Vor 500 Jahren träumte Thomas Morus von einem Land namens Utopia. Die Sehnsucht danach besteht fort.
Die Frage, wo Schlaraffenland liegt, ist nie eindeutig beantwortet worden. In alten Texten finden wir Hinweise: "Weit im Meer, westlich von Spanien." Oder auch: "drei Meilen hinter Weihnachten." Und noch präziser: "jenseits von Montag."
Nun gibt es aktuell ein paar Leute, die Kriegsflüchtlingen unterstellen, sie wüssten genau, wo sich "jenseits von Montag" befinde, nämlich mittemang in Deutschland. In Wahrheit kämen diese Menschen nur, weil bei uns, wie im Schlaraffenland, Milch und Honig flössen und Kapaune fertig gebraten über die Straße flatterten.
Welch schönes Kompliment für die Bundesrepublik! Offenbar wähnen sich die Schreihälse allem Stress und Streit zum Trotz in einer Art Schlaraffenland. Deshalb teilen sie auch nicht gern, was allerdings gegen ein Prinzip des Schlaraffenlandes verstößt. Es herrscht dort freier Eintritt für jedermann. Asylverfahren überflüssig.
Faulenzen als große Tugend
Vor fünfhundert Jahren, im Frühjahr 1516, brütete ein Thomas Morus in London über dem Manuskript, das ein Modell für eine bessere Welt beschreiben sollte. Es hieß "Von der besten Verfassung des Staates ..." und handelte von einer fiktiven Reise zu einer fiktiven Insel namens "Utopia".
Dort ging es in etwa so zu, wie man sich das vom Schlaraffenland erträumte: Das Privateigentum war abgeschafft, der Hunger vergessen, ein Grundeinkommen in Form von Lebensmitteln auf ewig garantiert.
Damit schuf Morus den Urtyp aller neuzeitlichen Utopien, obwohl er im Kern auf alte Fantasien von einer Gegenwelt ohne Machtapparate und Gewalt, ohne Unterdrückung und Ausbeutung zurückgriff – auf die Vorstellung vom Schlaraffenland.
Wann und wo sie entstanden ist, liegt im Dunkeln. Tatsache ist, im Jahr 1250 taucht in Frankreich das Fabliau de Coquaigne auf, eine Schrift, in der die katholische Welt von Sünde und Strafe auf den Kopf gestellt wird.
Inhalt: Der Papst schickt einen Sünder, der das Schlimmste erwartet hatte, nach Coqu aigne, "ein gar wundersames Land", wie der Papst bemerkt, wo das Trinken und Schmausen kein Ende nähme.
Was aber erwartet den Sünder (oder Glückssucher), wenn er endlich "jenseits von Montag" im Land Coquaigne angelangt ist?
Der Traum vom guten Leben
Pieter Bruegel der Ältere hat dem Traum vom guten Leben auf seinem Gemälde "Das Schlaraffenland" (Alte Pinakothek, München) von 1567 ein auf den ersten Blick befremdliches Aussehen verliehen, ihm aber gleichwohl die Utopie des Thomas Morus beigegeben.
Unter einem Baumstamm ist ein Tisch mit gebratenem Geflügel, Kuchen und anderen Speisen angebracht. Drei Männer mit vollgestopften Bäuchen ruhen ermattet, ein Bauer mit Dreschflegel, ein Ritter mit Kettenhemd und ein Gelehrter mit gefüttertem Mantel und einem Buch nahebei. Sie repräsentieren die Stände der mittelalterlichen Gesellschaft, die hier, anders als im wirklichen Leben, in schranken loser Völlerei vereint sind.
Auch andere Wohltaten kommen im Schlaraffenland nicht zu kurz. Im Fabliau de Coquaigne heißt es: Und wenn es sich ergibt, dass eine Dame ihre Aufmerksamkeit einem Mann zuwendet, den sie sieht, dann nimmt sie ihn sich mitten auf der Straße und macht mit ihm, was sie gern möchte. So tut eines dem anderen viel Gutes.
Kein Wunder, dass sich die Nachrichten um 1250 schnell verbreiteten. Binnen Kurzem wurde Coquaigne in Italien bekannt (Cucagna), in England (Land of Cock aigne), in den Niederlanden (Luilekkerland) – und auch in Deutschland, wo man von Schlaweraffenlandt sprach.
Letzteres ist bemerkenswert, weil das Fleckchen unendlichen Genusses, an dem Naturgesetze und alle Ordnung aufgehoben sind, einzig im Deutschen einen leicht abfälligen Beiklang erhält.
Das mittelhochdeutsche "slûdern" steckt in dem Wort, also schludern, schlendern. Und Grimms Wörterbuch macht aus dem "slûderaffen" einen ausgemachten Faulenzer.
Falsch ist das nicht. Nur halt, das Faulenzen galt im Schlaraffenland als Tugend.
Wer ein Nichtsnutz ist, nichts lernen will, der kommt im Land zu großen Ehren, dichtete Hans Sachs, der Schuster und Meistersinger aus Nürnberg über das Schlaraffenland, wer liederlich ist und um nichts bemüht außer um Essen, Trinken und viel Schlafen, aus dem macht man einen Grafen.
Wo aber findet es sich nun, das Schla raf fen land? Vermutlich näher als man glaubt ...