Was genau die sieben Todsünden sind, könnte heute, anders als im Mittelalter, kaum jemand ohne Weiteres sagen. Überhaupt ist man geneigt zu fragen: Warum sieben? Und was soll an ihnen tödlich sein? Ist das nicht ein ziemlich alter Hut?
Im Kloster Dalheim, das tief im Bürener Land zu finden ist, geht das dort beheimatete Museum des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe einer scheinbar unzeitgemäßen Frage nach: Passt der Begriff Todsünde noch zu uns?
Von tödlich kann keine Rede sein
Wer glaubt, die Todsünden seien mit der Bibel über uns gekommen, ist auf dem Holzweg. Zwar werden im Alten Testament (Buch der Sprüche) verschiedene Laster beim Namen genannt: Geiz, Zorn, Trägheit, Neid. Doch von tödlich kann keine Rede sein, selbst in der berühmten Zeile "Hochmut kommt vor dem Fall" (Sprüche 16, 18) nicht.
Im Gegenteil, scheint nicht Gott selbst von sündigem Zorn geleitet, wenn er Sodom und Gomorrha in Asche legt? Oder Jesus voll Zorn die Händler aus dem Tempel vertreibt?
Grundsätzlich erweisen sich die Todsünden als vertracktes theologisches Gebilde. Gott schafft die Menschen im Bewusstsein, dass sie zu Sündern werden. Und doch soll sich der fromme Christenmensch im Glauben wiegen, dass Gott rachedurstig übelnimmt, wenn sein fleischgewordenes Konstrukt tatsächlich über die Stränge schlägt?
Charakter ist zweifelhaft
Die Reihenfolge der Todsünden ist im Grunde nebensächlich, ihre Zahl erweist sich über die Jahrhunderte als unbeständig (es waren auch schon acht), ihr Charakter ist zweifelhaft.
Als ideale Konsumenten können wir heute gar nicht heiter genug sündigen. Werbung und Wirtschaftsweise raten in einem fort zum Laster.
So geht Völlerei in Genießertum über, Gier wird im Sport und erst recht im Bankwesen als notwendige Gewinnermentalität gewertet, Neid als wichtige Antriebsfeder in der Leistungsgesellschaft und Faulheit als zumindest vorübergehend gesunde, weil erholsame Abwechslung zum Stress der Arbeitswelt.
Zorn, das wissen wir, kann gerecht sein, bleibt aber erfolgsabhängig. Der scheiternde Zornige ist ein Idiot, der erfolgreiche ein Held.
Sexuelle Begierde hat allein schon durch die Verwandlung des Adjektivs "geil" in "toll" oder "super" an positiver Wahrnehmung gewonnen und könnte in Zeiten der Kinderarmut weiter aufgewertet werden. Die Mittelchen der Pharma-Industrie stehen bereit.
Rauchen und Trunkenheit
Fehlt noch was? Wir wollen der Hochmut gegenüber nicht hochmütig sein, aber hat sie ihren einst hohen Sündenrang noch verdient? Der schottische Philosoph David Hume (1711–1776) wertet Hochmut sogar als Tugend, was sich womöglich aus sprachlicher Differenz ergibt: Hochmut, die sich von Hoffart (Dünkel) ableitet, ist was anderes als das englische Wort pride (Stolz), das für Hume maßgeblich war.
Oberflächlich betrachtet gehen die Todsünden enge Verbindungen untereinander ein. Aus Gier wächst Gefräßigkeit, aus Gefräßigkeit wächst Geilheit. Aus Neid wird Zorn, der in Hass umschlägt. Tödlich, doch ja, kann das alles werden, muss aber nicht. Nietzsche wiederum legt dar, dass jede Todsünde aus eigener Macht so viel Herrschaft über den Menschen gewönne, dass sie keiner Verbindung mit anderen Wesensschwestern bedürfte. Wie auch immer, es war Papst Gregor I. (540–604), der die "Kardinalsünden", wie er sie nannte, auf die von alters her magische Zahl Sieben festklopfte.
Der Mönch und Denker Thomas von Aquin (1225–1274) legte im Mittelalter ordnend Hand an das gregorianische Sündenschema und sparte die Trunkenheit gezielt aus. Er fand zu viel Freude am Wein.
Heute würden wohl Trunkenheit und Rauchen dazugezählt sowie Grausamkeit, Tyrannei, ethnischer Hass, Rassismus, religiöse Verfolgung, Gleichgültigkeit ... Es gibt so erschreckend viele Sünden. Und viele rechtfertigen den Zusatz "Tod".