prisma: Ihr neues Album heißt „Angebot und Nachfrage“ und ist sehr opulent produziert.
Heinz Rudolf Kunze: Das liegt an meinem Produzenten Udo Rinklin, er hat sich selbst übertroffen. Er hat wirklich die Konsequenzen gezogen aus den beiden Platten, die wir vorher gemacht haben. Er hat sozusagen eine Summa theologica vorgelegt.
Waren Sie mit den Alben vorher produktionstechnisch denn nicht ganz zufrieden?
Ich war sehr zufrieden, es waren nur drei aufeinanderfolgende Lernschritte. Ich finde jedes der Alben super und auch großartig von ihm produziert, aber er hat für das neue Album sozusagen die Konsequenzen aus beiden anderen gezogen.
Wie viel Energie steckt denn in solch einer Produktion?
Das ist ein unheimlich intensiver Prozess von uns beiden. Mein Problem ist, dass Udo ein Wunderkind ist. Der kann einfach alles. Der kann nicht nur am Pult alles, sondern er kann auch noch alle Instrumente spielen bis auf das Schlagzeug. So eine Art Stevie Wonder. Und dementsprechend habe ich immer ganz schön zu kämpfen, dass meine Band überhaupt noch vorkommen kann (lacht).
Er ist dann auch so etwas wie der Springer und füllt dann quasi die Lücke aus, wenn mal irgendwo noch ein Sound fehlt?
Ja, genau. Ich habe natürlich tolle Keyboarder und Gitarristen und Bassisten, aber den Bass spielt er grundsätzlich selbst. Das ist sein Lieblingsinstrument. Und wenn irgendwo eine Gitarre oder ein Keyboard fehlt, dann füllt er das dann auch noch aus. Insofern ist so eine Platte hauptsächlich ein Dialog zwischen uns beiden, mit meinen Musikern als Gäste. Ich glaube, so kann ich es formulieren.
Bei unserem letzten Interview anlässlich Ihrer Platte „Können vor Lachen“ sprachen Sie davon, dass wir uns in der „Spätphase der Populärmusik“ befänden. Ist diese Phase für Sie noch einmal verlängert worden?
Na ja, ich mag mich irren, aber nach meiner Wahrnehmung stimmt das immer noch. Ich lese monatlich die Zeitschrift „Uncut“ aus London und halte sie für ein sehr gutes und sehr informatives Organ. Und was ich da so an Neuem mitbekomme, lässt mich weitestgehend kalt. Ich bin ein leidenschaftlicher Sammler von Tonträgern, aber eigentlich kaufe ich mir seit Jahren nur noch alte Platten.
Nur noch alte Alben? Um das aufzuarbeiten, was es in der Vergangenheit gab?
Was bei mir noch an wenigen Lücken da ist. Ich kann nichts wirklich aufregend Neues hören. Die Band, die mir im Moment am besten gefällt, ist diese Ableger-Band von Radiohead namens The Smile. Aber die gibt es ja auch schon seit ein paar Jahren.
Die habe ich letztes Jahr im Palladium in Köln gesehen. Drei Musiker auf der Bühne – und das passt so ein wenig zu Ihrem Produzenten – die sich ihre Sounds da live zusammenfrickeln. Das ist unglaublich anzuschauen.
Aber ich bin froh, dass es Radiohead jetzt wieder gibt.
Zurück zu Ihrem neuen Album. Das fängt mit dem Song „Besuch mich Marie“ direkt grandios an mit einem sehr einprägsamen Sound mit Keyboardwänden. Das hat mich an den E-Street-Sound von Springsteen in den 80ern erinnert.
Ach was, ach was (lacht).
Welche Einflüsse hat das Album denn geprägt? Oder sind das zu viele, um sie alle zu nennen?
