Laufen, Dehnen, Sportabzeichen: Im Rahmen unserer Fitnessserie haben wir Sporteinsteigern schon Anstöße gegeben. Im prisma-Gespräch gibt Dr. Pouria Taheri Tipps aus medizinischer Sicht.
"Einsteiger sollten sich nicht entmutigen lassen", sagte Dr. Pouria Taheri zu Beginn unseres Gespräches. Er ist selbst leidenschaftlicher Sportler und weiß genau, welche Fehler Anfänger machen können. Eines liegt ihm am Herzen: Motivation!
Welchen Sport raten Sie Anfängern, die abnehmen möchten?
Die Mischung macht's! Beginnen Sie mit Spaziergängen, leichtem Krafttraining mit körpereigenem Gewicht sowie Mobilisierungsübungen. Dabei ist die Gewichtsabnahme tückisch, denn durch die regelmäßigen sportlichen Aktivitäten verändert sich das Verhältnis zwischen Muskelmasse und Fett. Das Gewicht bleibt zunächst beinahe konstant. Jedoch steigert sich Ihre tägliche Energie und Ihre Lebensqualität. Man sollte auf eine biometrische Waage zurückgreifen, da sie Muskelmasse und Fett neben Gewicht und bspw. Wassergehalt misst. Durch die richtige Ernährung verändert sich dann zunehmend Ihre Figur. Das fällt zuerst Personen auf, die sie länger nicht gesehen haben, dann Freunden und schlussendlich Ihnen selbst.
Was raten Sie Sport-Einsteigern, die mit voller Motivation einsteigen – vielleicht sogar mit zu viel Motivation (im Hinblick auf Übertraining, Verletzungsrisiko)?
Wenn Sie sich im Vorfeld einen Plan machen mit aktiven Tagen in Ausdauer, Kraft und vor allem auch Ruhetagen zwischendurch, stellen sich kleine Etappensiege ein und der Einstieg macht richtig Spaß. Individuelle Ziele formulieren und diese in Gruppensettings verfolgen hat den größtmöglichen Erfolg. Die Ergebnisse nach ca. sechs Wochen gegenchecken. Wenn Sie sich an Ihren Plan halten und auch mal genießen können, nichts zu tun, kommen Sie nicht ins Übertraining und ins Verletzungsrisiko. Und lassen Sie sich nicht entmutigen! Viele kleine Stolpersteine stellen sich mit der Zeit ein.
Welchen Sport kann ich betreiben OHNE vorher meinen Arzt zu fragen oder sollte ich auf alle Fälle IMMER einen Arzt fragen, ob ich fit genug für Sport bin?
Spaziergänge, Krafttraining mit körpereigenem Gewicht oder auch Gymnastik in der Gruppe sind meist bedenkenlos, dennoch rate ich immer zu einem generellem Check-up beim Sportmediziner. Das dauert nicht lange und gibt einem Sicherheit, was den großen Rahmen angeht, in dem man sich bewegt.
Oder anderes gefragt: Welcher Sport ist der für den Körper kompletteste?
Der Mensch ist zum aufrechten Gehen geboren und die Ganzheitlichkeit des Sports in all seinen Facetten hat einen großen Benefit für die Gesundheit. Bedenkt man, dass es beim Laufsport nicht nur ums Laufen an sich geht, sondern um das Lauftraining, Krafttraining, Mobilität und Flexibilität und auch um die richtige Ernährung, so zeigt sich, dass hier eine tolle Unterstützung für den Alltag entstehen kann. Nicht zu vergessen sind die mentale Stärke und das gesteigerte Selbstbewusstsein. Und durch die vielen Läufe, die regelmäßig überall in Deutschland stattfinden, kann man auch seinen Wettkampfgeist stillen.
Und was ist mit Schwimmen und Radfahren?
Das sehe ich als tolle Abwechslung! Gerade Menschen mit Gelenkproblemen und denen, die keinen Spaß am Laufen haben, lege ich es sehr ans Herz, den Einstieg mit dem Rad zu wählen und so regelmäßig Wege zurückzulegen. Auch Schwimmen stellt eine gelenkschonende Herausforderung an den Körper dar und steigert die Kraftausdauer. Der Spaß sollte im Vordergrund stehen. Dann schafft man es auch, auch die kleinen Motivationslöcher zu überstehen und konstant bei der Sache zu bleiben.
Raus in die Natur, Sportverein oder Fitnessstudio?
Gerne raus in die Natur und an die frische Luft. Das lässt einen die Umwelt neu entdecken und gibt Abstand zur multimedialen Welt. Und auch mal Zeit die Gedanken zu sortieren. Ich nutze das Laufen als meditatives Medium, indem ich den Kopf mal durchpusten lasse und mir die Zeit für mich nehme.
