12.04.2016 Natur

Der Wald, das unbekannte Wesen

Von Detlef Hartlap
Und ewig ruhen die Wälder? Das sicher nicht. Der deutsche Forst wandelt sich. Oft zu seinem Vorteil.
Und ewig ruhen die Wälder? Das sicher nicht. Der deutsche Forst wandelt sich. Oft zu seinem Vorteil. Fotoquelle: Olga Danylenko / Shutterstock.com

Der Wald boomt. Er ist zum Objekt der Begierde für Großstädter geworden, die sonst Beton, Stahl und Glas erleben. Als Wandergebiet dient er der Körperertüchtigung, als grüner Tempel der Seele. Auf den Wanderrouten, die aus unerfindlichen Gründen "Steig" heißen, geht es hoch her.

Von einstiger "Waldeinsamkeit", wie sie in Ludwig Tiecks Roman "Franz Sternbalds Wanderungen" besungen wird, kann keine Rede mehr sein. Deutschlands Steige sind Begegnungsstätten. Deutschlands Baumhotels, die wie Pilze aus dem Boden schießen, sind auf Monate ausgebucht.

Selbst wer auf dem Wege der Waldmeditation nach Ruhe sucht, tut dies meist gruppenweise und gegen Gebühr.

Wo Boom herrscht, sind Makler nicht weit. Seit Teile von Wäldern zur Eigenbewirtschaftung angeboten werden und es chic ist, sich Waldbesitzer zu nennen, steigen die Preise. In guten Lagen, das heißt in nicht allzu weiter Entfernung von der Großstadt, kostet der Quadratmeter Wald bis zu acht Euro.

Auf den Waldbesitzer warten viele Aufgaben, die über romantische Aspekte hinausreichen. Sämlinge in die Erde drücken, Triebe heranziehen, den Baum wachsen sehen, das mag Herzen höherschlagen lassen.

Die Bekämpfung des Borkenkäfers, der Abtransport von Bruchholz, das eigenhändige Anlegen von Rückegassen gehören dagegen zu den Pflichten, die man ursprünglich nicht in Erwägung gezogen hatte und die auch schwer im ohnehin prallen Terminkalender unterzubringen sind. Waldeinsamkeit bedeutet Arbeit.

Der Forscher, immer noch ahnungslos

Einer, der sich dieser Arbeit auf besondere Weise und in einem ganz speziellen Rahmen unterzogen hat, ist der aus England stammende Biologieprofessor David G. Haskell. Ein Jahr lang zog er Woche für Woche in die Wälder von Tennessee, um exakt einen Quadratmeter Boden mit der Lupe zu untersuchen. Das Ergebnis ist das aufregendste und humorvollste Naturbuch der letzten Jahre (Haskell: "Das verborgene Leben des Waldes", Verlag A. Kunstmann).

Haskell bemerkt schnell, dass sein Stückchen Scholle von den Lebewesen der Umgebung genutzt, befruchtet und in Mitleidenschaft gezogen wird: Baumriesen, Großwild, Vögel, sie alle nehmen auf ihre Art Einfluss.

Ganz in der Manier des Hamburger Dichters Barthold Heinrich Brockes (16801747) vertieft sich Haskell in absonderliche Lebensgemeinschaften, wie bei der von Pilz und Alge, und findet sein irdisches Vergnügen daran. Die Alge liefert dem Pilz Zucker und andere Leckereien, der Pilz gewährt im Gegenzug Schutz. Haskell beobachtet: "Frühblüher sind die Fast-Food-Junkies des Waldes. Sie stopfen hastig in sich hinein, bevor die Bäume ihnen das Licht nehmen."

Nach einem Jahr verschärften Blickes auf den einen kleinen Fleck konstatiert er: "Wir sind Forscher, die vor einem düsteren Dschungel stehen, einige unserer auffälligsten Entdeckungen benennen und ansonsten ahnungslos sind." Der Wald, das unbekannte Wesen. Was heute offenbar stärker empfunden wird als in alter Zeit, als der Wald zwar durchaus unheimlich wirkte, aber als Nahrungs- und Holzlieferant dienlich war.

In Adalbert Stifters wunderbarer Erzählung "Der Waldgänger" verbindet sich beides, der alte Blick auf die schiere Nützlichkeit und der neue auf die Romantik: "... und als wir dann nach Hause kamen und etwa ein schöner Abend über dem Walde war, der die langen Schatten der Tannenwipfel über das hellbeleuchtete kleine Stückchen Wiese warf, hörte er die Männer miteinander reden, weil sie einen bekannten Baum abschätzten, wie viel er wohl Klafter Holz geben möchte ..."

Neue Hölzer braucht das Land

Nun wäre es abwegig, die wirtschaftliche Bedeutung heutiger Wälder kleinzureden, doch haben sich neuerdings auch andere Aspekte ergeben: die Neuaufforstung von Braunkohlerevieren in Ost- und Westdeutschland sowie eine generelle Umforstung des Baumbestandes. Letztere als Folge der Anfälligkeit von Monokulturen bei Stürmen und als Folge des Klimawandels.

So weicht der Nadelwald einem ausgewogeneren Mischwald, wie er wohl auch vor Beginn der industriellen Holzwirtschaft im 18. Jahrhundert bestanden hat.

Neue Hölzer braucht das wärmer gewordene Land. Unter Forstleuten gelten Douglasie und nordamerikanische Küstentanne als Favoriten für die Nachfolge von Fichte und heimischer Tanne, die es kälter brauchen.

Wo Braunkohle abgebaut wurde (oder noch wird), entstehen neue Wälder. Mit mehr als 200 Metern erhebt sich etwa bei Elsdorf im Rheinland die Sophienhöhe, eine Halde aus Abraum. Riesenbagger waren hier am Werke, um an die tiefer gelegene Braunkohle zu kommen. Auf diese Weise ist ein bewaldeter Höhenzug entstanden, weithin sichtbar übers Land, mit Eichhörnchen und Specht, mit Wachteln, 57 Libellenarten und weiten Wegen für Biker und Wandervögel.

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