Das ist ganz verschieden. Ich war tatsächlich bei Springsteen und habe ihn mal wieder live gesehen, nicht zum ersten Mal und war natürlich wieder total beeindruckt und geplättet. Und das hat sicherlich eine Spur hinterlassen. Aber wir gehen hier in ganz verschiedene Richtungen. „Mehr von dir“, das ist irgendwie frühe R.E.M. oder „Was bin ich wert?“ ist späte Roxy Music. Da kommt einiges zusammen.
Ihr Album wird von der Kritik als „wortgewaltig, rockig, wütend und melancholisch“ gepriesen und dann fällt da auch der Begriff „direkter“. Wie haben Sie denn den musikalischen Ansatz für dieses Album im Vergleich zu den Alben davor gesucht?
Das entscheiden immer die Texte, die ich aussuche. Die verlangen einfach eine bestimmte Umsetzung. Und ja, ich hatte wohl diesmal eine gute Hand bei der Textauswahl, dass die Musik auch besonders gut geraten ist. Denn ich bin immer so verwundert, dass so wenige Kollegen so arbeiten wie ich. Ich fange immer mit dem Text an und dann kommt die Musik.
Das ist ja auch sinnvoll, oder?
Wenn man bedenkt, die großen Komponisten der Klassik, die Kunstlieder komponiert haben, Schumann, Schubert, Brahms, Mahler, die haben alle mit dem Text angefangen. Die haben Texte vertont. Dabei kamen ihre wunderbaren Kunstlieder heraus. Also ich finde diese Methode eigentlich sehr schlüssig und sehr normal.
Sie behandeln Themen wie Herkunft, Heimat, Identität und die Unfähigkeit der Menschheit, sich aus Konflikten zu befreien. Was hat Sie dazu inspiriert, sich auf Ihrem mittlerweile 31. Studioalbum so intensiv mit diesen existenziellen Fragen auseinanderzusetzen?
Ich kann nur sagen, dass ich mich über jeden wundere, den das nicht inspiriert. Also wir leben doch in dieser Zeit, in der es wirklich viel zu beobachten und viel zu bedenken gibt. Wir haben Anlass zu großen Sorgen. Wir haben große Probleme. Und wer das alles nicht musikalisch umsetzt, der kann mich nur in Staunen versetzen. Ich verstehe das nicht, das gehört doch auch zu unserer Arbeit, dass wir auch über solche Sachen singen.
Das finde ich auch, aber ich interviewe natürlich auch andere Musiker. Was ich da immer wieder höre, ist dieser Begriff des „Eskapismus“. Von wegen, „wir möchten den Leuten irgendwie aus dieser schwierigen Gegenwart heraushelfen“. Was halten Sie davon, wenn man sagt, wir machen Kunst der Ablenkung willen?
Das Wort Eskapismus ist für mich nicht unbedingt ein Lob. Entweder sind sie zu feige oder sie sind dumm.
Also Feigheit kann man Ihnen nun wirklich vorwerfen. Songs wie „Die Angst geht um“ oder „Du musst dich irren“ sind klar formuliert. Wenn Sie unsere Regierung da als „Trottel Truppe“ bezeichnen, aber auch von „dummen Klimaklebern“ sprechen, die dann trotzdem irgendwann die CDU wählen, dann ist das sehr deutlich.
So ist doch das Leben. Dass der Weg quasi vorgeebnet ist für diese Leute.
Sind diese Leute für Sie so etwas wie lebendig gewordene Karikaturen oder wie kann man das beschreiben?
Na ja, ich habe es ja versucht. Je älter ich werde, desto mehr finde ich um mich herum Dinge, die mich amüsieren und dann versuche ich, das auch dementsprechend darzustellen. Dadurch kann man auch ein bisschen die Aufregung dämpfen. Man soll sich ja nicht mehr so aufregen, weil das nicht gut ist für das Herz (lacht). Also, alles einfach einmal rauszulassen und dadurch abzuarbeiten.
Auffällig ist diese deutsche Selbstkritik, die das Album durchzieht. Da ist die Rede von „peinlichen Klugscheißern“, „unser Blick ist blind“. Aber dann kommt ein Song wie „Wir sind wir“. Den habe ich sehr positiv interpretiert.
