Orchestral Manoeuvres In The Dark (OMD) haben mit „Bauhaus Staircase“ ein neues Album veröffentlicht, das vielleicht ihr letztes sein könnte, wie Andy McCluskey im prisma-Interview verrät. Außerdem spricht er über seine Motivation, immer noch Musik zu machen und darüber, welche besondere Verbindung er zu deutscher Musik der 70er-Jahre hat.
„Bauhaus Staircase“ – ein interessanter Titel für ein interessantes Album.
Andy McCluskey: Interessant – heißt das, es ist gut? Jetzt mache ich mir Sorgen (lacht).
Kein Grund dazu, ein wirklich gutes Album. Was fasziniert Dich an der Bauhaus-Bewegung?
Andy McCluskey: Meine erste große Liebe war, noch vor der Musik, die bildende Kunst. Eigentlich wollte ich ein Kunststudium abschließen, doch dann habe ich mit 19 die Musik entdeckt und bin nie zur Universität zurückgekehrt. Meine Leidenschaft galt dabei immer der Kunst der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Bauhaus war niemals Kunst, um der Kunst willen, also nichts Esoterisches, sondern vielmehr eine funktionelle, praktische Kunst. Das macht es noch trauriger, dass die Nazis die Schule 1933 dichtgemacht haben. Die „Bauhaustreppe“, das berühmte Bild von Oskar Schlemmer, stand Pate für unser Album.
Welche Bedeutung hat der Titel noch für Dich?
Andy McCluskey: „Bauhaus Staircase“ ist eine Metapher für die Macht der Kunst. Die Kunst als Nahrung für das Herz, für den Kopf, besonders in schwierigen Zeiten.
Der gleichnamige Titelsong behandelt die 1920er-Jahre, eine Ära der ständigen Unruhe, die aber auch ihre Kraft aus den schwierigen Zeiten zog, wodurch künstlerische und wissenschaftliche Höchstleistungen errungen werden konnten. Siehst Du Parallelen zur heutigen Zeit?
Andy McCluskey: Ich hoffe allerdings nicht, dass wir in 15 Jahren einen Weltkrieg haben. Allerdings hätte ich auch nicht gedacht, in meinem Leben noch einmal einen Konflikt wie den in der Ukraine mitzuerleben. Mitten in Europa.
Ich meinte eher die künstlerische Sicht. Dass man als Künstler Kraft aus Konflikten ziehen kann.
Andy McCluskey: Noch vor der Ukraine war ja Covid, und eine Sache, die da sehr deutlich geworden ist, als man nicht in Konzerte, zum Ballett, ins Theater oder in Kunst-Ausstellungen gehen konnte, war die, dass wenn man die Kunst wegnimmt, man in einer Wüste ist. Man hat zwar Energie, man hat Nahrung, aber die Seele wird nicht gefüttert. In England war es sehr deprimierend. Ich bin ein Unterstützer der Liverpooler Museen als „Trustee“, und da zeigte sich, dass sie zwar die Löhne und Gehälter der angestellten Personen weiterbezahlt haben, aber ihre Einstellung die war, dass in schwierigen Zeiten kein Geld für Kultur ausgegeben werden soll. Das wäre reine Verschwendung. Bei uns hingen Poster, auf denen Tänzer und Musiker gezeigt wurden, und darauf stand: „Heute ist sie eine Ballerina, aber morgen kann sie eine Ärztin sein“. So als hätte es keinen Wert, Künstler zu sein.
Und die Parallelen zu den 1920er-Jahren?
Andy McCluskey: Ich glaube, die Welt heute ist ein besserer Ort als vor 100 Jahren. Aber es gibt immer Dinge, die problematisch sind. Ein Song auf dem neuen Album heißt „Kleptocracy“, und er beschäftigt sich mit den modernen, westlichen Demokratien, die von narzisstischen Lügnern gestohlen werden. Ich glaube immer noch an die Demokratie, aber es kommen auch Themen wie Korruption hinzu.
Musikalisch klingt das Album völlig zeitlos und könnte auch in den 80ern erschienen sein. Ein Trend, der auch bei anderen Elektro-Pop-Bands zu spüren ist. Ist es am Ende doch immer so, dass man als Künstler irgendwann zu seinen Wurzeln zurückkehrt?
Andy McCluskey: Ich glaube, rein klanglich ist das Album schon ziemlich aktuell, das liegt natürlich an der modernen Sound-Technik. Wir wollten jetzt kein Pastiche des alten Sounds schaffen, nichts einfach nur nachahmen, was es schon in den 80ern gab. Wir nutzen moderne Technik, aber ich verstehe die Frage als Kompliment, denn ich hoffe, dass die Leute bei uns Typen in unseren 60ern immer noch die Energie und Leidenschaft hören, denselben Glauben und das Verlangen, das wir schon vor 40 Jahren hatten, damals in den 80ern. Es ist uns immer noch wichtig, wir haben immer noch Energie.
