und vor allem darüber dann nicht so viel zu jammern. Wenn das Lebensstärke ist, dann leben hier oben sehr viele starke Menschen.
Sie unterstützen seit Jahren die Seenotretter und bitten auch die Fans um Spenden. Wie kam diese Verbindung zustande?
Björn Both: Die Zusammenarbeit zwischen Santiano und der DGzRS ist ja weder erstaunliche noch abwegig. Im Gegenteil: Wir sind ja fast natürliche Partner. Seit ich als Kind auf unseren Familienbooten unterwegs bin, sind die Seenotretter ein nicht wegzudenkender Teil meines Lebens. Ich selbst habe glücklicherweise noch nie deren Hilfe in Anspruch nehmen müssen. Aber für viele andere sind sie der Retter in allerhöchster Not gewesen. Uns ringt es immer wieder tiefsten Respekt ab, wenn dort Menschen ihr eigenes Leben – größtenteils ehrenamtlich – für andere Menschen hochkant aufs Spiel setzen. Das kann man gerade in heutigen Zeiten gar nicht hoch genug bewerten.
Das Thema „Sehnsucht“ taucht immer wieder in Ihren Liedern auf, auch auf dem neuen Album. Woher kommt das? Fühlen Sie sich auch manchmal unfertig?
Björn Both: Auch hier möchte ich auf einen Song von uns verweisen: „Die Sehnsucht ist mein Steuermann“. Und genau daher kommt das. Den zweiten Teil der Frage bespreche ich gerade mit meinem Analytiker (lacht).
Für 2024 ist eine große Live-Tour geplant. Auf was können sich die Fans da freuen?
Björn Both: Auf uns. denn wo Santiano draufsteht, ist auch Santiano drin.