10.11.2015 November

Von der ewigen Ruhe draußen im Wald

Novemberstimmung am See: Wenn uns im Nebelmonat häufiger als sonst nach Ewigkeit zumute ist, zeigt das nur, welche Vorstellung wir von der Ewigkeit haben. Dass sie grau in grau sei, bleibt vorläufig unbewiesen.
Novemberstimmung am See: Wenn uns im Nebelmonat häufiger als sonst nach Ewigkeit zumute ist, zeigt das nur, welche Vorstellung wir von der Ewigkeit haben. Dass sie grau in grau sei, bleibt vorläufig unbewiesen. Fotoquelle: Sanderstock/Fotolia

Die Abkehr vom traditionellen Friedhof schreitet voran. Vor allem die Baumbestattung gewinnt an Zulauf.

Klingt wie ein Seufzen aus dem Jenseits: "Erst im Wald kam alles in mir zur Ruhe, und meine Seele wurde ausgeglichen und mächtig."

Immer mehr Menschen sehnen sich danach, im Wald begraben zu sein, unter einem Baum und tief ins Wurzelwerk gebettet. Die Begräbnis- und Grabpflegewirtschaft wie auch Städte und Gemeinden gehen davon aus, dass in zehn Jahren jede dritte Beisetzung auf einem Waldfriedhof erfolgt.

Unser Eingangszitat ist denn auch nicht dem Totenreich abgelauscht, sondern der Sehnsucht des modernen Menschen nach dem Aufgehen in der Natur.

Knut Hamsun schrieb die Zeilen 1894 in seiner Aussteiger- und Liebesnovelle "Pan". Der Wald fungiert darin als ultimativer Fluchtort aus einem nervösen, unerfüllten Leben: "Ein paar Tage verstrichen, so gut es eben ging, der Wald und die Einsamkeit waren meine einzigen Freunde."

Wir kennen das von Tieren. Wenn es dem Ende zugeht, verschwinden sie stiekum in die Unauffindbarkeit, lösen sich in nichts auf.

Der Waldfriedhof kommt dem nahe. Der Verstorbene in seiner biologisch abbaubaren Urne wird eins mit der Natur von Hainbuche, Ahorn oder mythischer Eibe. Grabschmuck ist verpönt. Ein kleines Namensschild aus Messing wird in manchen Fällen angebracht, notwendig ist es nicht.

Der Wind über den Gräbern

November. Die Zeit, da man sich der Gräber erinnert. Die äußerliche Melancholie des Nebelmonats scheint die passend graue Entsprechung zur innerlichen Wehmut, zu Erinnerungen und Trauer abzugeben. Zumindest tun viele Medien so, als ob nur im November erinnert und gestorben würde.

Jedenfalls war der "Totensonntag" (in diesem Jahr am 22. November) der Tagesschau noch alle Jahre einen Schwenk über einen gut besuchten Großfriedhof wert. Die Zunft der Friedhofsgärtner ist froh, dass es den November gibt. Ritus bedeutet Reibach.

Ändert sich das mit dem Aufkommen der Waldfriedhöfe oder der ebenfalls populär gewordenen Seebestattung?

Die Geschichte des modernen Waldfriedhofs ist ein spätes Erbe der Romantik, als sich Adlige eine Grabstatt auf dem eigenen Anwesen einrichten ließen.

Um 1990 kam ein gewisser Ken West, Friedhofsmanager in Carlisle, auf die Idee, das Gras im historischen Teil der Anlage wachsen zu lassen. Er war es leid, ständig Unkrautvernichter einzusetzen und zu beobachten, dass Schmetterlinge und Vögel vom Friedhof verschwanden.

Als er später gefragt wurde, ob ein Grab im inzwischen wild bewachsenen "schönen Teil" des Friedhofs zu haben sei, merkte er: Der Wind über den Gräbern hatte sich gedreht. In Deutschland wurde 1993 der Name "Friedwald" für die noch neue Form des Baumfriedhofs geschützt (von einem Schweizer namens Ueli Sauter). Weitere Unternehmen ("RuheForst" etc.) folgten. Inzwischen existieren 160 Standorte.

Das kleine Schild am Baum

Bestattungsunternehmer und besonders Grabsteinmetze sehen tatsächlich ihre angestammten Pfründe schrumpfen. Auch die Kirchen sind alles andere als erbaut. Noch 2008 wetterte die evangelische Bischöfin Margot Käßmann, zu einem Grab gehöre ein Stein, auf dem stehe, wie lang ein Leben gewährt habe.

Genau das aber wollen immer weniger Leute ihre Umwelt wissen lassen. Das Namensschild am Baum ist ihnen genug. Wer sich auf hoher See versenken lässt, will nicht einmal das. Was Pfarrer früher am Grabesrand murmelten, wenn sie nach der Schippe griffen – Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub –, wird heute bis hin zur Anonymität im Tode wörtlich genommen.

Gut möglich, dass der November als Friedhofsmonat schon recht bald ausgedient hat. Die Melancholie eines Waldfriedhofs währt ewiglich und ist von der Schönheit aller Jahreszeiten geprägt.