Worin unterscheidet sich die Arbeit heute von der vor 45 Jahren, obwohl die Sounds doch teilweise sehr ähnlich klingen?
Andy McCluskey: Der größte Unterschied ist, dass Paul Humphreys und ich mittlerweile komplett „in der Box“ arbeiten, das heißt, es ist alles im Computer. Alle Synthesizer sind virtuelle Plugins, es sind also nicht die Originale, aber wir lieben immer noch die großen, fetten, analogen Synthie-Sounds. Wir müssen die Rolands und Moogs aber nicht mehr nutzen, denn wir haben ihren Klang in unseren Computern. Letztlich sind wir sehr glücklich, dass wir unseren unverwechselbaren Sound damals quasi zufällig gefunden haben. Wir wären ja verrückt, wenn wir bewusst diesen OMD-Signature-Sound wegwerfen würden. Um im Bild der Kunst zu bleiben: Wir malen immer noch diesen Audio-Stil, der unserer geworden ist, aber trotzdem möchten wir auch immer etwas machen, das frisch und neu ist. Neue Themen, über die wir singen können, neue Melodien, neue Sounds. Aber es klingt immer wie OMD, und das ist ja nicht das Schlechteste (lacht).
Meine erste Begegnung mit OMD war der Song „Sailing On The Seven Seas“ von 1991. Das war ja für OMD eine Periode, in der die Band einem Rockmusik-Sound am nächsten war. Magst Du das Album „Sugar Tax“ auch heute noch?
Andy McCluskey (lacht): Ja, da waren ein paar richtig gute Songs auf „Sugar Tax“. Damals war ich allein, es war eine Art Crossover aus den 80ern und dem, was in den 90ern passieren sollte – mit Techno und so weiter. Ich hatte zu lernen, meinen eigenen klaren Sound beizubehalten, aber auch andere Sachen auszuprobieren. Die Band ist jetzt fast 45 Jahre alt, das ist eine sehr lange Reise. Aber mit „Sugar Tax“ bin ich immer noch sehr glücklich, und „Seven Seas“ ist ein toller Song, den wir immer noch gerne live spielen.
Euer Oeuvre ist riesig, während der Bandgeschichte gab es aber auch immer wieder Brüche, Wechsel, Höhen und Tiefen. Was treibt Euch nach wie vor an, neue Musik zu veröffentlichen?
Andy McCluskey: Um ehrlich zu sein, es wird immer schwieriger, je älter man wird. Du musst bedenken, wir haben über 200 Stücke herausgebracht, da ist es sehr schwierig, etwas zu finden, das komplett neu ist. Aber wenn ich selbst nicht aufgeregt bin, wenn ich etwas schreibe, dann kann ich einfach nicht die Energie aufbringen, die ich dem Publikum durch die neue Musik bringen möchte. Das ist immer ein guter Test, ich muss gepackt sein, ich muss diese Melodie lieben, ich muss das Thema faszinierend finden, über das ich schreibe, dann passt es. Es ist wichtig, die Energie und auch das Verlangen zu haben, neue Musik zu erschaffen. Das ist das Rezept, etwas Positives zu schaffen. Das Schlimmste ist, wenn man so lange im Musikgeschäft ist, das Management einem sagt, so Ihr geht nächstes Jahr auf Tour, ok, wir machen ein neues Album, wir haben schon neue Logos für die T-Shirts (lacht).
Das ist ja sogar noch kreativ, viele „alte Bands“ bringen gar nichts Neues und spielen dann nur die alten Hits auf der Tour.
Andy McCluskey: Man muss da eine Balance haben, denn die Leute möchten natürlich die alten Songs und die Hits hören. Es ist immer wichtig, auch neue Songs zu spielen, die müssen dann aber in die Setlist passen. Die Fans müssen sie mögen, und es darf nicht passieren, dass die Hälfte des Publikums sagt, oh, das ist ein neuer Song, ich geh mal schnell auf die Toilette (lacht).
Du hast mehrfach damit kokettiert, dass das neue Album das letzte sein könnte. Sind diese Aussagen noch aktuell?
Andy McCluskey: Das ist wirklich möglich, denn die Wahrheit ist, dass dieses Album einzig und allein wegen Covid existiert. Ich war total gelangweilt, wie ein Teenager zu Hause, dessen Mutter sich auf dem einzigen TV-Gerät im Haus nonstop amerikanische Seifenopern anschaut, und du hast kein Smartphone und musst in dein Zimmer gehen (lacht). Also totale Langeweile. Ich war dermaßen gelangweilt, dass ich wieder anfing, Musik zu machen. Es war großartig, denn ich fand Dinge, die mich wieder fasziniert haben, von denen ich einen Kick bekommen habe. Deswegen existiert das Album „Bauhaus Staircase“.
