21.07.2015 Reitsport

Große Oper vor 40.000 Leuten

Stadion und Publikum: zwei Gründe, warum die Turniere in Aachen weltweit einen großartigen Ruf genießen
Stadion und Publikum: zwei Gründe, warum die Turniere in Aachen weltweit einen großartigen Ruf genießen Fotoquelle: CHIO Aachen 2014 Michael Strauch

Unter den Hymnen, die im Laufe vieler Reitturniere auf den Austragungsort Aachen gesungen wurden, sticht eine heraus. Sie stammt von Hans Günter Winkler, dem Olympia-Helden von 1956, der in diesen Tagen seinen 89. Geburtstag feiert. "Aachen", sagt Winkler, "gleicht einer großen Oper mit ihren Dramen und Helden."

Am 11. August beginnen die Europameisterschaften im Pferdesport. Nirgends ist das so aufregend wie in Aachen.

Und mit unzähligen allzu menschlichen Momenten, sollte man hinzufügen.

Die Dramen von Aachen, ob klein oder groß, resultieren zuvörderst aus der Spannung und Schönheit des Turnierreitsports selbst. Umgekehrt sind es zwei Aachener Faktoren, bestehend aus Stadion und Publikum, die den Reitsport auf ein emotionales Niveau heben, das woanders schwer zu finden oder einfach eine Nummer kleiner ist.

Ein kollektives Aufstöhnen von 40.000 Zuschauern in Aachen ist was anderes als ein Raunen in Balve oder Klein Flottbek.

Es hat Pferde gegeben, die vor dieser speziellen Aachener Kulisse zurückgescheut haben und sich auch von einem Weltklassereiter nicht zum Betreten des Parcours animieren ließen. Es hat eine junge Springreiterin gegeben, die zweimal hintereinander am Wassergraben stürzte und mit einem Applaus verabschiedet wurde, der ihr noch im Krankenwagen nachhallte.

Die Dressur-Noten der Zuschauer

Scott Brash aus Schottland gilt als derzeit bester Reiter der Welt. Als er mit seinem Pferd Hello Sanctos vor zwölf Monaten in Aachen schmählich scheiterte, sagte er: "Das ist einfach kein Pferd für Aachen."

Dieses Jahr im Mai kamen sie wieder. Brash und Hello Sanctos gewannen und staubten 330.000 Euro Siegprämie beim Großen Preis von Aachen ab. Klar, dass Brash der Favorit für die Europameisterschaften ist, die am 11. August mit Pomp and Circumstances (1000 Mitwirkende) eröffnet werden.

Das Publikum wird das Geschehen mit jener eigentümlichen Melange aus Aachener Volksfest und Sachkenntnis verfolgen. Wenn neben dem Dressur-Rechteck die Noten der Jury für jede einzelne Traversale oder Piaffe angezeigt werden, ist das Publikum mit einer Dressur-Bewertungsapp und eigener Benotung zur Stelle. Die Juroren mögen das eigentlich genauso wenig wie Literaturkritiker die laienhaften Buchbesprechungen im Internet. Doch hat es sich erwiesen, dass die Zuschauer versiert genug sind, um sich von den Bewertungen der Richter nicht oder nur geringfügig zu unterscheiden.


Andererseits: Man geht in Aachen zum Reitturnier (oder zum CHIO, wie er alljährlich ausgetragen wird) und nimmt sich die Zeit für ein Treffen unter Freunden. Die Legende will es, dass mancher Aachener kein Reitturnier verpasst, aber nie das Stadion von innen gesehen hat, weil das Bier draußen so gut schmeckt.

Nun kommen 13 Tage  Europameisterschaften. Mit Team- und Einzeltiteln im Springen, mit Dressur, Reining (Westernreiten), Voltigieren und Fahren auf der Marathon-Geländestrecke Soers – und mit orchestral begleiteten Medaillenzeremonien spätabends auf dem Marktplatz.

Und natürlich wird es wieder beides geben, große Oper und kleine Dramen.

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