Das ist ein Hymnenversuch.
Darin appellieren Sie optimistisch an das Beste in den Menschen.
Ich versuche es. Aber ein ganz wichtiger Gedanke dieses Albums ist natürlich das Problem der Endlichkeit allen Irdischen, die Sterblichkeit. Aber das ist wahrscheinlich dem Alter geschuldet.
Die Songs „Ich bin tot“ und „Wozu hat man Kinder“ beschäftigen sich damit. Als ich die Titel las, dachte ich erst, was erwartet mich da jetzt? Sie gehen mit dem Thema ironisch sarkastisch um, oder?
„Ich bin tot“ ist wirklich schwer zu erklären. Das ist eigentlich ein surrealistischer Witz, denn das Lied ist nicht so ernst gemeint wie „Wozu hat man Kinder?“ oder „Was bin ich wert?“ Es ist ein Spaß. Salvador Dali fällt mir dazu ein.
Da singen Sie: „Die fremden Gäste auf dem Wasserbett, sind reserviert und oberflächlich nett.“
Und der Zwerg, der in der Pfütze sitzt. Das ist schon ziemlich lustig. Es ist der Versuch, bei einem sehr ernsten Thema sozusagen im Tunnel zu lachen.
Sie werden jetzt 70.
Nein, nein, ich werde 69 (lacht).
Entschuldigen Sie bitte.
Darauf lege ich jetzt aber wert (lacht).
Ist so ein Song für Sie eine Möglichkeit, mit dem Thema Sterblichkeit und Älterwerden umgehen?
Ja, was bleibt mir auch anderes übrig. Mein britischer Trompeter Dick Hanson, der jahrelang bei mir gespielt hat, hat immer so schön gesagt: „Don’t worry of getting old, it’s better than the alternative“. Damit hat er natürlich fraglos Recht.
Bazon Brocks Zitat über das Alter als Vollendung und Meisterschaft wird im Kontext des Albums erwähnt. Wie hat sich Ihr Blick auf das Älterwerden und Ihre Rolle als Künstler im Laufe Ihrer Karriere verändert? Es wird ist immer wieder die Rede von Ihrem Spätwerk. Wann fing das Spätwerk bei Ihnen an?
Mit meiner ersten Platte (lacht). Ich war doch immer schon morbide, auch als junger Schreiber. Themen wie der Tod, die ziehen sich durch meine ganze Arbeit. Das fing schon 1981 an. Nur wird das Thema leider realistischer. Es wird natürlich mehr, denn man schaut zurück und weiß, was man schon alles hinter sich hat, man schaut auf ein großes Werk und den Weg, den man schon zurückgelegt hat. Trotzdem versuche ich so oft wie möglich nach vorne zu schauen, denn ich habe noch so viel vor. Und ich werde mit der Sterblichkeit auch nie meinen Frieden machen. Ich finde es unverschämt, dass ich sterben muss. Das ist ein Skandal (lacht).
Sie haben in Ihrer Karriere über 500 Lieder geschrieben. Woher kommt die Inspiration? Wir hatten vorhin schon einmal darüber gesprochen, natürlich sind es die aktuellen Themen, aber wie schaffen Sie es, da irgendwie immer wieder einen neuen Dreh zu bekommen? Auch in dieser Zeitabfolge, Sie bringen ja alle zwei Jahre ein neues Album heraus.
Ich kann das nicht erklären. Ich schreibe jeden Tag. Das ist wie atmen und essen und trinken und schlafen. Das gehört bei mir zum Leben dazu. Das ist ein ganz normaler Teil meines Lebens. Ich mache das jeden Tag und wenn ich vier Tage nichts schreibe, laufe ich zum Arzt.
Das muss aus Ihnen heraus, das geht gar nicht anders?
Ja, aber ich suche es ja nicht. Es findet mich. Ich setze mich nicht vor ein leeres Blatt und warte, vielmehr kommen die Einfälle von alleine. Ich kann es nicht ändern (lacht).