Wenn ich mich für nur EINEN Sport entscheide: Eher Krafttraining oder eher Ausdauertraining?
Ich rate gerne, zu Beginn Ausdauersport zu machen, wobei das Krafttraining additiv dazukommen sollte. Machen Sie beides in Kombination! So fördern Sie nicht nur ihr Herz-Kreislauf-System, sondern vor allem auch Ihre Haltung und Ihr Körpergefühl.
Stimmt es, dass eiweißhaltige Ernährung bei Sport sinnvoll ist und wie kann ich auf leichte Art und Weise meine Ernährung in diese Richtung verändern?
Ja, da gebe ich Ihnen recht! Anschaulich ausgesprochen führt eiweißreiche Ernährung zu einer direkten Ernährung Ihrer Muskulatur, wobei Fette und Kohlenhydrate nicht komplett ausgeschlossen werden dürfen. Eine Tendenz sollte jedoch zu ballaststoffreichem und proteinreichem Essen gehen. Ich ernähre mich Fegan, das bedeutet Fisch und vegan. Dabei geißele ich mich nicht und benehme mich nicht wie ein Aussätziger, wenn ich beispielsweise bei Freunden zum Essen eingeladen bin. Die 80/20 Regel (80 % machen, 20 % auch mal locker lassen) trifft hierbei gut zu. Und einmal die Woche Fleisch zu essen, frei nach unserer älteren Generation in Deutschland, die noch den Sonntagsbraten als Fest ansah, ist eine gute Herangehensweise. Dabei sollen Sie ja nicht hungern. Das Hungergefühl nimmt stetig ab mit der Idee, mehr Proteine als Kohlenhydrate (sprich Zucker) zu essen.
Worauf sollte ich bei meiner Ernährung verzichten?
Du bist was du isst. Dieser Leitsatz hilft mir, meinen Patienten ihre Gelenk- und Gewichtsprobleme besser verständlich zu machen. Das Ziel sollte es sein, eine antiinflammatorische Ernährung aufrechtzuhalten, das heißt Entzündungen im Körper einzudämmen. Bemühen Sie sich, produziertes Essen wegzulassen. Vermeiden sie industrialisierten Zucker, Fast Food und Tiefkühlprodukte.
Was sollte ich vermehrt essen?
Regionales Essen mit dem berühmt-berüchtigten Bio Siegel sollte uns Deutsche aufgrund der Qualitätskontrolle stolz machen. Versuchen Sie viel Wasser zu sich zu nehmen! Ca. 0,4 ml/Kilogramm Körpergewicht sollten eine Messlatte sein. Zwar kann man nicht alles über Flüssigkeit zu sich nehmen, jedoch findet man auch Wasser in vielerlei Nahrung, wie zum Beispiel Obst und Gemüse. In Wasser gekochtes oder gegartes Gemüse eher essen als gebratenes Gemüse, deutlich mehr Pflanzliches essen als tierische Produkte, selbst kochen und bewusst essen statt schnell unterwegs auf der Hand. Seitdem ich meine Ernährung vor einigen Jahren darauf ausgerichtet habe, verfüge ich über mehr Energie und werde sogar immer jünger geschätzt. Ich fühle mich auch nicht älter (lächelt). Und auch ich esse mal ein Stück Schokolade. Jedoch in Maßen und als Genussmittel.
Wie bekommt man einen absoluten Bewegungsmuffel von der Couch?
Das ist eine sehr gute Frage, denn die Eigenmotivation spielt eine ganz besondere Rolle. Der Aha-Effekt, dass man was tun muss, ist meist der Auslöser. Aber leider ist dies nicht oft von langer Dauer. Die Lösung liegt meist in den kleinen Dingen. Selbst ein Vorbild zu sein, ohne zu prahlen, und dabei dem anderen nicht das Gefühl zu geben, weniger zu sein oder es nicht zu schaffen. Unterstützung anbieten anstatt auf der fehlenden Motivation rumzuhacken. Spaß vermitteln und begleiten. Liebe an der Bewegung vermitteln und den Benefit, ein gesünderer Mensch zu sein. Viele Ehepaare, die zu mir kommen, schaffen es tatsächlich, weil sie ein gemeinsames Ziel verfolgen und es gemeinsam durchstehen. Dabei fängt der eine den andern auch mal auf und nimmt ihn mit. Aber schlussendlich muss man für den Muffel da sein, wenn er sich wieder auf die Couch zurückziehen will. Wenn man diesen Partner nicht hat dann kann man sich Sportgruppen oder Lauftreffs anschließen, denen es nicht darum geht elitär zu sein, sondern gemeinsam Spaß an der Bewegung zu haben und an individuellen Zielen zu arbeiten.
