31.05.2021 Achim Schlöffel im Interview

Der Tod taucht mit

Achim Schlöffel hat nie den Respekt vor der Gefahr des Tauchens verloren.
Achim Schlöffel hat nie den Respekt vor der Gefahr des Tauchens verloren. Fotoquelle: Bruno Borelli

Achim Schlöffel ist Extremtaucher. Als erster Mensch hat er allein den Ärmelkanal durchtaucht und immer wieder Grenzsituationen erfahren. Zahlreiche seiner spannenden Erlebnisse als Berufstaucher hat er in seinem neuen Buch "Der Tod taucht mit" veröffentlicht. prisma hat mit ihm über das Tauchen, seine Erfahrungen mit dem Tod und das neue Buch gesprochen.

Guten Tag Herr Schlöffel, wo treffe ich Sie gerade an?

Achim Schlöffel: Ich bin in meiner Werkstatt. Ich habe eine Firma. Dort restauriere ich klassische Boote und elektrifiziere sie.

Wann sind Sie das letzte Mal getaucht?

Achim Schlöffel: Letztes Wochenende, ich versuche, mindestens einmal in der Woche ins Wasser zu kommen.

Tauchen, so wie Sie es betreiben, ist körperlich sehr fordernd. Gibt es da eine Altersgrenze, ab der man das in dieser Form nicht mehr machen kann?

Achim Schlöffel: Meine älteste Schülerin war 78 (lacht). Man muss dabei aber immer unterscheiden, denn Tauchen ist nicht gleich Tauchen. Jemand, der wie die alte Dame in einer Tiefe von fünf Metern bunte Fische gucken möchte, hat natürlich einen anderen Ansatz als technische Taucher. Man geht davon aus, dass man bei dekompressionspflichtigen Tauchgängen mit 40 in die Risikogruppe rutscht. Ich habe das auch gemerkt, als ich vor fünf Jahren mit 45 Jahren Tauchgänge gemacht habe, die ich zehn Jahre zuvor schon einmal getaucht bin. Da war ich in Italien und bin runter zu einem Wrack in 100 Meter Tiefe getaucht. Was fühlte ich mich da bei der Dekompression hinterher schlecht. Man merkt einfach, der Körper verzeiht einem so etwas nicht mehr so leicht.

Heißt das dann für Sie, dass Sie diese extremen Tiefen besser nicht mehr tauchen?

Achim Schlöffel: Definitiv. Ich hatte mal ein Projekt mit der griechischen Regierung, da habe ich jahrelang nach Wracks gesucht und die Daten geteilt. Die Schiffe lagen in 120 bis 140 Meter Tiefe. Das würde ich heute einfach nicht mehr machen. Aber es ist nicht einfach nur das Alter, es ist auch die Verantwortung als Familienvater.

Wie sieht denn der Alltag für Sie als Taucher aus, müssen Sie regelmäßig trainieren? Müssen Sie auch Ernährungsregeln einhalten?

Achim Schlöffel: Nein, nicht unbedingt. Ich versuche, einen allgemeinen Fitnesslevel beizubehalten. Ich schwimme relativ viel. Es kommt aber auch immer darauf an, wo ich mich gerade aufhalte. Bis vor acht Jahren, als ich dann noch einmal Vater wurde, bin ich viel gereist. Da war ich im Schnitt 250 bis 300 Tage im Jahr unterwegs und in der Regel dann auch viel im Wasser. Das ist wie bei einem Musiker, der jeden Abend spielt. Der muss sich auch nicht jeden Tag hinsetzen und üben. Dadurch, dass ich viel körperlich arbeite, bin ich für mein Alter noch fit.

Jetzt haben Sie Ihr Buch veröffentlicht. Wie kam es zu der Idee, und wie haben Sie die vielen Anekdoten geordnet und gesammelt? Haben Sie Tagebuch geführt?

Achim Schlöffel: Ich schreibe tatsächlich Tagebuch, seit ich 14 bin. Ich saß mit meinem Co-Autor, dem Journalisten Moritz Stranghöner, der lange für die "Bild" gearbeitet hat, zusammen beim Abendessen und wir haben qequatscht. Moritz kenne ich noch aus der Schule, er taucht auch. Und so erzählten wir uns Geschichten vom Tauchen, als er plötzlich sagte: "Mensch Achim, Du musst das alles einfach aufschreiben." Daraufhin sagte ich dann: "Muss ich nicht, habe ich bereits." So ist die Idee entstanden.

