16.06.2025 Große Leidenschaft

Christine Thürmer: "Fit wird man unterwegs"

Christine Thürmer ist mit mehr als 65 000 zurückgelegten Kilometern die meistgewanderte Frau der Welt. In der Outdoor-Szene ist die ehemalige Managerin als „the german tourist“ bekannt. Mit prisma sprach sie über ihre Leidenschaft fürs Wandern.
Christine Thürmer ihre Leidenschaft zum Wandern.
Christine Thürmer ihre Leidenschaft zum Wandern. Fotoquelle: Andrew Burns

prisma: Wie wird aus der „Niete im Sportunterricht“ die meistgewanderte Frau der Welt?

Christine Thürmer: Ich war immer eine Einser-Schülerin, die eine Vier in Sport bekommen hat – außer es ging um Basketball, da hatte ich als 1,84-Frau einen Vorteil. Es ist aber einer der größten Irrtümer, dass man zum Wandern sportlich sein muss. Ich bezeichne Wandern gerne als die demokratischste aller Outdoor-Sportarten, da man einfach nur einen Fuß vor den anderen setzen können muss. Die Fitness kommt von ganz allein unterwegs.

Wie sind Sie zum Wandern gekommen?

Ich habe damals „Yuppie-Urlaub“ in den USA gemacht. Dort bin ich Langstreckenwanderern, sogenannten Thruhikern, begegnet. Dieses Glücksgefühl, das sie ausgestrahlt haben, hat mich begeistert. Zurück in Deutschland habe ich natürlich nicht meinen gut bezahlten Manager-Job gekündigt – so verrückt bin ich dann doch nicht gewesen. Aber mir wurde wie in einem schlechten Film kurz vor Weihnachten gekündigt. Das war die eine Sache.

Was war die zweite Sache?

Hinzu kam, dass ein sehr guter Freund von mir einen Schlaganfall erlitten hat und ich ihn viel im Krankenhaus besucht habe. Leider hatte er irreversible Hirnschäden davongetragen. Ich habe mich gefragt, was er getan hätte, wenn er zehn Jahre vorher von seinem Schicksal gewusst hätte. Diese Frage konnte er sich nicht mehr stellen, aber ich mir. Als er den zweiten Schlaganfall hatte, fuhr ich aus dem Krankenhaus nach Hause und buchte den Flug. Meine erste Langstreckenwanderung plante ich von Mexiko nach Kanada. Man sagt immer, dass man seine Träume verwirklichen will, wenn man in Rente ist, wenn die Kinder aus dem Haus sind und und und… Aber was ist, wenn es dann zu spät ist? Ich hatte zwar durch meinen Job sehr gut verdient, aber die wichtigste Lektion war für mich, dass nicht Geld das Wichtigste ist, sondern Zeit.

Aber direkt mit solch einer Fernwanderung einzusteigen, ist doch auch nicht gerade einfach, oder?

Ich predige in meinen Shows und Büchern immer: Der Kopf ist zu 80 Prozent für den Erfolg einer Langstreckenwanderung verantwortlich, nur 20 Prozent entscheiden die Füße. Es kommt nicht auf die Fitness an, das Mindset muss stimmen! Ich bin jetzt gerade in Nordspanien unterwegs und habe hier gefühlt nur Regen. Die Nacht war grauenvoll, all meine Sachen sind nass. Wenn ich so etwas in den sozialen Netzwerken teile, schreiben mir meine Fans, dass sie die Reise abbrechen und ins Hotel wechseln würden. Man muss einfach die richtige Einstellung mitbringen, sonst wird die Wanderung kein Erfolg.

Wie bereiten Sie sich auf eine Wanderung vor?

Ich recherchiere vorher sehr viel im Netz. Ich schaue zum Beispiel, wo der nächste Supermarkt ist – für Schokolade, die ist schon sehr wichtig (lacht). Außerdem brauche ich alle sechs Wochen unterwegs einen Laden, wo ich mir neue Schuhe kaufen kann, und alle zwei Wochen benötige ich eine neue Gaskartusche für den Campingkocher. Ich habe beispielsweise schon dreimal Europa durchquert. Die Wege, die ich bei so einer Durchquerung zurücklege, gibt es so nicht als einen festen Wanderweg. Das stelle ich mir alles selbst zusammen.

Ist es manchmal nicht einsam, wenn man so lange allein unterwegs ist?

Das ist eine sehr schöne Frage, auf die ich gerne auch in meinen Shows eingehe. Ich bin zwar allein unterwegs, aber nicht einsam. Ich mag mich persönlich sehr gerne und bin mit mir selbst im Reinen. Wenn ich das sage, bekomme ich meist Szenenapplaus. Wahrscheinlich, weil das nicht so viele Menschen über sich selbst behaupten würden. Ich bin ein geselliger Mensch und habe auch nichts gegen andere Menschen, nur nicht beim Wandern. Wenn mir nach Unterhaltung ist, dann höre ich einen Podcast (lacht). Zumal man nicht vergessen darf, dass wir von Langstreckenwandern sprechen. Ich mache nichts unter 1000 Kilometer. Und jeder Wanderer hat sein eigenes Tempo und seinen eigenen Stil. Da jemanden zu finden, der wirklich hundertprozentig zu dir passt, ist sowieso schwer bis unmöglich.

