Risikoreicher als KI?

Klonen als Gefahr: Thilo Mischke hält Technologie für gefährlicher als Klimawandel

31.07.2023, 11.39 Uhr
von Eric Leimann

In der Reportage "ProSieben Thema: Genmedizin. Darf der Mensch Gott spielen?" geht Thilo Mischke der Klon-Technologie auf die Spur. Dabei findet er unglaubliche Sachen heraus.

Thilo Mischke, Bayerischer Fernsehpreisträger und zweimal für den Deutschen Fernsehpreis nominiert, geht gern dorthin, wo es wehtut. Oft sind es die gefährlichsten Orte der Welt, an die es den Investigativ-Reporter ("Uncovered") zieht. In seiner neuen Reportage "ProSieben Thema: Genmedizin. Darf der Mensch Gott spielen?" (Dienstag, 1. August, 20.15 Uhr, ProSieben) blickt der 42-jährige Berliner nun in seine eigenen Abgründe – und damit auch in jene der gesamten Menschheit. Wie wird sich die Medizin in naher Zukunft durch den Einsatz von Gentechnik verändern? Und wird das "Designen" und auch Klonen von Menschen bald schon Realität? Es geht um brisante Fragen.

prisma: Was interessierte Sie an der Genmedizin?

Thilo Mischke: Das ist ein ganz altes Interesse. Ich war schon immer Science Fiction-Nerd und habe wahrscheinlich die meisten Klassiker gelesen sowie alle Filme geschaut. Den "perfekten Menschen" zu bauen oder, kleiner gedacht, den Menschen durch genetisches Design zu verbessern, ist in diesem Erzählkosmos ein oft bespieltes und faszinierendes Thema. Inzwischen sind wir diesen Science Fiction-Themen in der realen Wissenschaft von heute schon recht nahegekommen. Deshalb hat es mich interessiert, diese Dokumentation zu drehen.

prisma: Ist es ein Menschheitstraum oder eher ein Menschheits-Albtraum, über den Sie da mehr erfahren wollten?

Mischke: Es ist beides. Über mRNA-Impfstoffe haben wir gerade während der Corona-Pandemie eine Menge erfahren – und sie als Segen erlebt. Auch mRNA ist Genmedizin. Aber wenn wir beim Design von Wunsch-Babys mit ausgesuchten Eigenschaften sind, dann würde ich das als Albtraum bezeichnen.

"Ich hatte Schiss vor den Ergebnissen"

prisma: Sie haben eine sehr persönliche Herangehensweise für diesen Film gewählt, denn Sie haben Ihr eigenes Genom entschlüsseln lassen. Hatten Sie Angst vor diesem Schritt – oder überwog die Neugier?

Mischke: Ich war fasziniert davon, als Forscher im Jahr 2000 oder 2001 bekannt gaben, das menschliche Genom sei zu 99 Prozent entschlüsselt. Damals kostete so eine Genom-Analyse Unsummen. Heute muss man nur noch eine Speichelprobe abgeben und bekommt für 100 bis 150 Euro seine eigene Analyse. Aber man muss sich schon auch bewusst machen, dass es unter Umständen eine schwer zu verarbeitende Information ist, wenn man erfährt, dass man mit einer Wahrscheinlichkeit von soundso viel Prozent eine bestimmte Krankheit bekommt. Ich hatte Schiss vor den Ergebnissen, denn es ist ein bisschen so, als würde man ein Orakel befragen. Die eigene Zukunft zu kennen, kann ziemlich hart sein.

prisma: Was haben Sie konkret über sich erfahren?

Mischke: Unter anderem, dass ich ein erhöhtes Risiko habe, Alzheimer zu bekommen. Was mich am meisten belastet hat, war, dass ich nicht wusste, wie ich mit dieser Information umgehen soll. Bedeutet ein "erhöhtes Risiko", dass man eine Krankheit recht wahrscheinlich bekommt oder ist es immer noch so unwahrscheinlich, dass man sich eigentlich entspannen kann? Nicht jeder Mensch ist dafür gemacht, mit solchen Informationen umzugehen. Deshalb ist eine Genom-Entschlüsselung aus meiner Sicht kein Spaß, den man sich einfach so mal machen sollte.

prisma: Haben Sie auch etwas herausgefunden, über das Sie sich gefreut haben?

Mischke: Was ich sehr schön fand, war eine Überraschung zu meiner Herkunft. In meinem Genom scheinen sich französische Wurzeln zu finden, was ich ganz witzig fand (lacht), weil ich eigentlich immer dachte, ich sei zu 25 Prozent Armenier. Trotzdem möchte ich niemandem empfehlen, einfach nur den Test zu machen und sich für die genannte Summe ein großes PDF-Dokument mit vielen Informationen über sich selbst einzukaufen, die einen total verwirren. Natürlich kann man sich zusätzlich auch Erklärung und Beratung zum nackten Ergebnis dazu kaufen, aber das wird dann natürlich deutlich teuer. Und auch dann stellt sich die Frage: Was mache ich mit dieser Information?

"Sofort zum Arzt gehen und sich die Brust abnehmen lassen?"

prisma: Also würden Sie davon abraten?

Mischke: Ja, auf jeden Fall von der Variante ohne Beratung. Aber auch sonst muss man sich klar werden, dass ein solcher Test dein Leben verändern kann. Wenn eine Frau beispielsweise erfährt, dass sie in ihrem Genom die Markierung für Brustkrebs hat, was soll sie nach einem solchen Testergebnis tun? Sofort zum Arzt gehen und sich die Brust abnehmen lassen? Man muss wirklich genau nachdenken, was man tun wird, bevor man sich solchen Informationen stellt.

prisma: Momentan hat es den Anschein, dass unsere Gesellschaft mehr über Künstliche Intelligenz diskutiert. Das Thema Genmedizin scheint dahinter gerade ein bisschen zu verschwinden ...

