02.06.2015 Wandern

Was der Strudelwurm weiß

Im Land der 1000 Berge: Die höchsten im Arnsberger Wald heißen Niekopf (551 m) und Gemeinheitskopf (549 m).
Im Land der 1000 Berge: Die höchsten im Arnsberger Wald heißen Niekopf (551 m) und Gemeinheitskopf (549 m). Fotoquelle: Naturpark Arnsberger Wald

Mit Ranger Jörg Pahl auf der Sauerland-Waldroute. prisma-Leser können diese Wanderung gewinnen.

Kaum unterwegs, gibt es auch schon was zu futtern. Ranger Jörg Pahl, unser Führer im Arnsberger Wald, rupft Kleeblätter vom Wegesrand. Schmeckt nach nix? Von wegen. Sehr zitronig. So eine Handvoll davon auf dem Wildkräutersalat, das wär was. Aber jetzt geht es in den Wald, nicht an die Salattheke.

Doch ein paar Schritte weiter hat der Mann schon wieder Essen im Kopp. "Schauen Sie sich nur mal diese Fruchtansätze an!", ruft er, "das wird ein Super-Blaubeerenjahr. Wir hatten wenig Bodenfrost im Winter, ideale Temperaturen."

Der Wald ist sein Reich

Es geht aufwärts. Vor uns der Naturpark Arnsberger Wald. Ein Riese von Waldgebiet. 482 Quadratkilometer Grün, verteilt auf die Landkreise Soest und Hochsauerland. Eine Wildnis unter Forst aufsicht. Ranger Pahl (55) gehört zu den Leuten, die dafür sorgen, dass Wald, Wild und Wanderer im Lot bleiben. Der Wald ist sein Reich. Schon wieder hat er was beim Wickel: Pestwurz, den "falschen Rhabarber".

"Früher dachten die Menschen", erzählt Pahl, "damit ließe sich die Pest bekämpfen." Ein Trugschluss. Aber gegen die Sonne halfen die großen Blätter. "Die haben sich die Frauen auf den Kopf gelegt, wenn sie auf den Feldern beim Hacken waren."

Der Berg zur Linken ist eher luftig von Buchen bestanden. Alle 20, 30 Meter schlängelt sich ein Rinnsal zu Tale. "Alles trinkbar", sagt Pahl, "die Wasserqualität bekommt hier durchweg die Note 1."

Das ist mal eine Behauptung. Aber wenn man einen Stein aus dem Wasser hebt und genau hinschaut, wird man winziger Tierchen gewahr. Alpenstrudelwurm und Quellschnecke. Das sind Wasserqualitätsanzeiger erster Güte. "Der Alpenstrudelwurm", weiß Pahl, "ist ein Relikt aus der Eiszeit. Wo der leben kann, ist das Wasser gut."

Acht Grad Celsius ist des Würmchens Lieblingstemperatur. Die hat er hier im Schatten des Baumdaches.

An anderen Rinnsalen stoßen wir auf Köcherfliegenlarven und Bachflohkrebse. Auch gut. Aber nicht ganz so gut wie der sauerländische Alpenstrudelwurm.

100.000 Quellen entspringen im Sauerland

Das Sauerland gilt, wir übertreiben jetzt, als Regenwald. Von Westen her schiebt der Atlantik Wolken heran. Hier, wo sich die Berge bis auf 585 Meter heben, können sie abregnen. Das beschert dem Sauerland an die 1400 Millimeter Niederschlag im Jahr, schützt vor Waldbränden und sorgt für eine rege Quelltätigkeit aus dem Untergrund.

Übern Daumen: 100.000 Quellen entspringen im Sauerland. Ob's irgendwo eine höhere Quelldichte gibt? Auf Island vielleicht. Berühmt ist das idyllische Mühlental mit den Almequellen. Im verkarsteten Kalkstein hat sich tief unter der Erde ein Geflecht aus mehr oder weniger miteinander verbundenen 104 Quellen gebildet. Das ergibt im Geologen-Jargon eine der "stärksten und saubersten Quellschüttungen Deutschlands". Ort des erstaunlichen Geschehens: der Nordrand der Briloner Hochfläche.

Wir aber befinden uns auf der Sauerland-Waldroute südlich von Warstein und passieren gerade, ohne dass wir's so recht merken würden, einen alten Steinbruch. Er ist längst von Gras und dichtem Moos überwachsen. Sein altes Narbengesicht, das er vor 20 Jahren noch gezeigt haben mag, ist verschwunden. Der Wegebau im Wald erforderte Steinbrechungen vor Ort.

Die Kölner Erzbischöfe

Ein paar hundert Meter weiter passieren wir, ebenfalls für den Waldlaien schwer auszumachen, eine alte Köhlerplatte. Einst kam die Braunkohle, die man im Ruhrgebiet zum Schmelzen von Eisenerz benötigte, aus dem Sauerland. Da waren die Köhler reihum gefragte Leute. Lange her.

Aber die Geschichte der Warsteiner Bergbau- Tradition wird sorgsam gepflegt und kann in unmittelbarer Nachbarschaft der Sauerland-Waldroute ihrerseits erwandert werden. Eine acht Kilometer lange Route führt vorbei an 33 großen Tafeln zurück in die Zeit der ersten Hammerwerke.

Erstaunlich in dieser Gegend, die man getrost als tiefstes Westfalen bezeichnen kann, ist der Einfluss von Kölner Erzbischöfen. Einer von ihnen, Siegfried von Westerburg, war es, der Warstein 1276 die Stadtrechte verlieh. Ackerbau, der üppige Waldbestand und die besagten Hütten- und Hammerwerke sorgten für einigen Wohlstand.

Tief im Wald passieren wir eine Kapelle. Clemens August (1700–1761), der Kurfürst und Erzbischof von Köln, hatte sie errichten lassen und damals mit dem robusten Schiefer der Region gedeckt.

Gottes Segen über der erzbischöflichen Passion

Jörg Pahl weiß auch darüber Bescheid. "Clemens August besaß hier auf dem Hirschberg ein Jagdschloss. Und wenn er in großem Stil auf Auerwild jagte, musste natürlich auch eine Kapelle her." So lag Gottes Segen über der erzbischöflichen Passion.

Ranger Jörg Pahl jagt nicht. Seine Aufgabe besteht in Kontrolle und Pflege des Waldes, in Führungen und in der Weiterentwicklung der einstweilen 240 Kilometer langen Sauerland- Waldroute. Sein Job ist der Wald. Kann es einen schöneren geben?