Sie schaffen damit Lyrik, denn das sind ja nicht einfach Songtexte, da steckt schon mehr dahinter.
Es ist vertonte Lyrik, das kann man so sagen. So ist es auch gemeint.
„Sie sind Migranten“ und „Irgendwo“ greifen das Thema Heimatlosigkeit und Identität auf. Sie selbst sind in einem Flüchtlingslager geboren, Ihre Familie stammt aus der Niederlausitz, einem der ehemaligen Ostgebiete Deutschlands, das heute in Polen liegt. Was möchten Sie mit diesen Songs über die Erfahrungen von Migranten und die Frage der Zugehörigkeit vermitteln?
Ich habe dazu einen persönlichen Bezug, aber ich weiß natürlich auch, dass es meine Eltern nicht so schwer hatten wie die Leute, die heute aus einer ganz anderen Weltecke kommen. Meine Eltern waren weiß, Christen und konnten deutsch. Das war natürlich schon einmal eine gewisse Erleichterung, denn sie kamen sozusagen doch in die gleiche Kultur. Das ist bei vielen Menschen heute ganz anders. Für die ist es viel schwieriger, sich hier zu integrieren. Durch die Lieder möchte ich ein wenig Verständnis erzeugen, ein bisschen Empathie für die Schwierigkeiten dieser Leute.
Ein Song wie „Freundlichkeit“ klingt beim ersten Hören ein wenig naiv, verzeihen Sie diesen bösen Ausdruck. Aber es klingt irgendwie fast schon zu einfach, dabei ist es doch nicht zu einfach, oder?
Na ja, es ist furchtbar schwer heute. Wenn man sich die gesellschaftlichen Debatten anschaut, dann sind das keine Debatten mehr. Es geht nicht mehr darum, einander zuzuhören und gemeinsam nach Lösungen zu suchen, sondern es geht darum, sich ganz verbissen aus verschiedenen Wagenburgen heraus anzubrüllen. Und wer am Lautesten brüllt, hat gewonnen.
Es geht gar nicht mehr darum, einen Diskurs zu suchen.
Da ist unsere Demokratie von innen her in größter Gefahr. Nicht nur politisch von den Rändern von links und rechts, sondern von innen heraus. Das Bewusstsein, was Demokratie ist und dass man sie auch immer wieder für sich neu entdecken und an ihr arbeiten muss, das geht allmählich verloren. Die Demokratie erodiert und das nicht nur bei uns.
Bei diesem Begriff, denn man da ständig hört, „unsere Demokratie“, frage ich mich immer, was soll das heißen? Wer definiert „unsere Demokratie“?
Jede Partei definiert sie anders.
Man müsste einfach wieder einen Grund-Konsens finden.
Ja, aber es ist ja eine weltweite Tendenz. Wir beobachten das ja überall, dass die Demokratie auf dem Rückzug ist und die Diktaturen auf dem Vormarsch sind. Das ist schon sehr bedrohlich.
Wenn wir noch einmal auf den Begriff „Freundlichkeit“ zurückkommen. Das war immer eine Tugend, die gut war, die vermittelt wurde. Wieso fehlt die heute? Sind die Leute nur noch auf sich selbst bezogen?
Es gibt doch kaum noch Solidarität in der Gesellschaft. Die Gesellschaft ist doch atomisiert, jeder ist für sich und allein gegen alle. Und da fehlt jede Menge Gemeinschaftssinn. Also es mag sein, dass es in ein paar anderen Ländern netter ist als bei uns. Die Deutschen sind wahrscheinlich besondere Stiesel. Aber es ist schon überall zu beobachten. Und die neuen elektronischen Medien tragen natürlich auch entscheidend zur Verrohung der Menschen bei. Es hat schon mit dem Handy angefangen. Ich selbst habe auch an mir beobachtet, wenn man jemandem eine SMS schreibt, dann drückt man sich meist viel grober und böser aus, als wenn man's ihm sagen muss.