Mischke: Dabei gehen beide Themen Hand in Hand. Zu verstehen, welche Sequenzen auf dem Genom für welche Eigenschaften des Menschen verantwortlich sind, hilft dabei, menschliches Leben und auch menschliche Intelligenz besser zu verstehen. Gleichzeitig brauchen wir die Rechenkraft der Künstlichen Intelligenz, um solche Forschungen überhaupt anstellen zu können. Die Milliarden einzelner Informationen, die dafür erfasst und analysiert werden müssen, können wir Menschen alleine nicht durcharbeiten.

prisma: Auf welche Weise wird sich die Medizin verändern – und in welchen Zeitraum?

Mischke: Genmedizin wird sehr bald – also vielleicht schon in zehn Jahren – dazu führen, dass wir Menschen mit sehr spezifischen Medikamenten behandeln, die an ihr Genom angepasst sind. Beispiel Breitbandantibiotika: Da schießen wir momentan noch mit Kanonen auf Spatzen. Genmedizin ist das Gegenteil, es wird dazu führen, dass jeder Mensch ein für ihn und sein Krankheitsbild ideales Medikament erhält. Diese Entwicklung empfinde ich durchaus als großartige Revolution, denn man würde die Wirksamkeit von Medikamenten deutlich verbessern und unerwünschte Nebenwirkungen überwinden können. Viele Krankheiten, die auf vererbten Gendefekten beruhen, wird man heilen können – nachträglich wohlgemerkt. Eine total faszinierende Sache ...

"Wir waren in Argentinien bei einer Firma, die Fohlen klont"

prisma: Klingt das nicht ein bisschen nach einer Medizin für Reiche? Günstige Medikamente gibt es doch nur, wenn sie für den Massenmarkt hergestellt werden können, oder?

Mischke: Das ist auf jeden Fall ein wichtiger Punkt. Solange Gen-Medikamente noch neu sind, werden sich nur Leute diese Mittel leisten können, die sehr viel Geld haben. Für meine Reportage war ich unter anderem auf den Cayman Islands und habe dort einen Patienten begleitet, der für eine horrende Summe eine solche Therapie macht, die Genmedizin als Grundlage nutzt.

prisma: Überhaupt waren Sie für Ihren Film rund um den Globus unterwegs. Ist es so, dass wir Deutschen der Genmedizin deutlich skeptischer gegenüberstehen als andere Nationen?

Mischke: Ja, es ist auf jeden Fall so. Das hat richtigerweise mit unserer Geschichte und den Menschenversuchen während der Zeit des Faschismus zu tun. Ich persönlich finde es auch durchaus gut, dass hier viele Menschen so kritisch denken. Anders ist es in den USA oder in China. Dort werden überschaubare ethischen Debatten zu solchen Themen in der Öffentlichkeit geführt und entsprechend können diese Länder ein ganz anderes Tempo in der Weiterentwicklung der Genmedizin vorlegen.

prisma: Welche düsteren Folgen erwarten Sie?

Mischke: Der Menschheitstraum oder -albtraum von komplett designten Menschen wird wahr werden. Es gibt jetzt schon genmodifizierte und auch geklonte Lebewesen, von denen ich vor diesem Film gar nichts wusste. Wir waren in Argentinien bei einer Firma, die Fohlen klont. Und zwar aus Pferden, die im Polosport zuvor sehr erfolgreich waren. Diese Klone legen völlig neue Verhaltensweisen an den Tag, die man von Pferden bisher so nicht kannte. Zum Beispiel bilden die geklonten Pferde Gruppen und orientieren sich bei weitem nicht so klar am Mutterpferd, wie es natürlich gezeugte Pferde tun. Ich fand das total unheimlich ...

"Größtes Potenzial, dass die Menschheit sich selbst auslöschen wird"

prisma: Wie gefährlich sind solche Experimente, abseits vom ethischen Aspekt?

Mischke: Ich glaube, sehr gefährlich. Wir waren in den USA bei Forschern, die mit genmanipulierten Mücken arbeiten. Ich habe einen der Forschenden gefragt, ob bei ihnen auch mal was schiefgehen kann, und er meinte: "Nein, nein – wir haben alles unter Kontrolle." Und dann erzählte er mir in einem Nebensatz, dass sie bei einer geklonten Mücke aus Versehen ein Gen vergessen haben, das ein bestimmtes Betäubungsmittel in den Mücken ausbildet und das dafür sorgt, dass wir Menschen die Stiche nicht ganz so stark merken. Die Forscher haben also aus Versehen Mücken gezüchtet, die jetzt extrem schmerzhaft zustechen. Wir wissen am Ende doch nicht alles, wenn wir an Lebewesen herummanipulieren. Darin sehe ich die größte Gefahr.

prisma: Könnte so etwas auch bei Menschen-Experimenten passieren?

Mischke: Natürlich – und davor muss man natürlich größten Respekt haben. Einige Zukunftsforscher sind der Meinung, dass Genmedizin das größte Potenzial dafür mitbringt, dass die Menschheit sich selbst auslöschen wird. Vielleicht ist sie sogar noch gefährlicher als der Klimawandel und das Artensterben.

prisma: Wie nah sind wir am künstlich erschaffenen Menschen dran – oder auch daran, dass wir uns selbst klonen können?

Mischke: Meine Spekulation als Laie ist, dass wir zumindest sehr bald schon in der Lage dazu sein werden, Menschen zu klonen. Oder anders gesagt: Wenn man ein Pferd hinbekommt, ist es zum Menschen nicht mehr weit.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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