Wie sinnvoll sind isotonische Getränke beim und nach dem Sport?
Ich bin da sehr vorsichtig: Viele dieser Getränke sind mit Zucker versetzt und helfen langfristig nicht, den Durst zu stillen. Ich bin ein großer Fan der Apfelschorle. Ansonsten bleiben Sie beim Wasser und wenn sie Ausdauersport machen, salzen Sie ruhig mal nach, denn oft ist es das Natrium, das den Sportlern fehlt.
Wenn ich beim (oder nach dem) Sport Schmerzen habe – direkt zum Arzt? Oder lieber moderat weiter t rainieren und die Bewegungsabläufe checken?
Viele Sportler ignorieren gern mal den Schmerz und laufen darüber, da er irgendwie ja dazugehört. Es ist ein schmaler Grat zwischen zum einen der Anpassungsreaktion des Körpers durch Sport, der sich wie Schmerz anfühlt, jedoch durch die Regeneration beseitigt wird und den Körper stärker werden lässt, sowie zum anderen der Überlastungsreaktion, die dann zur Verletzung führt oder schon selbst die Verletzung ist. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Wenn Sie Beschwerden haben, die Sie in ihrem Sport oder in Ihrem Alltag stören, sollten Sie sich von einem Sportmediziner, der ihre Leidenschaft teilt und Ihre Beschwerden ernst nimmt, untersuchen lassen. Da hilft es nichts, beim ärztlichen Kollegen zu sein, der zwar sein Leben lang Intensivmediziner war, jedoch kein Verständnis dafür hat, dass der Marathon, auf den man monatelang hinarbeitet, und der durch die Muskelverletzung als Ziel in Gefahr gerät, eine gewollte deutliche Einschränkung der Lebensqualität bedeutet. Ein kurzes Update schadet nie, lässt Feinjustierung zu und man kann sinnvoll weitermachen.
Was hilft gegen Muskelkater?
Regeneration! Die Tage zwischen der Belastung sind eigentlich die, an denen der Körper Wachstum zeigt. Muskelkater braucht muskuläre Regeneration durch verschiedenste Methoden wie Massagen, manuelle Therapie, Dehnen und Mobilisieren sowie Bäder mit Meersalz (meine Geheimwaffe!).
Jedoch gibt es auch andere Eckpfeiler der Regeneration, wie zum Beispiel mentale und soziale Regeneration, indem man einfach mal was anderes macht, außer seinem Sport nachzugehen und so dem Geist die Zeit gibt, zu entspannen. Durch die Ernährung können wir ebenfalls regenerieren, indem wir Essen zu uns nehmen, das uns nicht nur schmeckt und sättigt, sondern auch dem Körper dabei behilflich ist, schneller seine Baustellen zu beseitigen.
Meine größte Leidenschaft ist jedoch der Schlaf! Irgendwie scheint es untergegangen zu sein, dass Schlaf unheimlich guttut und dem Körper alles zurückgibt was er benötigt, um seine Probleme in den Griff zu kriegen, sei es nun der Muskelkater oder anderes.
Geht es auch ohne Muskelkater?
Jein, denn ein wenig Anpassung an neue Herausforderungen braucht der Körper ja schon. Viel mehr möchte er Ihnen mitteilen: Na Hoppala, das ist aber neu was du hier mit mir veranstaltest! Das ist auch wichtig und richtig, jedoch sollte es als Zeichen gesehen werden und in einem bestehenden Plan berücksichtigt werden, dass dort am Anfang immer mehr Pausen enthalten sein sollten. Lassen Sie sich nicht entmutigen. Ihr Körper wird sich anpassen!
Kann ich auch als Senior noch mit dem Sport anfangen?
Selbstverständlich. Gerade im höheren Alter ist die Bewegung sehr förderlich, um chronische entzündliche Erkrankungen zu vermeiden, mental auf der Höhe zu bleiben und stetige Rückmeldung vom Körper zu bekommen.
Muss ich als Senior dabei besondere Aspekte berücksichtigen?
Eher regelmäßig und mit flacher Anstiegskurve den Trainingsplan gestalten, als hohe Trainingsspitzen zu generieren. Der Körper besitzt im Alter geringere Muskelmasse und braucht länger in der Regeneration. Der Spaß muss im Vordergrund stehen und der Sport sollte nicht zur Qual werden. Dann steht der neuen Leidenschaft nichts im Weg.
Das Gespräch führte Stephan Braun.