Deswegen gibt es ja mittlerweile diese Emojis. Dadurch ist diese Art der Kommunikation einerseits viel komplizierter, aber durch die Smileys auch viel infantiler geworden.
Wir sind auf dem bildungsmäßigen Rückweg. Also der Höchststand der menschlichen Bildung ist überschritten, meiner Ansicht nach (lacht).
Nach über 40 Jahren im Musikgeschäft sind Sie ja immer noch primär ein Live-Performer. Würden Sie mir da zustimmen?
Ja, unbedingt.
Mit dem neuen Album gehen Sie 2026 auf Tour und das Album schreit quasi danach, live aufgeführt zu werden. Nehmen Sie Ihre Songs denn mit dem Gedanken im Hinterkopf auf: Ach, das könnte live sehr gut funktionieren? Oder ist das eher ein Nebeneffekt?
Ich kann nicht ganz ausschließen, dass man auch manchmal gewisse taktische Überlegungen anstellt, aber eigentlich bemühe ich mich immer, wenn ich etwas mir ausdenke, an gar nichts zu denken. Weder an den Verkauf, noch an den Hörer, noch an irgendwas anderes. Ich will nur dem Lied gerecht werden. Und dann, wenn das Lied fertig ist, dann sollten solche Überlegungen schon einsetzen, was mache ich damit auf der Bühne? Geht das überhaupt auf der Bühne? Wenn man während des Schreibens und der Produktion zu sehr daran denkt, dann blockiert man sich.
Wie werden Sie die Tour konzipieren? Haben Sie da ein Konzept oder sagen Sie, ich geh auf die Bühne und lege einfach los?
Nein, wir machen uns im Vorfeld viele Gedanken über die Optik, über das Licht und natürlich vor allen Dingen über das Programm. Das denk ich mir immer zusammen mit meinem Schlagzeuger Jens Carstens aus. Das ist mein engster Mitarbeiter in der Band. Er hat einfach ein gutes Händchen für Dramaturgie und wir diskutieren heftig und hektisch und fieberhaft und leidenschaftlich über die Auswahl der Lieder. Bei uns ist dabei aber immer Gesetz, dass wir auf jeden Fall die Hälfte des Programms dem neuen Album widmen. Weniger kommt für mich nicht infrage. Die andere Hälfte muss ich dann natürlich mit älteren Songs bestücken, sonst sind die Leute unzufrieden.
Ist das ist immer ein schmaler Grat für einen Musiker: einerseits die neuen Songs spielen, andererseits das Publikum nicht verärgern, wenn man alle alten Hits ignoriert?
Ich möchte niemals in eine Situation geraten wie die Rolling Stones, die dann ein neues Album aufnehmen nach zig Jahren und davon dann nur ein Lied spielen. Das will ich nicht.
Und wenn das Album dann auch noch so gut ist wie ihr letztes „Hackney Diamonds“ ist das schon schade.
Genau, das ist schon irgendwie komisch.
Wie gehen Sie denn an diese Herausforderung heran, einerseits Ihre langjährigen Fans zu begeistern, aber auch ein neues Publikum zu erreichen? Ich habe gelesen, dass Sie als junger Musikfan damals die John Peel Sessions gehört haben. Der hat in seiner Show viele Künstler entdeckt und sie gepusht. Welches Format würden Sie denn jungen Musikbegeisterten empfehlen, sich für Neues oder auch für Heinz Rudolf Kunze zu begeistern?
Das ist eine gute Frage, ich weiß es ehrlich nicht, wie man da am ehesten rankommt. Ich mache aber auch nicht Musik für eine bestimmte Generation. Bei mir sind alle Menschen eingeladen, mir zuzuhören, wenn sie wollen. Und natürlich freue ich mich sehr über junge Gesichter, wenn ich die im Publikum sehe, wobei die Mehrheit der Leute natürlich mit mir mit gealtert ist. Aber das ist, glaub ich, bei jedem Künstler so, der lange dabei ist.
