Sky-Doku

"Das Mädchen in der Kiste": Wer tötete Ursula Herrmann?

03.11.2022, 16.35 Uhr
von Wilfried Geldner

Vor über 40 Jahren wurde die damals zehnjährige Ursula Herrmann entführt und getötet. Bis heute gibt der Fall Rätsel auf.

Die Entführung und Tötung der zehnjährigen Ursula Herrmann in der Nähe des Ammersees am 15. September 1981 ist bis heute einer der aufsehenerregendsten Fälle der deutschen Kriminalgeschichte. Lange Jahre tappten Polizei und Justiz im Dunkel. Erst 2009 kam es zum Prozess gegen einen Tatverdächtigen. Die neue Sky-Dokumentation "Das Mädchen in der Kiste: Wer tötete Ursula Herrmann?" schildert nun noch einmal die Entführung selbst, die gesammelten Beweise, das Versagen der Polizei, aber auch das Gefühlsleben der Familie Herrmann, hier vor allem des Bruders Michael. Polizisten, die an der Suche beteiligt waren, Prozessbeobachter, Gutachter und selbst der 2009 zuständige Augsburger Richter kommen genauso zu Wort wie der Angeklagte und Verurteilte selbst.

"Ich wurde zu Lebenslänglich verurteilt für ein Verbrechen, das ich nicht begangen habe", sagt der 2010 verurteilte Werner Mazurek, ein Mann wie ein Bär mit ruhiger Stimme in der Lübecker Justizvollzugsanstalt. War Ursula Herrmann, das blonde Mädchen, das auf den Fotos so schön lächelt, damals vor 40 Jahren wirklich sein Opfer? Die True-Crime-Doku geht dieser Frage akribisch nach. Sie beginnt und endet mit den Statements des Bruders, der nicht an Mazureks Alleintat glauben will und längst eigene Recherchen betrieb, die das Urteil des Richters zu widerlegen scheinen. Er glaubt, an Polizei und Justiz gewendet, "dass da ganz viel schief gelaufen ist".

Ursula Herrmann kam am Abend des 15. September 1981 kurz nach Sonnenuntergang nicht nach Hause. Die Mutter habe "den Horror des Augenblicks gespürt", so berichtet ein Freund der Familie, der Ursula als "sonnig, einfach heiter" schildert. Ursula hatte einen Radweg durch den Wald genommen. Als sie nicht heimkam, wurde der von Polizei und Feuerwehr abgesucht, um 23.00 Uhr wurde ihr rotes Fahrrad gefunden. Sie selbst fand man erstaunlicherweise nicht. Stattdessen trafen merkwürdige Telefonanrufe mit dem damaligen Jingle des BR-Verkehrsfunks ein. Als Indizienbeweise sollten sie im 30 Jahre späteren Prozess eine entscheidende Rolle spielen. Der Tonkopf eines vom Täter benutzten Tonbandgeräts habe den sechsten Ton des Jingles verzerrt wiedergegeben, behauptete eine Gutachterin.

Begingen Schüler die Tat?

Eine weitere Expertin nennt die zwei Tage nach der Tat eingetroffenen Zeitungsausschnitte mit einer Lösegeldforderung von zwei Millionen anfängerhaft. Zu lang, zu umständlich, zu verschroben. Unter anderem wurde zur Übergabe des Lösegelds ein gelber Fiat 600 gefordert. Der engen Kiste, in der Ursula Herrmann nach ihrer Entführung – sei es noch lebendig oder bereits tot nach ihrer Betäubung – vergraben wurde, war neben Büchern auch ein Comic beigelegt, der ein solches Fahrzeug enthielt.

Waren die Täter womöglich Schüler eines Internats in der Nähe des Tatorts? Bei Schülern wurden auch Teile eines Meldedrahts gefunden, der im Wald verspannt war. Michael Herrmann sieht noch immer einen Zusammenhang. Wurden Sprösslinge einflussreicher Persönlichkeiten gedeckt?

Andererseits blieb der Fernsehtechniker Werner Mazurek nach wie vor hoch verdächtig. Er brachte alle Voraussetzungen mit, um die 72 mal 60 mal 139 Zentimeter große Kiste zu basteln, er hatte eine Elektrowerkstatt. Er war damals hoch verschuldet und bereits straffällig geworden. Eine Wiederaufnahme seines Verfahrens wurde jüngst abgelehnt. Aber auch der Erlass der Reststrafe des 2010 zu Lebenslänglich Verurteilten ab 2023 steht in Frage.

Alles in allem bleibt auch am Ende der Sky-Dokumentation offen, wer Ursula Herrmann im September 1981 entführte und so schrecklich sterben ließ, Es gibt zu viele Ungereimtheiten in diesem Fall: Ein Mittäter widerrief ein Geständnis wieder, zur Zeit des Prozesses war er bereits verstorben. So bleibt vor allem ein Tonbandkopf als Beweis. Der Augsburger Richter steht dennoch zu seinem Urteil. Mordgeständnisse, so sagt er, seien eben selten. Aber auch die Gerichtsreporter von "SZ" und "Spiegel" geben sich noch immer skeptisch, was die Gerechtigkeit des Urteils betrifft.

Wer den unbequemen Film sieht, bekommt eine Ahnung davon, warum die Deutschen so sehr ihre Sonntagskrimis lieben. Eineinhalb Stunden, ein oder zwei Kommissare – danach wird der Täter gefasst und die Welt ist wieder in Ordnung. Hier ist alles anders, hier ist sie es nicht. Es bleiben viele Fragen offen. Und das verstört den Betrachter zutiefst.

Ab 3. November auf Sky Crime zu sehen und mit Sky Q und dem Streamingdienst WOW abrufbar.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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