Was ist der Mensch: die Summe seiner Hirnfunktionen? Der Philosoph Markus Gabriel weiß, da ist noch viel mehr.
Der Mensch als Maschine, als Roboter mit menschlichen Zügen oder umgekehrt: als Mensch mit roboterartigen Fähigkeiten. In einem Wort: als Cyborg, der Erbe unserer Unvollkommenheit auf dem Weg in die Maschinenperfektion.
Cyborgs sind unter vielen Zukunftsszenarien fast schon ein alter Hut. Sie und ähnlich geartete Figuren faszinierten in Science-Fiction-Romanen der 50er Jahre und toben sich allenthalben im ultrakonservativen Blockbuster-Kino unserer Tage aus.
Möglich würde dieser Fortschritt (wenn es denn einer ist) dank eines geradezu sezierenden Einblicks ins Innerste des Menschen, in sein Gehirn. Dort, wo sich alles abspielt.
Alles? Viele "Neurozentristen", wie Markus Gabriel sie abfällig nennt, sind davon überzeugt.
Alles geschieht durch unser Gehirn
In seinem neuen Buch "Ich ist nicht Gehirn" zitiert Gabriel den niederländischen Hirnforscher Dick Swaab: "Alles, was wir denken, tun und lassen", schreibt Swaab, "geschieht durch unser Gehirn. Der Bau dieser phantastischen Maschine entscheidet über unsere Fähigkeiten, unsere Grenzen und unseren Charakter; wir sind unser Gehirn."
Eigentlich hätte da noch ein Ausrufezeichen hingehört: Wir sind unser Gehirn!
Das Ausrufezeichen setzt dagegen der Bonner Philosophieprofessor Markus Gabriel, mit 35 Jahren einer der jüngsten seines Fachs und seit seinem Bestseller "Warum es die Welt nicht gibt" (2013) einer der stillen Stars des Denkergewerbes.
Nein, ruft Gabriel, auch die detaillierteste Kenntnis aller Lebensvorgänge im Gehirn reicht nicht aus, um wirklich zu begreifen, was im Kopf abgeht. Kein bildgebendes Verfahren, auch nicht das Wissen über Orte im Gehirn, wo bestimmte Reize (Lust, Trauer) erkennbar werden, könnten die entscheidenden Fragen beantworten, als da wären: Was genau nimmt der "durchschaute" Mensch wahr, welche Folgerungen schließt er daraus für sich? Was denkt er?
Es ist ein alter Streit: Unterliegt der Mensch einem szientistischen Behaviorismus, zehrt er, mit anderen Worten, von seinen
naturgegebenen und wissenschaftlich nachweisbaren Anlagen?
Oder kann er als intelligibler Charakter genug Einsicht und Fähigkeiten besitzen, eigenständig zum Schmied seines Glücks (oder Unglücks) zu werden.
Gabriel schlägt sich entschieden auf die zweite Seite, meist mit dem Florett, mitunter aber auch passioniert mit dem Degen austeilend.
Die Freiheit des Menschen
Dabei hat er die besseren Argumente eh auf seiner Seite: Wie sollte ein Werk wie das Shakespeares (Ideen, Sprache, Musikalität, Witz) aus einem maschinenähnlich funktionierenden Gehirn entsprungen sein? Wie auch Mozarts g-Moll-Sinfonie? Geist ist mehr als Physik.
Es geht in letzter Konsequenz um die Freiheit des Menschen und den Primat der Philosophie, für die Gabriel in die Bresche springt. Auf unserem Weg in die Abhängigkeit von Naturwissenschaften und der Bevormundung durch Algorithmen sind wir weiter fortgeschritten, als viele Leute zu glauben bereit sind. Doch der Mensch ist zum Selbstdenken geboren; wie eine Maschine funktioniert er (noch) nicht.