Phantasialand und Co

"Team Wallraff" deckt Missstände in Freizeitparks auf

01.09.2015, 08.19 Uhr
Reporterin Caro Lobig und Günter Wallraff im Undercover-Einsatz im Phantasialand in Brühl.
Reporterin Caro Lobig und Günter Wallraff im Undercover-Einsatz im Phantasialand in Brühl.  Fotoquelle: RTL

Das Team von Enthüllungsjournalist Günter Wallraff hat im Auftrag von RTL die Arbeitsbedingungen und Sicherheitsstandards verschiedener deutscher Freizeitparks genauer überprüft. Hinter den bunten Attraktionen höre der Spaß aber oft auf. In einigen Parks werde sogar in sicherheitsrelevanten Bereichen gespart.

Das Phantasialand in Brühl bei Köln gilt als einer der beliebtesten Freizeitparks in Deutschland. Auf einer Fläche von etwa 39 Fußballfeldern vergnügen sich jährlich etwa zwei Millionen Gäste auf 39 Attraktionen. Im Juli 2014 bewarb sich "Team Wallraff"-Reporterin Caro Lobig als verdeckte Ermittlerin "Stephanie". Im sogenannten Wuzetal, wo Gäste Tretboot fahren können, wurde sie als Mitarbeiterin für einen Stundenlohn von 8,80 Euro eingesetzt.

Nur eine Toilettenpause

Im Laufe ihres Undercover-Einsatzes erlebte sie immer wieder, dass Kollegen angesichts des hochsommerlichen Besucheransturms völlig überarbeitet waren. Wie die Aufnahmen vom Montagabend bei RTL zeigen, konnten die Mitarbeiter stundenlang nicht auf die Toilette gehen, da eine Ablösung nicht schnell genug bereit stand. Nach Angaben der Vorgesetzten haben Mitarbeiter eine Mittagspause und eine Toilettenpause. Dazwischen heiße es "eigentlich Beine zusammenkneifen." Auch die üblichen zwei freien Tage in der Woche könnten, so berichteten Mitarbeiter der verdeckten Reporterin, oft kaum eingehalten werden.

Am vierten Tag des Undercover-Einsatzes passierte dann das, wovor die Reporterin Angst hatte: Ein kleines Mädchen fiel in den vier Meter tiefen See. Noch bevor Lobig alias Stephanie mit einem Rettungsboot an der Unglücksstelle ankam, war der Bruder des Mädchens ins Wasser gesprungen und hatte seine Schwester an Land gezogen.

Schlechte Wohn- und Arbeitsverhältnisse im Safaripark Stukenbrock

Im Safaripark Stukenbrock in Ostwestfalen, der nicht nur Fahrgeschäfte bietet sondern auch damit wirbt, dass 600 Tiere fast wie in freier Wildbahn leben, wurden nicht nur schlechte Arbeitsverhältnisse sondern auch schlechte Wohnverhältnisse von Park-Mitarbeitern aufgedeckt. Als Studentin Steffi jobbte Reporterin Caro Lobig als Aushilfe. Nach Angaben vom "Team Wallraff" bekamen Schüler und Studenten 2014 einen Stundenlohn von vier Euro, die Festangestellten verdienten 1100 Euro brutto. Bei einer Sechs-Tage-Woche entsprach das nur 5,70 Euro brutto in der Stunde.

Viele der Mitarbeiter, ein Großteil davon laut RTL osteuropäische Saisonkräfte, wohnten in einem heruntergekommenen Camp im Park. Alte Wohnwagen und Container bieten teilweise nur sechs Quadratmeter Platz – und das für 70 Euro pro Monat im Jahr 2014.

Auch eine wenig artgerechte Haltung der Tiere wurde aufgedeckt. So standen Herdentiere zum Beispiel im Dunkeln hinter Gittern oder lebten einsam in einer kleinen Box. Auf einer Safari durch das Gelände erlebten Günter Wallraff und die Tierexpertin Laura Zodrow vom Tierschutzverein "animal public", wie Pfleger in den vielbeworbenen Freilauf der Tiere systematisch mit der Peitsche eingriffen. Am dritten Tag flog der Einsatz von Lobig schließlich auf. Eine Saison später, im April 2015, überprüfte "Team Wallraff" erneut die Arbeitsbedingungen und die Haltung der Tiere. Es hatte sich offensichtlich kaum etwas verändert. In diesem Jahr wird angeblich Mindestlohn bezahlt. Mitarbeiter berichteten jedoch von häufiger Mehrarbeit und für die Unterkunft im Camp würden nun 150 Euro pro Monat berechnet.

