19.03.2024 Rudi Cerne im Interview

Aktenzeichen XY: Folgenreiche Fahndung

Von Marcus Italiani
Seit vielen Jahren moderiert Rudi Cerne Deutschlands erfolgreichstes True-Crime-Format.
Seit vielen Jahren moderiert Rudi Cerne Deutschlands erfolgreichstes True-Crime-Format. Fotoquelle: imago images/Eibner

600 Folgen „Aktenzeichen XY...Ungelöst“ stehen für einen beispiellosen Erfolg des Ur-True-Crime-Formats. prisma traf Moderator Rudi Cerne zum Gespräch.

Herr Cerne, 600 Folgen „Aktenzeichen XY...Ungelöst.“ Diese Zahl ist kaum zu fassen. Wie viele Folgen davon durften Sie moderieren?

Rudi Cerne: Ich führe darüber nicht Buch. Es gibt Reporter-Kollegen, die nach jedem Bundesliga-Spiel, das sie kommentiert haben, einen Strich machen (lacht). Dazu gehöre ich aber nicht. Ich bin nach Eduard Zimmermann, Sabine Zimmermann und Butz Peters der vierte Moderator und betreue die Sendung seit Januar 2002.

Können Sie sich noch erinnern, wie Sie als Sport-Journalist zum vierten Moderator der Sendung geworden sind?

Rudi Cerne: Ich bin von Hans Janke, dem stellvertretenden Programmdirektor des ZDF, angerufen worden. ein erster Gedanke war: Das ist ein Scherz. Die Kollegen der versteckten Kamera haben ja schon mehrfach versucht, mich aufs Glatteis zu führen, aber ich bin ihnen immer irgendwie auf die Schliche gekommen. Irgendwann musste ich mal Andrea Kiewel beim ZDF-Fernsehgarten vertreten. Dort war unter anderem eine Hundeführerin von der Malteser Unfallhilfe mit einem Schäferhund zu Gast. Als ich fragte, wann das Tier zum letzten Mal im Einsatz war, antwortete sie: „Als die kleine Julia bei Gießen gefunden wurde.“ Wenig später wurde mein Auto aufgebrochen. Als ich bei der Polizei Anzeige erstatten wollte, hingen dort überall Bilder von vermissten Kindern. Das habe ich als Wink des Schicksals empfunden und habe zugesagt.

Kann man sagen, dass „Aktenzeichen...“ die Mutter allerTrue-Crime-Formate ist?

Rudi Cerne: Das muss man sogar. „Aktenzeichen...“ ist das einzige Format aus Deutschland, das jemals von einem US-Sender als „America‘s Most Wanted“ adaptiert wurde.

In ihrer Frühzeit war die Sendung ein absoluter Straßenfeger.

Rudi Cerne: Ja, man sprach seinerzeit von 30 Millionen Zuschauern pro Folge.

Was haben Sie empfunden, als Sie „Aktenzeichen...“ zum ersten Mal gesehen haben?

Rudi Cerne: Als die Sendung 1967 erstmals ausgestrahlt wurde, war ich neun Jahre alt und muss ehrlich sagen, dass ich gar nicht weiß, ob meine Eltern mich von Beginn an zuschauen ließen. Als Kind fand ich das Ganze eher langweilig. Ich war ein Krimi- und Western-Fan. Da wusste man, dass jeder Fall zu einem vernünftigen Abschluss kommen und das Gute am Ende gewinnen würde. Bei „Aktenzeichen...“ habe ich mich immer gefragt, warum den Mörder niemand schnappt. Dass es dort um reale Fälle ging, war mir nicht klar.

An welchen Moment in der Anfangszeit erinnern Sie sich?

Rudi Cerne: In einer Sendung klappte etwas mit einer Telefonleitung nicht, woraufhin Eduard Zimmermann diese Live-Situation souverän meisterte. Das zeigte, welch ruhender Pol und großartiger Moderator er für die Sendung war. Und das braucht man auch in solchen Fällen.

Das Konzept ist sich über all die Jahre treu geblieben. Nach welchen Kriterien werden die Fälle ausgesucht?

Rudi Cerne: Ganz einfach: Es muss ein Kapitalverbrechen sein, zu dessen Aufklärung die Zuschauer beitragen können.

Warum bereichert das die Sendung und letztlich auch die Fahndung?

Rudi Cerne: Wenn es nur einen Fingerabdruck gibt, dann können die Zuschauer logischerweise nichts zur Aufklärung des Falles beitragen. Aber wenn es um ein Tatfahrzeug geht oder etwas Tatrelevantes, dann ist das natürlich etwas anderes. So lag mal ein Betonklotz bei uns im Studio, der an einem Tatort gefunden worden war. Die Ermittler konnten damit aber nichts anfangen. Und dann ruft bei uns ein Kranführer an, der uns mitteilt, dass es sich bei dem Klotz um ein Beschwerungsgewicht für einen Kran handelt. Und tatsächlich – so fand man später heraus – stammte der Tatverdächtige aus dem Umfeld eines Bauunternehmens.

Sie beschäftigen sich häufig mit Cold Cases. Wie stellen Sie den Kontakt zu den damaligen Ermittlungsbeamten her?

Rudi Cerne: Das läuft ja eher umgekehrt. Die Ermittlungsbehörden kommen auf uns zu. Mord verjährt nicht, und mittlerweile gibt es Dienststellen, die sich ausschließlich mit zehn bis 20 Jahre alten Cold Cases beschäftigen. Oftmals werden auch immer wieder neue Spuren zu alten Fällen gefunden. So hatten wir neulich einen Fall, bei dem eine Leiche mit einer Plastikfolie versiegelt wurde. Und mit den neuesten Methoden der DNA-Analyse ist eine DNA-Spur extrahiert worden. Als man international danach fahndete, ergab sich tatsächlich ein Treffer in Österreich. Der entsprechende Mann war auch dort schon straffällig geworden und konnte festgenommen werden.

Wissen Sie denn, wie viele Fälle aufgrund der Ausstrahlung von „Aktenzeichen…“ aufgeklärt werden konnten?

Rudi Cerne: Knapp 40 Prozent der von uns ausgewählten Fälle werden aufgeklärt.

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