Ihr Buch ist sehr unterhaltsam, gerade in dieser Form der kurzen, episodenhaften Erzählweise. Etwas erschreckend ist dabei aber die Nähe zum Tod, die in vielen Geschichten mitschwingt. Sie sind schon sehr früh damit in Berührung gekommen: Sie werden Zeuge von Unfällen, haben selbst zahlreiche Tote unter Wasser entdeckt und auch geborgen. Was macht das mit Ihnen, ist das Alltag für Sie geworden?

Achim Schlöffel: In dem Moment, in dem das Alltag wird, ist man abgestumpft. Natürlich gewöhnt man sich ein wenig daran, und ich vergleiche das immer mit einem Arzt oder einem Ersthelfer bei der Feuerwehr oder beim THW: Man wird eben immer wieder damit konfrontiert und findet für sich eine Art und Weise, um damit umzugehen. In jungen Jahren ist es einfach so, dass man sich für unsterblich hält. Das ist sicherlich dumm, aber kein 16-, 18-, 20-Jähriger glaubt ernsthaft daran, dass er bei seinem Sport, bei seiner Leidenschaft, zu Tode kommen könnte. Schauen Sie sich die jungen Base-Jumper an. Die glauben alle: "Natürlich hat es gestern wieder einen zerrissen, aber mich betrifft das nicht, ich kann das ja".

Das ist teilweise unverantwortlich, was sich vor allem in unverantwortlichen Flugkunststücken in der Nähe von Felsen zeigt. Wie ist das riskante Verhalten denn bei den Tauchern einzuschätzen? Sie schildern eine Episode, in der sie die beiden jungen, toten Höhlentaucher entdecken, deren Freundinnen voller Angst und Sorge am Höhleneingang auf ihre Freunde warten. Ist die Tauchszene vergleichbar mit dieser Base-Jump-Szene? Gibt es da viele, die den Kick suchen, und unvorbereitet tauchen?

Achim Schlöffel: Es gibt keinen Tauchunfall, der nicht auf menschlichem Versagen beruht. Zwar versagt auch beim Tauchen irgendwann einmal die Ausrüstung, es ist aber letztlich immer die schlechte Ausbildung, die Selbstüberschätzung oder das Überschreiten sinnvoller Regeln, wodurch die Leute in die Bredouille geraten. Wenn ich heute einen Höhlentauchgang mache und ich habe nur eine Lampe dabei und keine Sicherungsleine oder einen weiteren Luftvorrat, dann ist das ein Problem. Das geht vielleicht zehnmal gut und beim elften Mal eben nicht mehr. Das Problem ist auch, je extremer die Umgebung wird, desto schneller ist es dann eben auch vorbei. Wenn Sie einen Kilometer in der Höhle sind, gibt es eben wenige Alternativen.

Faszinierend sind Ihre Schilderungen von den Tauchgängen in den engen Höhlen. Wenn man da klaustrophobisch veranlagt ist, bekommt man beim Lesen schon eine Gänsehaut. Auch die Episode, in der Sie durch das enge Abwasserrohr tauchen, um es zu reinigen, ist sehr beängstigend. Wie machen Sie das, schalten Sie da Ihren Kopf ab, um das durchzustehen?

Achim Schlöffel: Ich glaube, ich bin da über die Jahre hinweg hineingewachsen. Nehmen Sie meine Durchquerung des Ärmelkanals. Da haben die Leute auch gefragt, dieser Riesentauchgang, wie schaffst du das? Klar, für jemanden, der nicht taucht, oder einmal im Jahr in Ägypten Fische guckt, ist das natürlich ein Riesenschritt. Ich habe mit sieben angefangen, ich hatte 40 Jahre Zeit, mich daran zu gewöhnen. Es gab zig Tauchgänge, die ähnlich wie der im Ärmelkanal waren, sei es von der Dauer her, sei es, was die Belastung angeht. Insofern war der Schritt kein so großer. Ich vergleiche das wieder mit dem Base-Jumper. Jemand, der vielleicht einmal in seinem Leben einen Tandem-Sprung gemacht hat, der kann da nicht herunterspringen. Wenn der aber nach seinem Tandem-Sprung noch 1000 Sprünge hatte, dann waren das für ihn viele, viele kleine Schritte. Das ist einfach ein natürlicher Vorgang.

