Film bei ARTE

"Leanders letzte Reise": zwischen Trauma und Traum

von Jasmin Herzog

Jürgen Prochnow beweist als Ex-Offizier Eduard Leander, dass er ein echter Charakterdarsteller ist. ARTE wiederholt das Familiendrama.

ARTE
Leanders letzte Reise
Drama • 12.02.2021 • 20:15 Uhr

Er kommandierte "Das Boot" (1981) und war in US-Blockbustern wie "The Da Vinci Code – Sakrileg" (2006) zu sehen. Nachdem Jürgen Prochnow Anfang 2017 in Robert Thalheims Ost-West-Komödie "Kundschafter des Friedens" einen alten Geheimdienstler gegeben hatte, bemühte er sich in einem komplexen Roadmovie von Regisseur und Drehbuchautor Nick Baker-Monteys ("Der Mann, der über Autos sprang", 2010) erneut um deutsche Vergangenheitsbewältigung. Und zwar gleichwohl emotionaler, denn es geht in "Leanders letzte Reise" (2017) auch um den diffizilen Dialog zwischen den Generationen und die Unruhen in der Ukraine der Gegenwart. Der Film wird nun erneut auf ARTE ausgestrahlt.

Mit 92 Jahren hat Eduard Leander (Prochnow) mit seinem Leben im Grunde abgeschlossen. Das plötzliche Ableben seiner Frau nimmt er mit einer irritierenden Gleichgültigkeit hin. Und so muss der Leichenschmaus ausfallen, weil Leander plötzlich Wichtigeres zu tun hat. Der sardonische Einzelgänger, der weder zu seiner Tochter Uli (Suzanne von Borsody) noch zu seiner Enkelin Adele (Petra Schmidt-Schaller) einen besonderen Draht hat, packt seine Koffer und tritt seine letzte Reise an.

Weil Tochter Uli mit ihrem Restaurant beschäftigt ist, soll Adele, die ihr Studium geschmissen hat und als Kellnerin jobbt, den sturen Großvater von seinem fragwürdigen Vorhaben abhalten. Doch der störrische Greis sitzt bereits im Zug nach Kiew: Er will seine alte, verlorene Liebe Swetlana wiederfinden, die er damals als Wehrmachtsoffizier im Osten zurücklassen musste. Adele bleibt nichts anderes übrig, als den Großvater auf dem Trip in die krisengeschüttelte Ukraine zu begleiten. Eine Reise, die voller Überraschungen und Einsichten steckt.

Jürgen Prochnow meisterte die Aufgabe, den buckligen, knorrigen Alten zu geben, mit Bravour. Tief in seinem Innern plagt seinen Eduard Leander das Trauma der Vergangenheit: Im Zweiten Weltkrieg hat er in der Ukraine an der Seite von Kosaken gegen die Rote Armee gekämpft; er musste töten, ohne zu wollen, und durfte nicht lieben, wen er wollte. Die Erinnerungen sind schmerzhaft, und Prochnow verleiht diesem gebrochenen, in sich gekehrten Mann, dem die Kommunikation schwerfällt, eine glaubwürdige Präsenz. Petra Schmidt-Schaller gibt die rebellisch-rotzige Enkelin, die ganz andere Probleme plagen und erst auf der Reise erfährt, wer ihr Großvater eigentlich ist und was ihn zu dem gemacht hat, der er ist.

Jeder hat sein Päckchen zu tragen

Es gibt bewegende Auseinandersetzungen und viel Sprachlosigkeit, weil es um Schuld geht und Enttäuschung und verletzte, nicht gelebte Gefühle. Das alles drängt einer Katharsis gleich im Laufe dieser Reise durch die Ukraine nach draußen und macht den Film zu einem bewegenden Drama. Jeder hier hat sein Päckchen zu tragen; jeder muss auf seine Weise glücklich werden – wenn es denn gelingt.

Dass es in diesem Film auch noch um die Menschen der vom Krieg erschütterten Ukraine des Jahres 2014 und die Politik der letzten Jahre geht – in dieser Hinsicht hat sich der Regisseur etwas zu viel vorgenommen. Wobei die Figur des lebensbejahenden, in der Ukraine geborenen Russen Lew (Tambet Tuisk aus "Poll", 2010), der sich gegen die Spaltung seines Landes stemmt, das Ensemble durchaus bereichert. Sein Bruder, der auf der Seite der russischen Separatisten kämpft, ist letztlich ein Beispiel dafür, dass auch diese Familie gespalten ist; dass auch hier ein Krieg geführt wird, der die Menschen entzweit.

So ist "Leanders letzte Reise" durchaus berührend geworden – von ein paar dramaturgischen Schwächen wie einer nur bruchstückhaften Unterfütterung der Fakten und Figuren mal abgesehen. Eine schön gefilmte Geschichte, die ganz und gar von einem Jürgen Prochnow lebt, der gekonnt die Generation der Väter und Großväter verkörpert. Eine Generation, die über das, was sie ausmachte und geprägt hat, nicht sprechen konnte oder wollte.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

Das könnte Sie auch interessieren