Die älteren Fans bringen dann ihre Kinder und vielleicht sogar die Enkelkinder mit. Das sehe ich natürlich auch an meinem Publikum.
Sie haben es vorhin selbst angedeutet: Irgendwie waren Sie immer schon ein wenig der Gegenentwurf zum gängigen Popstar. Sie galten und gelten als der Philosoph, der Dichter in der deutschen Musikszene. War dieses Image von Beginn an gewollt oder haben Sie schon manchmal auch gedacht: So ein bisschen locker flockiger und gedankenloser würde ich es schon gerne mal krachen lassen?
Um Gottes Willen, nein. Das war nie mein Wunsch. Ich habe lange darunter gelitten, inzwischen habe ich mich damit abgefunden und die Leute glaub ich auch (lacht). Es ist einfach nicht gut, so ein Image zu haben. Die Leute verbinden damit gleich immer irgendeine Schwellenangst. Von wegen, das ist zu schwierig, zu tief. Ich glaube, viele Menschen haben sich gar nicht getraut, mich zu hören, weil sie gar nicht dachten, das käme für sie infrage. Und das ist natürlich schade. Aber ich kann mich und will mich auch nicht dümmer machen, als ich bin.
Das ist wie beim eben schon erwähnten Live-Set auch hier ein schmaler Grat, wenn man beides abdeckt.
Die, die da sind, können bezeugen, dass man bei uns zum Lachen nicht in den Keller muss (lacht).
Sie hatten bis vor Kurzem einen eigenen Podcast „Durch die Brille“. Gibt es die Sendung noch?
Nein, das war nur eine Beschäftigungstherapie während Corona.
Schade, denn das war ein Format, das zu Ihnen gepasst hat.
Mir macht das auch Spaß. Ich habe früher viel Radio gemacht, aber das hat irgendwie aufgehört, ich weiß nicht warum. Wahrscheinlich, weil es mittlerweile gar nicht mehr diese Formate gibt, in denen ich längere Sendungen über Bands oder Künstler machen dürfte. Ich habe das häufig gemacht, im NDR, im RIAS, im SFB, im Radio 21, Radio FFN, auch im WDR. Das war eine schöne Zeit, aber ich habe auch so genug zu tun.
Das Radio hat sich ja auch wirklich komplett verändert. Es gibt zwar die Formate, in denen mehr gesprochen wird und auch die Podcasts als Gegenbewegung. Aber im Formatradio läuft immer nur derselbe Kram.
Das ist sehr bedauerlich und ich denke, die Radios machen da einen großen Fehler, wenn sie daran denken, wie erfolgreich Podcasts grade laufen.
Wenn Sie dann mal im Radio gespielt werden, dann doch immer nur mit „Dein ist mein ganzes Herz“. Verfolgen Sie das? Werden da auch neue Sachen gespielt?
Nein, eher weniger. Also ich verfolge das nicht, aber ich weiß es ja. Und das ist schon ziemlich deprimierend. Man gibt sich so viel Mühe mit den neuen Liedern. Aber natürlich haben Sie kaum eine Chance im Vergleich zu den alten.
Wie stehen Sie denn zu Ihrem Signature Song? Den haben Sie für das neue Album mit Annett Louisan nochmal neu interpretiert. Das spricht ja zunächst einmal dafür, dass Sie mit dem Lied Ihren Frieden gemacht haben, dass Sie ihn einfach immer noch gut finden.
Meinen Frieden habe ich mit dem Lied sowieso gemacht. Ich weiß ja, was ich ihm verdanke. Aber ich bin ein Dienstleister und spiele dieses Lied, weil die Leute es hören wollen. Nicht, weil ich es unbedingt brauche.
Das spricht ja auch für das, was ich vorhin sagte, dass man den Menschen natürlich auch geben möchte, was sie hören wollen.
Ja, aber ich glaube auch nicht, dass Klaus Meine jeden Tag Lust hat zu pfeifen.
Mehr Infos zu Heinz Rudolf Kunzes Tour gibt es unter www.heinzrudolfkunze.de