26.04.2016 Radfahren

Mein Rad, mein Helm, mein Alles

Vom Arbeitsgerät zum Spaßfaktor. Nur in den Städten wird es für Radler oft noch eng.

Radfahren geht eigentlich ganz leicht. Wenn es erst einmal ins Rollen gekommen ist, sieht man im Gesicht eines Kindes dieses innere Glück aufscheinen: Es fährt.

Fahren ist was anderes als zu Fuß gehen. Wer im Sattel sitzt, und unten auf dem Boden fließt die Straße dahin, genießt das Reitergefühl. Ich hier oben!

Wenn nur das Aufsteigen nicht wäre. Das Aufsteigen in Verbindung mit dem Losfahren. Kinder tun sich da schwer. Erwachsene manchmal auch.

Kinder tun sich auch beim Absteigen schwer. Diese ersten Versuche: volle Fahrt voraus, aber keine Traute zu bremsen. Krach, gegen den Zaun! Meistens geht's ja gut. Aber man sieht, wie wichtig der lästige Helm ist; spätestens jetzt haben sie's kapiert.

Ob Radrennfahrer manchmal noch über ihre Anfänge nachdenken? Das erste Aufsteigen, der erste Sprint, das erste Mal koppheister in den Graben?

27 Millionen Deutsche fahren Rad

Historisch betrachtet ist es schon eigentümlich, mit welcher Selbstverständlichkeit wir heute die verschiedenen Typen von Rädern betrachten: Kinderräder und Rennräder, Mountainbikes in zahllosen Varianten für zahllose Erfordernisse. Wir haben City-Bikes und Tourenräder, Elektrobikes und Einkaufsräder.

Angeblich sitzen 27 Millionen Deutsche mehr oder weniger häufig auf dem Fahrrad, jeder auf einem anderen Typ. Aber das, das einst seine Bedeutung ausmachte, findet sich kaum noch darunter – das Arbeitsrad. Wer in Deutschland, Belgien, Frankreich in der Schwerindustrie malochte, kam mit schwarzem Rad zur Arbeit.

Auch zur Schule fuhr man mit dem Rad. Schultasche auf dem Gepäckträger, freihändig und zu zweit nebeneinander auf engsten Fahrradwegen. Auf dem Schulhof wurden Klingelkopf und Luftpumpe in die Tasche gesteckt, damit nichts geklaut wurde.

In New York erfanden sie in den Siebzigern die vier- und fünffach gewundenen Kabelschlösser mit Zahlenkombination. Half nicht viel. Wenn der Fahrer von einem Meeting zurückkehrte, war ihm nur noch das teure Kabelschloss geblieben, an dem vielleicht noch das Vorderrad hing.

Wann fing das an, dass man sein teures Fahrrad mit ins Büro nahm? Und nach Dienstschluss mit in die Wohnung? Da stand es dann neben dem Bett, das gute Stück. Schöner als jede Grafik an der Wand. In den Neunzigern war das gang und gäbe.

Tour de France in Düsseldorf

Die Räder der Radprofis wurden schon immer wie Augäpfel behütet. Was dem Skilangläufer der Wachsspezialist, ist dem Rennfahrer der Mechaniker – verantwortlich für das perfekte Rollgefühl auf der langen Etappe. Und dafür, dass sich nächtens niemand am Fahrrad vergriff.

Die deutsche Liebe zum professionellen Radrennen, wie es Jahr für Jahr in der liturgisch zelebrierten Tour de France seinen Höhepunkt findet, ist abwechselnd der Hochstimmung und Depression unterworfen. Volkshelden und Dopingsünder wechseln einander ab. Nächstes Jahr, wenn die Tour de France in Düsseldorf startet, ist wieder Hochstimmung angesagt, zumal wir eine Reihe exzellenter Profis im Sattel haben.

Düsseldorf lässt sich den "grand départ", den Auftakt der Tour, etwa zehn Millionen Euro kosten, das meiste davon dürfte dank Werbung und Sponsoren refinanzierbar sein.

Die Tour ist eine der letzten festen Größen in der sich wandelnden Sportwelt. Die Formel 1 schwächelt; selbst Olympische Spiele sind ihres Rangs nicht mehr sicher.

Als vor einigen Wochen wie auf Kommando sämtliche Zeitungen und Magazine das Fahrrad als ultimatives Lifestyle-Accessoire ausriefen und das Radfahren selbst zur zweitglückseligsten aller körperlichen Betätigungen erkoren, war überall ein Satz zu lesen: Sage mir, welch Rad du fährst, und ich sage dir, was für ein Typ du bist! Ist schauderhaft abgegriffen, der Satz, und außerdem Quatsch.

Der Lebenskünstler fühlt sich auf dem 3000-Euro-Tourenrad genauso wohl wie auf einem klapprigen Drahtesel. Kinder improvisieren auf jeder Art von Rad. Interessanter ist die Unterscheidung zwischen Wochenend-Gelegenheitsfahrer (das sind die mit der kerzengeraden Haltung) und Stadtradler.

Der Stadtradler als Erbe

Der Stadtradler ist gleichsam der Erbe des Hüttenwerksradlers von früher, nur in anderer Kleidung. Der Stadtradler hat keine Spange mehr am kettenseitigen Hosenbein, er trägt es hochgekrempelt. Er ist regenschutzmäßig gerüstet, und man darf wetten, dass die Frisur unterm First-Class-Helm (man hat nur eine Birne!) tippitoppi gegelt ist.

Trotzdem ist der Stadtradler ständig gefährdet. Er ist der David unter lauter Goliaths, und wenn ihn gerade kein Auto an den Bordstein drückt, sind es die Fußgänger, die sich protestierend von ihm bedroht fühlen. Fahrradfahren in der Stadt ist nicht nur räumlich meilenweit vom Sonntagsradeln entfernt.

Es legt (von Ausnahmen wie Münster abgesehen) auch Zeugnis davon ab, wie weit Nordrhein-Westfalen von Holland entfernt ist. Dort (in Holland) die Trassen, Schneisen und Straßen speziell für Radler. Hier irgendwie an den Straßenrand gequetschte Markierungen.

Im Deutschlandradio beschrieb Johannes Ullmaier das Dilemma des Stadtfahrers so: "In jedem Fall muss ich geschickt sein und so fahren, als wäre ich gar nicht da."