27.08.2015 Gesundheit und Langlebigkeit

Oben auf der Alterspyramide

Von Detlef Hartlap
Der Sonnenuntergang ist noch fern: Kreuzfahrten werden gern von Senioren genossen
Der Sonnenuntergang ist noch fern: Kreuzfahrten werden gern von Senioren genossen Fotoquelle: Volt Collection/shutterstock.com

Peinlich, auf einmal wachsen dir die Haare zu den Ohren heraus. Auf einmal fallen dir Namen nicht mehr ein. Du sagst dir: Es sind einfach zu viele Namen geworden im Laufe der Jahre. Aber du weißt, dass du dich selbst betrügst. Es ist das Alter. Es ist diese verflixte, unaufhaltsame Krankheit namens Senilität, die Krankheit zum Tode, die sich deiner bemächtigt hat.

Auf der Straße haben die Kinder schon "Opa" gerufen, als du ihnen den Ball zugekickt hast, sehr gekonnt übrigens. Den Jägerzaun zum Grundstück der Nachbarin überwindest du mit Bedacht weniger sprunghaft als noch vor einiger Zeit.

Dafür eher mit Würde. Es wirkt ein bisschen ungelenk, aber das merkt doch keiner außer dir selbst.

Trotzdem, es lässt sich nicht länger leugnen, dass sich das Alter an dich rangeschlichen hat, unmerklich, auf ultraleisen Sohlen. Du empfindest einen Hauch von Schuld, weil du dich übertölpelt fühlst, weil du auf eine Illusion von andauernder Jugend reingefallen bist. Hast du dich nicht im letzten Sommer noch fit und frei gefühlt? Über Rockstars mit ihren ergrauten Dünnhaarmähnen gelästert? Wie Zirkusgäule nudeln sie die immer gleichen Songs ab und vollführen die immer gleichen Rockerposen, auch wenn die Stimme fieselt und die Gelenke knirschen.

Senioren, die in Bomberjacken und Jeans flanieren

Ist es denn wirklich schon Zeit für die Besorgungen auf der Zielgeraden des Lebens: Testament, Betreuungsvollmacht, Sterbeversicherung, Bestattungsvorsorgevertrag? Aber woher denn!, beruhigen uns die Schreiberlinge in den Illustrierten, die uns, den 50-, 60-, 70-Jährigen, das ewige Leben, wenigstens aber das Johannes-Heesters-Limit prophezeien. Aber woher denn!, rufen tatsächlich auch die Biologen, Genetiker und Biochemiker, die an den Elementen des Lebens schrauben, als handle es sich um alte Autos.

Ja, es stimmt, wir Menschen werden immer älter, ungeachtet unserer Maleschen und Wehwehchen. Die Rollatoren rollen, die Kreuzfahrtschiffe kreuzen, jedem ein Plätzchen auf der Spitze der Alterspyramide – 2050, wir kommen!

Die Frage aber bleibt: Wie alt können wir tatsächlich werden? Wie konkret sind die Aussichten? Und wäre die Fortsetzung der Lebenszeit in eine unbestimmte Ewigkeit überhaupt wünschenswert?

Schon jetzt repräsentieren die Senioren unter uns die älteste Generation, die je auf Erden gelebt hat. Man sieht es ihr, von Rollatoren-Schiebern abgesehen, nicht unbedingt an. 60-Jährige flanieren in Bomberjacken und Jeans durch die Fußgängerzonen. Der Rentner ist bunter gekleidet als sein Enkel und braungebrannt, als ob er nach wie vor die meiste Zeit auf dem Baugerüst schuften würde.

Alter muss auch nicht mehr zwangsläufig einsam machen, wie das früher oft der Fall war. Die sogenannten Best Ager sind, ob über Facebook oder echte Freundschaften, mindestens so gut vernetzt wie junge Leute. Dass die Alten zum Problem werden könnten, wenn in Zukunft 77 Rentner auf 100 erwerbstätige Deutsche kommen, darf ihnen im Prinzip egal sein. Es ist ihr Leben.

Noch zu Darwins Zeiten im 19. Jahrhundert vertraten Biologen die Ansicht, das Wegsterben der Alten sei eine evolutionäre Notwendigkeit, weil dadurch Platz geschaffen würde für die überreichlich vorhandene Jugend. Das gilt nicht mehr. Auch die Theorie, wonach die Lebensdauer eines Menschen durch eine bei der Geburt festgelegte Quantität von "Lebensenergie" sowie durch die Geschwindigkeit der Lebensvorgänge bestimmt werde, scheint überholt.

In den vergangenen 20 Jahren hat die Biogerontologie (die Erforschung der Biologie des Alterns) Fortschritte gemacht. Wissenschaftler sprechen von einer "Revolution des Alterns". Und zumindest in Tiermodellen werden erstaunliche Ergebnisse mit verlängerten Lebensspannen sowie dem Aufschub von Altersgebrechlichkeit und Alterskrankheiten erzielt.

Das ewige Leben als Vorrecht für die gut Betuchten?

Prof. David Gems von Londoner Institute of Healthy Aging sagt: "Dies sind aufregende Perspektiven!" Und warnt zugleich: "Doch sollten wir mit unseren innigsten Wünschen sorgsam umgehen. Seit den Anfängen der Kultur haben wir nach Mitteln gegen das Altern gesucht. Aber wäre ihre Entdeckung eine gute Sache?"

Dem amerikanischen Sachbuchautor und Zukunftsforscher Ray Kurzweil sind solche Bedenken fremd. In seinem Bestseller "Nine Steps to Living Well Forever" haut er mächtig auf den Putz und stellt einen Maßnahmenkatalog vor, durch den "alle Prozesse, die zu Krankheit und Altern führen, verlangsamt und schließlich gestoppt" würden.

Das Ziel sei "nicht Langlebigkeit, sondern Unsterblichkeit". Was steckt hinter diesem "Transcend" (Überschreitung) genannten Programm? Erstens Banalitäten wie regelmäßige Leibesertüchtigung und eine ausgeklügelte Diät. Zweitens der massive Einsatz von Technik. So sollen winzig kleine Nano-Roboter den menschlichen Körper unentwegt auf Schadstellen absuchen und reparieren.

Man ahnt: Das ewige Leben könnte ein Vorrecht für überdurchschnittlich gut betuchte Kunden werden.

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