Sie fangen in Ihrem Buch auch mit der Ärmelkanaldurchquerung an. Die Idee dazu hatten Sie ja schon länger, haben das genau geplant und letztlich dann auch gewagt. War das der Höhepunkt Ihrer Laufbahn?

Achim Schlöffel: Das war eher so ein wenig der Abschluss für mich, da war meine Frau schon schwanger, und ich war auch vom Alter her an der Grenze. Es war einfach an der Zeit, etwas vom Gas zu gehen. Und dann war das eben der krönende Abschluss, insbesondere, weil es mich so lange beschäftigt hat. Ich wollte wissen, ob das funktioniert, und hatte dann die Möglichkeit dazu. Ein schöner Abschluss.

Sie beschreiben bei dem Tauchgang die donnernden Containerschiffe, die da auf dem Ärmelkanal über Sie hinweggefahren sind. Das klingt einerseits majestätisch, aber auch sehr beängstigend. War das ein Risiko für Sie, mit denen zu kollidieren?

Achim Schlöffel: Das Risiko war definitiv da. Aber auch da muss ich wieder sagen, dass ich kein Adrenalin-Junkie bin. Die Leute sagen dann immer: "Ja, du suchst die Tiefe und die Gefahr." Überhaupt nicht. Mir ist es auch lieber, ich tauche an einem Wrack in 20 Metern Tiefe als in 100 Metern. Aber die interessanten Sachen liegen eben tiefer. Beim Ärmelkanal war die Herangehensweise ähnlich wie die bei einem Höhlentauchgang. Ich kann nicht auftauchen. Ich habe viele Probleme eliminiert, die meine Vorgänger, die es versucht und nicht geschafft haben, hatten. Etwa, möglichst nah an der Oberfläche zu bleiben. Dementsprechend hatten sie den Ärger mit Schiffen, der Strömung und den Wellen. Ich habe gesagt, ich gehe von diesen Problemen so weit wie möglich weg und ich tauche darunter durch. Aber ich musste den fehlenden Support, etwa durch ein Begleitboot, entsprechend durch Planung kompensieren. Ich habe eben alles redundant dabei gehabt. Ich wusste: Egal, was an Problemen kommt, ich muss darauf vorbereitet sein und ich muss das Problem lösen können.

Und dann sind Sie angekommen, wieder an Land, und Ihr Team findet Sie nicht. Das ist irgendwie sympathisch, man plant alles und das, was dann eigentlich nicht schiefgehen sollte, geht schief.

Achim Schlöffel: Das ist richtig (lacht). Ich hatte diesen GPS-Sender dabei und hätte nicht gedacht, dass der dann in dem Gehäuse während des Tauchgangs so hin und her schlägt, dass er sich dann tatsächlich ausschaltet.

Sie haben als Berufstaucher schon viele Jobs gemacht, von denen Sie im Buch erzählen. Etwa,als Sie die tote Kuh aus der Turbine dieses Wasserwerks herausholen mussten. Gibt es denn Jobs, die Sie nicht annehmen, die selbst Ihre Fantasie überschreiten würden?

Achim Schlöffel: Ja, heutzutage würde ich die Kuh da nicht mehr rausholen (lacht). Das ist alles schon relativ lange her und es ist wie ich es schon angesprochen habe: Man ist da in seinen 20ern und möchte sich selbst beweisen – was kann ich, was geht noch? In manchen Fällen war es natürlich auch die finanzielle Verlockung, da habe ich für einen Nachmittag Tauchen 5000 Mark bekommen, das war ein Schweinegeld damals (lacht). Die Herausforderung war dann natürlich auch dabei: Bekomme ich das hin? Alle anderen sagen, das geht nicht. Das war für mich immer schon eine große Motivation. Heutzutage wäre mir aber häufig das Risiko viel zu hoch.

Neben den ein wenig sarkastischen Kapiteln sind mir vor allem diejenigen aufgefallen, in denen Sie von dem unglaublich unkollegialen und kriminellen Verhalten anderer Taucher erzählen. Etwa, als Ihnen die Reserve-Sauerstoffflaschen gestohlen wurden, oder Sie von den Tauchern vor der kroatischen Küste berichten. Sie retten einem unter Einsatz Ihres eigenen das Leben, und die bedanken sich noch nicht einmal. Was geht da in Ihnen vor?