"Team Wallraff" schaltet Veterinäramt ein

Ebenfalls verdeckt unterwegs war Caro Lobig im Tierpark Bad Pyrmont, der in der Nähe von Hameln in Niedersachsen liegt und rund 450 Tiere 70 verschiedener Arten hält. Im Februar 2015 bekam Lobig dort ein Praktikum als Tierpflegerin und deckte schon nach kurzer Zeit auf, dass im Schimpansen-Gehege nach dem Tod eines Artgenossen verbotener Weise nur noch der Affe Charly lebte - dabei ist die Einzelhaltung von Schimpansen verboten. Rund 20 Minuten am Tag hatte der Affe Kontakt zu einem Pfleger. 

Das "Team Wallraff" schaltete daraufhin über die Tierexpertin Laura Zodrow die Behörden ein und zeigte die Missstände beim Veterinäramt an. Bei einer Überprüfung drei Monate später lebte Charly jedoch noch immer alleine. Erst im Anschluss an die erneute Überprüfung habe der Schimpanse Charly dann in einer Auffangstation in England ein neues Zuhause gefunden. Nach Ende der Quarantäne werde er in einer Gruppe mehrerer Schimpansen leben.

Tochter wird zu Tode geschleift

Im Holiday Park Haßloch in Rheinland-Pfalz passierte indes am 15. August 2014 ein schreckliches Unglück. Claudia Walker und ihre elfjährige Tochter Amber wollten gerade in das Karussell "Spinning Barrels" einsteigen, als es losfuhr. Während die Mutter zur Seite geschleudert wurde, wurde Amber erfasst und von den drehenden Platten zu Tode geschleift. In einem langen Interview rekonstruierte Wallraff gemeinsam mit den Eltern, wie es zu dem tödlichen Unfall kommen konnte. Laut Claudia Walker gab es vor dem Start kein Warnsignal, möglicherweise deshalb, weil der Bediener des Karussells nicht richtig eingearbeitet worden war. Und weil er alleine war, konnte er die ganze Attraktion kaum überblicken. Auch wenn der zuständige Bediener gemeinsam mit zwei Vorgesetzten wegen fahrlässiger Tötung angeklagt wurde, gab es für die Mutter der toten Amber keinen Zweifel: "Derjenige, der den Knopf gedrückt hat, konnte den Fehler nur machen, weil er nicht richtig geschult worden ist, weil die Technik morgens nicht überprüft worden ist. Schuld ist der Park, Schuld ist das System."

Im April 2015 wollte das "Team Wallraff" in Erfahrung bringen, ob der Holiday Park aus diesem Unfall gelernt habe und ob es mehr und besser eingearbeitetes Personal an den Attraktionen gibt. Anne, eine Informantin und Ex-Mitarbeiterin, ließ sich dazu ein zweites Mal in dem Freizeitpark einstellen. Eigentlich hätte sie von einem speziell qualifizierten Supervisor außerhalb des laufenden Betriebs gründlich und in Ruhe eingearbeitet werden müssen, wurde sie aber nicht. Dafür fehlte offensichtlich nach wie vor die Zeit, zudem schien Personal knapp zu sein. Anne erfuhr, dass Bediener oft mehr als sechs Tage die Woche arbeiten müssen.

"Wer am Personal spart, spart an der Sicherheit"

"Es hat mich erschrocken, dass sich nichts geändert hat. Und ich stand zum Teil auch wieder alleine an den Fahrgeschäften", sagte die verdeckte Reporterin. Und Günter Wallraff ergänzte: "Dieser tragische Unfall zeigt, dass Freizeitparks eben nicht nur harmloses Vergnügen sind. Ich kann jetzt nur hoffen, dass die Branche daraus Konsequenzen zieht und doch einiges grundlegend ändert. Wer im Freizeitpark am Personal spart, der spart letztlich an der Sicherheit."

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