Europa als Insel der Seligen: Was Laktose-Intoleranz angeht, ist es tatsächlich so. Doch längst nicht jedem bekommt die Milch.
Der Mensch neigt zu Geräuschen. Die meisten gibt er freiwillig von sich, andere entweichen ihm einfach so. Fürs Niesen, Husten, Aufstoßen gibt es statthafte Gründe wie Krankheit und Ernährung. Selbst ein Rülpsen lässt sich, so unfein es ist, mit einem entschuldigenden Lächeln und dem Hinweis auf das Essen vom Vorabend gleichsam ungeschehen machen.
Anders sieht es mit Formen von Flatulenzen aus. Wenn sich bestimmte Blähungen in Pupser verwandeln und diese die Schutzzone der Intimität verlassen, liegt eine Peinlichkeit vor. Menschen mit Milchzuckerunverträglichkeit, von denen es in Deutschland circa acht bis zwölf Millionen gibt, müssten ständig vor Scham im Erdboden versinken oder zu umständlichen Erklärungen ansetzen, gäbe es nicht das eine oder andere Mittelchen, das die Gefahr einer unerwünschten Flatulenz stark eindämmt.
Frauen leiden in Deutschland in weitaus stärkerem Maße unter Milchzuckerunverträglichkeit als Männer, nämlich im Verhältnis von 78 zu 22 Prozent.
Menschen über 40 Jahren erleben häufiger (17 Prozent) als jüngere (7 Prozent), dass Magen und Darm auf Milch, Speiseeis, Soßen und die meisten Medikamente ausgesprochen unruhig und folgenreich reagieren.
Schuld daran trägt eine Abwesenheit – die Unterproduktion des Enzyms Laktase, das Milchzucker in die verwertbaren und damit reibungslos verdaulichen Zuckerarten Galaktose und Glukose spaltet.
Mehrheit der Weltbevölkerung
Diese manchmal nur eingeschränkte, oft aber ganz fehlende "Laktosepersistenz", wie es fachsprachlich heißt, ist gewissermaßen der Normalzustand der Gattung Homo sapiens. Es mag die Betroffenen wenig trösten, aber sie dürfen die Mehrheit der Weltbevölkerung zu ihren Leidensgenossen zählen. Würden sich Asiaten, Afrikaner und Südeuropäer ähnlich milchsäurelastig ernähren wie wir, hätten sie es in einem fort mit einem Wassereinstrom in den Darm zu tun (osmotische Diar rhoe), mit Durchfall und anderen Maleschen.
Anders gesagt: Es war einmal, dass Milchzucker für Menschen völlig ungenießbar war, und für die Allermeisten ist es immer noch so. Nur in Teilen von Mittel- und Nordeuropa, im sibirisch-mongolischen Raum sowie in Nordamerika halten sich die Probleme mit Milchprodukten in den oben skizzierten Prozentgrenzen.
Ein Baustein für den Milchgenuss
Woran liegt das? Die Erde ist eine Spielwiese evolutionärer Besonderheiten. Kuhmilch war dem Menschen offenbar nicht in seine afrikanische Wiege gelegt und ebenso wenig in die frühen Jahrhunderttausende der Menschen in Asien. Erst in Europa, wo Kühe eine größere genetische Vielfalt für Milchproteine entwickelten, kam es zur Revolution – zu dem Tausch eines einzigen Genbausteins auf dem menschlichen Chromosom 2, was für eine ausreichende Produktion des Verdauungsenzyms Laktase sorgte. Der Wechsel vom archaischen C zum heutigen T im DNA-Code wurde 2002 nachgewiesen. Und alt ist er auch nicht, vielleicht 28.000 Jahre.
Dieser Wechsel ermöglicht das, was unsere heutige Ernährung ausmacht: Butter und Käsekuchen, Milchschokolade und Bratensoße. Die Angaben auf Lebensmitteln ("enthält Laktose" oder "laktosefrei") werden allmählich häufiger. Wer sich danach nicht richten mag, muss zu (teuren) Enzym-Lieferanten greifen wie (u. a.) "Lactosolv", "Laluk", "Lactrase", den Laktase-Produkten von "Biolabor" oder "Taxofit".