Achim Schlöffel: Ich habe einen von denen interessanterweise Jahre später noch einmal getroffen, und der hat einen großen Bogen um mich geschlagen. Mich wundert nicht mehr viel auf dieser Welt. Ich habe so viel gesehen und so viele unterschiedliche Menschen getroffen, da zuckt man irgendwann nur noch mit den Schultern.

Unglaublich, man denkt wirklich, so ein Verhalten kann es doch nicht geben.

Achim Schlöffel: Bei den drei Tauchern in Kroatien habe ich mich wirklich gefragt, ob die vielleicht so dumm sind oder es die Scham war, nicht zugeben zu wollen, dass man komplett versagt hat und quasi mehr oder weniger schon hinüber war. Wissen kann man es nicht, Schwamm drüber. Ich sage immer, man muss selbst noch in den Spiegel schauen können. Mein Partner und ich haben damals alles richtig gemacht und den Mann gerettet.

Sie sind Vater von Zwillingen. Tauchen Ihre Kinder auch?

Achim Schlöffel: Ja, die sind inmitten von Tauchausrüstungen und Bootsteilen aufgewachsen. Das hat sich ganz natürlich ergeben. Die beiden haben so mit vier mit dem Schwimmen und dem Schnorcheln angefangen. Dann kam irgendwann der Satz: "Papa, ich möchte mal an den Lungenautomaten." Tatsächlich haben sie im letzten Jahr mit sieben mit einer kleinen Ausrüstung auf Elba angefangen. Im Zwei-Meter-Bereich, ein wenig Seepferdchen gucken, sich mit der Materie vertraut machen, das geht. Ich bin da auch sehr, sehr vorsichtig. Ich war Gutachter vor Gericht und dadurch mit vielen Unfällen konfrontiert. Da denkt man natürlich mehr über potenzielle Gefahren nach, als jemand, der das nur so nebenher macht. Deswegen bin ich auch, was die Tiefen angeht, extrem restriktiv. Eigentlich könnten die Kinder schon bis zu einer Tiefe von acht Metern tauchen, doch das ist mir definitiv zu tief.

Sie schreiben immer wieder von Entdeckungen, die Sie gemacht haben: diesen Einbaum in einem Alpensee, dieses antike Wrack vor der dänischen Küste. Liegt wirklich überall noch so viel altes Zeug herum?

Achim Schlöffel: Ja, absolut. Es gibt noch unglaublich viel zu entdecken. Ich bin mir auch sicher, dass unheimlich viel entdeckt worden ist, das einfach nicht gemeldet wurde. Ich habe mittlerweile noch drei Einbäume gefunden. Ich bin mir sicher, die haben auch noch andere Taucher gesehen. Doch die Zusammenarbeit mit den Ämtern in Deutschland ist so kompliziert, da meldet man das nicht. Davon schreibe ich ja auch in meinem Buch.

Sie schildern den Fall, wo Sie den Einbaum den Ämtern gemeldet haben, sogar angeboten haben, bei der Bergung mitzuhelfen, nur um dann eine Abfuhr zu erhalten. Dann wurde es von „Experten“ geborgen und ist zerbrochen. Wovor Sie explizit gewarnt hatten. In den letzten Kapiteln gehen Sie auf den Schutz der Meere ein. Welche Erfahrung haben Sie mit dem Plastikmüll gemacht. Sie sind überall auf der Welt getaucht. Wo ist es denn am schlimmsten?

Achim Schlöffel: Die schlimmsten Stellen sehen wir nicht. Da gibt es im Südpazifik diesen riesigen Müllstrudel, wo sich das alles sammelt. Ich kenne jemanden, der da war, und der sagt, man macht sich keine Vorstellung von den Ausmaßen. Darauf kann man laufen! Ich sehe es einfach an Plätzen, wo ich seit Jahren tauche. Mallorca etwa, da gibt es Buchten, die kenne ich seit 25 Jahren. Wenn man das über die Jahre vergleicht, ist die Entwicklung erschreckend. Sie können da nirgends mehr hineinspringen, ohne dass ihnen da ein Stück Plastik entgegen schwimmt. Das Problem dabei ist, das Zeug wird durch die Strömung, durch Wellen, durch Bodenrieb immer kleiner. Dann verteilt es sich noch mehr und wir haben es im Nahrungskreislauf.