Letztes Jahr habe ich mit Jim Kerr von den Simple Minds gesprochen, und er hat mir exakt dasselbe erzählt, von daher hatte dieser ganze Lockdown ja auch etwas Gutes.
Andy McCluskey: Ja, einige Menschen hatten eine ganz gute Zeit (lacht). Interessant ist aber auch, dass diese schwierige Zeit uns daran erinnert hat, wie es ist, rücksichtsvoll und einfühlsam zu sein. Menschen haben eine Kapazität, liebevoll zueinander zu sein. Es hat auch das Beste in den Menschen hervorgebracht. Sie haben sich um ihre älteren Nachbarn gekümmert, waren nett zu ihren Familienmitgliedern. Diese Empathie findet sich auch in einigen Songs des Albums wieder, drei davon sind quasi musikalische Umarmungen von mir für Menschen, die ich liebe. „Die Zeiten sind zwar hart, aber alles wird wieder okay sein, und ich liebe dich.“
Auf dem Album sind einige dunkle Songs, aber auch die von Dir schon erwähnten aufheiternden. Das meinte ich vorhin auch mit „interessant“. Es gibt zwar einen roten Faden, aber die Songs variieren.
Andy McCluskey: Danke sehr, jetzt verstehe ich es auch (lacht).
Einer Eurer Signature-Songs ist „Enola Gay“, und der erlebt thematisch momentan eine Wiederauferstehung, einmal durch den Film „Oppenheimer“, auf der anderen Seite durch die latente Gefahr eines Atomkriegs durch den Ukraine-Konflikt. Hättest Du gedacht, dass diese Gefahr nach dem Ende des Kalten Krieges so noch einmal hochkochen würde?
Andy McCluskey: Nein, ganz ehrlich, das hätte ich nicht gedacht. Ich war hoffnungsfroh und dachte, wir würden die nuklearen Waffen loswerden. Leider hat sich Herr Putin überlegt, dass er eine harte Hand für seine Zuschauer daheim spielen möchte, um die Kontrolle über die russische Bevölkerung zu behalten und seinen Platz an der Macht zu sichern, indem er ihnen von den Faschisten in der Ukraine erzählt und von den Angriffsplänen des Westens. Es ist typische Propaganda, die den Absichten der Person entspricht, die an der Macht ist, und die gleichzeitig die normalen Menschen zerstört. Was mich am Ukraine-Konflikt wirklich ängstigt, ist die Schwäche des Westens. Er scheint fast glücklich zu sein, dass dieser Krieg immer weiter geht. Sie wollen die Macht Russlands austrocknen. Bin ich beängstigt, ob Putin Atomwaffen einsetzt, um sein Gesicht zu wahren? Ja, davor habe ich Angst.
Für 2024 ist eine Tour geplant. Auf was können sich die Fans da freuen?
Andy McCluskey: Wir werden wohl so fünf Songs vom neuen Album spielen, aber wir werden nicht das komplette Album spielen. 45 Minuten vollkommen neue Musik, das wäre einfach zu viel. Wir werden die stärksten Livesongs des Albums spielen, damit die Leute einen Eindruck von „Bauhaus Staircase“ bekommen. Wir wollen die Hits spielen, es gibt nichts Besseres als auf der Bühne zu stehen und zu wissen, wenn du jetzt den Drum-Machine-Knopf von „Enola Gay“ drückst oder mit „Maid Of Orleans/Joanne D’Arc“ startest, flippen die Leute aus. Das ist wie beim Pokerspiel, wenn du vier Asse und zwei Könige auf der Hand hast (lacht). Wenn du sie auf den Tisch wirfst, hast du gewonnen. Es ist ein schönes Problem, so viele Hits zu haben.
Ihr kommt auch ins Rheinland, wo wir sitzen, in die Mitsubishi Electric Halle in Düsseldorf. Hast Du Verbindungen zu der Region?
Andy McCluskey: Darauf freuen wir uns sehr. Wir sind von der Mersey-Side, aus Liverpool, aber die Beatles waren nicht unsere Helden. Das waren Bands aus Düsseldorf, und damit meine ich nicht nur Kraftwerk, die immer erwähnt werden, sondern Neu! und La Düsseldorf. Das war die Energie und Emotion, die wir auch so gerne in unsere Musik gesteckt haben. Unterbewusst haben wir die Maschinerie und die Menschlichkeit der Düsseldorfer Musik der 70er ins uns.