Bei "Maischberger"

Ehemaliger Russland-Botschafter schätzt Putins Macht ein: "Das Regime wird fragiler"

28.06.2023, 09.31 Uhr
von Christopher Schmitt

Welche Auswirkungen hat der Wagner-Aufstand in Russland? Haben die Ereignisse Wladimir Putin geschwächt? Bei Sandra Maischberger erläuterte der ehemalige Botschafter in Moskau, Rüdiger von Fritsch, warum der Kreml-Chef deutlich an Macht verloren hat: "Dieser Zar ist nicht so stark, wie er behauptet."

Der von Jewgeni Prigoschin angeführte Wagner-Aufstand in Russland hielt am Samstag die Welt in Atem – und Wladimir Putin? Bei "maischberger" wurde am Dienstagabend die Frage diskutiert, ob Russlands Machthaber geschwächt aus dem abgeblasenen Söldner-Putsch hervorgehe. Im ARD-Talk debattierten unter anderem der ehemalige deutsche Botschafter in Moskau, Rüdiger von Fritsch sowie der CNN-Chefkorrespondent Frederik Pleitgen. Gastgeberin Sandra Maischberger wies auf eine Auffälligkeit in Putins erster Rede nach den Vorkommnissen hin: die gezogene Parallele zum russischen Revolutionsjahr 1917,

Laut von Fritsch sei dies eine "sehr interessante Passage" und "bezeichnend für die Gedankenwelt Wladimir Putins". Das Narrativ des Kreml-Chefs stellte der ehemalige Botschafter folgendermaßen dar: Er sei "der gute, starke, treue Zar, der das Land mit sicherer Hand führt" und Russland habe eine fast siegreiche Armee. Beides könne "nur durch einen Dolchstoß in den Rücken" gestürzt werden. Dabei habe es 1917 einen schwachen Zar gegeben, der seine Armee nicht vorbereitet und schlecht ausgerüstet hatte. "Wladimir Putin droht genau jenes gleiche Schicksal. Und die Menschen in Russland kennen ihre Geschichte."

"Wenn man in Russland eines nicht zeigen darf in der Politik, dann ist es Schwäche"

Nach dem Putsch sieht von Fritsch Putin "in mehrfacher Hinsicht geschwächt". Der Ex-Diplomat: "Wie er seither agiert, ist komplett defensiv." Putin versuche zu erzählen, die Sicherheitskräfte hätten Prigoschin aufgehalten, dabei seien diesem nur "Bagger und Bohrmaschinen" in den Weg gestellt worden. Der Machthaber habe sich mit seiner "Marionette Prigoschin" völlig verkalkuliert, sei zudem unvorbereitet gewesen, was von Fritsch als "schlechtes Zeichen" wertete. "Er musste seinen schwachen Gehilfen Lukaschenko um Hilfe bitten und er musste innerhalb von acht Stunden Aussagen, die er getroffen hatte [...] wieder zurücknehmen." Sein Fazit: "Wenn man in Russland eines nicht zeigen darf in der Politik, dann ist es Schwäche."

Frederik Pleitgen relativierte von Fritschs Aussagen zu Putins Stand allerdings etwas: "Geschwächt würde ich nicht unbedingt sagen". Er habe nicht geglaubt, dass der Putsch gelingen könne, der Kreml-Herrscher habe sich "Zeit gekauft". Auch wenn die Wagner-Gruppe es bis 200 Kilometer vor Moskau geschafft habe, sei früh klar gewesen, dass sich niemand, der im Ukraine-Krieg oder in der russischen Politik wichtig ist, sich hinter Prigoschin gestellt habe. "Dieser Konvoi war auch nicht so groß, dass der in Moskau viel hätte anrichten können." Putin habe "Prigoschin aus dem Weg geräumt", aber: Wenn es weiterhin in der Ukraine auf dem Schlachtfeld schlecht laufe, "dann hat Wladimir Putin ganz schnell ein Problem, weil er jetzt auch keinen mehr hat, auf den er das schieben kann".

Dann wurden die Bilder besagter Bagger eingespielt, die die russische Autobahn aufreißen und unbefahrbar machen – und Rüdiger von Fritsch legte nach: "Das zeigt doch genau, wie schwach dieser Führer ist." Putin sei eben nicht der starke Mann, der in der Lage sei, sein Land zu schützen. Auf Prigoschins Seite könne sich niemand stellen, der sei ja kein Politiker.

Aber: "Das Regime wird fragiler", so der Ex-Botschafter, da die Russen sich fragen würden, ob er ihre Interessen sichern und ihre Sicherheit garantieren könne. "Die Wahrscheinlichkeit, dass sich jemand gegen ihn auflehnen könnte, ist gewachsen." Auch wenn Russland nicht unmittelbar vor einem Umbruch stehe, würden viele in der Bevölkerung merken: "Dieser Zar ist nicht so stark, wie er behauptet." Dass Putin von den Geheimdiensten nicht vorab informiert wurde, bezeichnete er als "bemerkenswert".

War Putin ernsthaft in Gefahr?

Musste Putin vor der Privatarmee wirklich Angst haben? Pleitgen hielt fest: "Das wird für den sicherlich sehr unangenehm gewesen sein." Nun, nach dem Aufstand, versuche Putin Sicherheit auszustrahlen, erklärte der Journalist. Auch wenn sich Prigoschins Aktion angeblich gegen den Verteidigungsminister Schoigu und den Generalstabschef Gerassimow gerichtet hätten: "Er hat sich öffentlich gegen Putin gestellt." Interne Sicherheitsprobleme innerhalb Russlands seien deutlich geworden, was auch daran liege, "dass fast die gesamte Armee mittlerweile in der Ukraine steht".

Von Fritsch führte zudem aus: Wenn die Macht der russischen Führung gefährdet sei, könne diese sich "möglicherweise verhandlungsbereit" zeigen. Der Kreml-Chef müsse behaupten können, etwas erreicht zu haben. Etwa in Verabredungen über Sicherheit könne eine Verhandlungslösung zwischen der Ukraine und Russland gelingen.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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