Hat man als Frau allein unterwegs manchmal auch Angst?

Das ist eine Frage, die immer wieder aufkommt und der ich den zweiten Teil meiner neuen Show widmen werde. Wie verliere ich die Angst davor, allein zu wandern? Wenn ich das Publikum zurückfrage, wovor man denn überhaupt Angst haben sollte, kommt meist ganz viel diffuses Zeug. Wilde Tiere, fremde Männer im Wald… Also wenn ich nachts allein im Wald in meinem Zelt bin, ist das überhaupt nichts Beängstigendes. Ich bin in der Dunkelheit quasi unsichtbar. Wenn sich mir jemand nähern sollte – meist mit einem Auto – dann höre ich das schon viel früher und bin „im Vorteil“. Ich kann wirklich an einer Hand abzählen, wie oft ich mal auf meinen Wanderungen eine brenzlige Situation erlebt habe, in der ich mir gedacht habe „ok, jetzt wäre eine Begleitung gar nicht schlecht“.

Wer sind eigentlich die Zuschauer, von denen Sie immer sprechen? Wer kommt zu Ihren Shows?

Also ich bin 57 Jahre alt und optisch eher so die Kategorie Hausfrau. Das ist tatsächlich auch größtenteils die Zielgruppe. Frauen zwischen 45 und 80 Jahren. Ich finde es schon lustig, wenn bei meinen Shows 80-Jährige mit Rollator auftauchen und mein Buch „Weite Wege wandern“ signiert haben wollen (lacht). Ich kann mir das aber so erklären, dass diese Gruppe Outdoor für sich entdeckt hat und keine andere weibliche Identifikationsfigur kennt. Die Szene ist immer noch sehr männerdominiert. Und jüngere Influencerinnen, die sich in knappen Outfits hinstellen und was von ihren Outdoor-Abenteuern erzählen, erreichen diese Zielgruppe nicht. Wenn ich aber mit meinen Plattfüßen, X-Beinen und zehn Kilo zu viel auf der Waage daherkommen, bin ich so etwas wie ein Vorbild. Hinzukommt, dass ich mich auch nicht selbst so erst nehme. Meine Shows beinhalten viel Comedy.

Was macht für Sie eine gute Wanderung aus?

Das lässt sich so pauschal gar nicht beantworten. Es kommt darauf an, wer du bist und wo du dich gerade in deinem Leben befindest. Was du brauchst. Nur weil ein Wanderweg für Hape Kerkeling oder Tante Erna großartig und ein voller Erfolg war, heißt das nicht, dass dieselbe Wanderung das gleiche Glücksgefühl in dir auslösen wird. Als Beispiel: Ich war vor meiner Nordspanien-Reise in Asien unterwegs. Ich kam mit dem Essen nicht so gut klar, habe die Kultur nicht wirklich verstanden – da brauchte ich jetzt ein Land, in dem ich die Sprache verstehe, wo es gutes Essen und Milka-Schokolade gibt. Und wahrscheinlich zieht es mich nach dem ganzen Regen hier in Nordspanien wieder in die Sonne.

Und worauf freuen Sie sich immer, wenn Sie von einer Wanderreise zurückkehren?

Wenn ich zurückkomme nach Deutschland, geht es für mich nach Berlin-Marzahn in meine Wohnung im Plattenbau. Und was soll ich sagen? Ich lieb’s. Aldi und Lidl sind fußläufig entfernt. Ich gehe da gerne zweimal am Tag hin, kaufe ein und überlege mir, was ich damit Schönes kochen kann. Das ist für mich Luxus. Unterwegs gibt es häufig genug Tütensuppen, da freut man sich auf ein schönes selbstgekochtes Gericht. Sie werden lachen, aber ich checke ganz häufig schon auf meinen Rückflügen, die Prospekte, um zu erfahren, was es im lokalen Discounter im Angebot gibt (lacht). Ich verbringe meist sechs bis acht Monate im Jahr auf Wanderschaft, den Rest der Zeit plane ich daheim die nächsten Reisen und schreibe an Büchern und Shows. Das fühlt sich für mich gut an.

Welchen Tipp haben Sie für Wanderanfänger? Was gehört beispielsweise ins Gepäck?

Ich sage immer: Der größte Luxus ist nicht das, was ich dabeihabe, sondern das, was ich nicht tragen muss. Das Rucksackgewicht ist sehr stark für den Erfolg einer Langstreckenwanderung verantwortlich und sollte nicht mehr als fünf Kilo betragen. Proviant und Wasser ausgenommen. Ein anderer Tipp, den ich jedem mit auf den Weg geben kann: Vergesst Wanderschuhe! Ich ziehe immer Trailrunning-Schuhe an. Sie trocknen schnell und stellen kein unnötiges Gewicht dar, das man bei jedem Schritt heben muss. Wer sechs bis acht Stunden in Wanderschuhen wandert, zwängt seine Füße in ein steifes Korsett und tritt immer nach demselben Muster auf. Trailrunning-Schuhe sorgen mit ihren um 90 Grad biegbaren Sohlen dafür, dass die Füße langsamer ermüden.

Mehr über Christine Thürmer, ihre Bücher und ihre Shows gibt es online unter www.christinethuermer.de