Optimiere dich oder du wirst optimiert: warum Arbeitnehmer nicht mehr sein dürfen, wie sie sind.
Motivationstrainer, bitte mal kurz innehalten! Leadership-Experten, bitte mal einen Moment keinen Ton sagen! Theoretiker des idealen Arbeitsablaufs, legt mal eure blendenden Hochglanzbroschüren beiseite!
Die Menschheit ist auch ohne euch ausgekommen, sie hat ohne euch Großartiges geleistet. Sie hat die Welt geschaffen, in der wir leben, die vermutlich beste Welt aller Zeiten.
Wie hat sie das bloß hinbekommen – ohne optimierte Arbeitsabläufe? Ohne Motivationstraining? Aber bestimmt mit Anfällen von Selbstzweifel und Faulheit und dem immer mal wieder auftauchenden Gefühl, ungerecht behandelt und entlohnt zu werden.
Höllen der Versagensangst
Ob mit oder ohne Motivationstrainer, der innere Schweinehund musste immer schon überwunden werden; schon immer war es Sache jedes Einzelnen, zu kämpfen und Widerstände zu überwinden; jeder Jäger, Sammler oder Bauherr ging durch Höllen der Versagensangst. Und niemand (von Diktatoren abgesehen) konnte darauf verzichten, Helfer und Mitarbeiter von Sinn und Schönheit eines Projekts zu überzeugen.
Erst die schöne neue Arbeitswelt, die alles noch besser funktionieren lässt, vor allem uns, die Arbeitnehmer, brachte eine Spezies von Motivationstrainern, Leadershiplern und Ablaufoptimierern hervor sowie jene "Mess-Diener", die auf Heller, Pfennig und Planerfüllung kontrollieren.
So kommt es, dass wahnsinnig motivierte Mitarbeiter den BER-Flughafen mit links wuppen, dass der Kölner Autobahnring zur Beschleunigung statt zum ewigen Stau beiträgt und die Elbphilharmonie im Nullkommanichts bespielbar wird.
Motivation. Ein seltsam Ding. Wozu benötigen Bundesligakicker einen Motivationstrainer, wenn sie mit jedem Sieg ihr Vermögen steigern? Warum haben Schauspieltalente, in denen ein zweiter DiCaprio steckt, plötzlich keinen Bock mehr? Warum verbannen junge Cellistinnen ihr Instrument auf Nimmerwiedersehen in die Ecke? Wie kommt es, dass der Beste in einem Ingenieurteam den Rappel kriegt, kündigt und etwas von "wahrem Leben" faselt?
Das Großraum-Elend
Für die Antwort reicht mitunter ein Blick auf die äußeren Umstände – die Großraumbüros, die schäbigen Klassenzimmer, die versifften Hörsäle. Wo die öffentliche Hand ausbildet, soll das Elend motivieren.
Konzerne lieben Großraumbüros. Die typischen Nischen, 180 cm breit, 150 cm tief, wurden besonders in den USA zum Kainsmal der Aussichtslosigkeit.
Wer dort arbeitet, will nichts wie raus. Doch entsteht aus dem Negativen keine Positiv-Motivation. Das Großraumbüro, egal ob mit Pflänzchen drapiert oder freie Sicht auf die Chefbürotür bietend, gleicht einer Legehennenbatterie, in der nur winzige Eier gelegt werden.
Wer dort arbeiten muss, träumt nicht davon, der eine unter Hundert zu sein, der die Schornstein-Karriereleiter hinaufklettert. Motivationsangebote wird er als zynisch empfinden.
Schlimmer noch als äußerliche Schäbigkeit ist die subtile Vereinnahmung zum totalen Einsatz, die freiwillige Verpflichtung als Frage der Ehre, scheinheilig besorgte Anteilnahme inbegriffen: "Sie müssen sagen, wenn es Ihnen zu viel wird ..." Der Mitarbeiter wird aufs Äußerste ausgereizt, indem er sich selbst überlassen bleibt – seinem Pflichtgefühl, seiner Verantwortung und einem kaum noch merklichen Getriebensein.
Besprechungen zur Leistungssteigerung
Der Leipziger Karikaturist Detlef Beck hat das in ein Cartoon gesteckt. Ein schlafendes Pärchen; sie wird von ihrem Mobiltelefon geweckt: "SMS vom Chef. Ich soll ihm bis morgen Unterlagen zusammenstellen, die die Stressbelastung der Kolleginnen dokumentieren. 'Kein Stress', schreibt er, bis 9 Uhr reicht ihm völlig."
Eine andere Motivationsform läuft auf nichts als ein großes Loch hinaus: Besprechungen zur Leistungssteigerung. Sie signalisieren vor allem eins: Es gibt Defizite, die schleunigst zu beheben sind.
Der amerikanische Psychologieprofessor Martin Seligman lehnt so was strikt ab: "Don't fix, what's wrong", sagt er, "build up, what's strong."
Hadere nicht mit Schwächen, baue deine Stärken aus!
Das geht weit über das modische "Resilienz"- Getue hinaus, das Widerstand gegen die Zumutung der Arbeit propagiert, aber keine Motivation fördert. Der Mensch liebt seine Arbeit, wenn er sie machen darf. Motivationstrainer, Leadership-Experten – ihr sind seid überschätzt!