Sexualstraftäter in Göttingen

"Tatort: Die Rache an der Welt": Eine polarisierende Krimi-Folge

09.09.2024, 07.40 Uhr
von Eric Leimann

Der Tatort-Fall 'Die Rache an der Welt' aus 2022 polarisiert erneut. In Göttingen treibt ein Sexualstraftäter sein Unwesen. Charlotte Lindholm und Anaïs Schmitz ermitteln in einem heiklen Umfeld, das von Vorurteilen und Misstrauen geprägt ist. 

ARD
"Tatort: Die Rache an der Welt"
Kriminalfilm • 08.09.2024 • 20:15 Uhr

Ein heikler Fall

"Die Rache an der Welt", der vorletzte gemeinsame Fall der Ermittlerinnen Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) und Anaïs Schmitz (Florence Kasumba), hatte Potenzial, für die ARD zum Shitstorm-Auslöser zu werden. Zumindest aber gingen die an die Erstausstrahlung im Herbst 2022 anschließenden Kritiken weit auseinander. Dies liegt am mutigen, weil immer wieder uneindeutig zweifelnden Plot, den einem die renommierten Filmemacher Daniel Nocke (Buch) und Stefan Krohmer (Regie) in diesem Krimi inszenatorisch eher unaufgeregt servieren. Worum geht es in dem Fall, den die ARD nun als letzte "Tatort"-Wiederholung der diesjährigen Sommerpause zur gewohnten Sendezeit am Sonntagabend ausstrahlt?

In der beschaulichen Studentenstadt Göttingen treibt ein Sexualstraftäter sein Unwesen. Der "Wikinger", wie er in der Presse genannt wird, lauert jungen Frauen an abgelegenen Ecken auf und zwingt sie zu sexuellen Handlungen. Bislang ließ der Täter seine Opfer am Leben, doch in einem kleinen Park wurde nun die Leiche der Studentin Mira gefunden. Ein Augenzeuge beschreibt den Täter als einen Mann mit migrantischer Herkunft – doch er scheint voreingenommen.

Über Gerichtsmediziner Nick Schmitz (Daniel Donskoy) gibt Charlotte Lindholm den Anstoß für eine "erweiterte Herkunftsanalyse" der DNA vom Tatort, was in diesem Fall rechtlich heikel ist. Bald führen die Ermittlungen Lindholm auch in ein Fußball-Camp, in dem Geflüchtete mit ihrem Trainer (Sascha Geršak) und anderen politisch engagierten Menschen an ihrem Eintrag im "Guinness-Buch der Rekorde" arbeiten. Sie wollen so lange am Stück kicken, wie es noch nie jemand zuvor getan hat. Das Camp ist eigentlich eine geschlossene, gut überwachte Community. Ist es trotzdem möglich, dass jemand von dort der Täter ist? Auch andere Menschen könnten mehr über Miras Tod wissen, als sie verraten. Studentin Jelena (Mala Emde), die Mitbewohnerin des Opfers, verhält sich irgendwie seltsam. Und was ist eigentlich aus Munir (Eidin Jalali) geworden – einem Geflüchteten, mit dem die Tote viel Zeit verbrachte – und der jetzt verschwunden ist?

Eine Community mit wenig "Respekt"?

Das in seiner Karriere mit vielen Preisen ausgezeichnete Kreativduo Daniel Nocke und Stefan Krohmer ("Neu in unserer Familie", "Eine fremde Tochter") steht eigentlich für einen anderen Filmstil als jenen, den man in diesem Charlotte-Lindholm-Krimi zu sehen bekommt. Statt einer halb-dokumentarisch wirkenden, subtil ironischen Gesellschaftsbeobachtung kommt dieser "Tatort" erstaunlich normal und weitgehend humorfrei um die Ecke. Vielleicht hätte das Thema diesen Humor auch nicht hergegeben – oder der bekannte Krohmer/Nocke-Stil hätte es verwässert. Einziges typisches Humor-Element des Duos ist das maximal unspannende Mammut-Fußballspiel, bei dem sich junge Männer mit Migrationshintergrund schwerfällig langsam – wir befinden uns in der Spätphase des Rekordversuchs! – über den Platz schleppen.

Abgesehen von diesem verschmitzten Witz wirken Setting und Plot von "Die Rache an der Welt" maximal ernst, aber nicht übertrieben dramatisiert, was ebenso angenehm ist. Lindholm, für sie ist es das 20-Jahre-Jubiläum im "Tatort"-Dienst, und Schmitz machen einfach nur ihre Arbeit. Die jedoch ist von Begegnungen und Problemen der Frauen mit ihren Verdächtigen oder Befragten geprägt, die aus einer Community kommen, in der man der Polizei und vor allem weiblicher Polizei nicht allzu viel "Respekt" entgegenbringt. Auch dieser Satz ist natürlich eine Behauptung irgendwo zwischen beobachtbarer Wahrheit und Klischee. Und weil Daniel Nockes Drehbuch herrlich uneindeutig mit diesem Spektrum spielt, ist dieser unspektakuläre, aber gerade zwischen den Zeilen und Szenen ziemlich interessante "Tatort" auch ein gelungener.

Der Göttinger Fall beendet die lange "Tatort"-Sommerpause

"Die Rache an der Welt" war der vorletzte gemeinsame Fall für Lindholm und Schmitz, 8,7 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer schalteten im Oktober 2022 ein. Der letzte neue Göttinger "Tatort", "Geisterfahrt", wurde im Februar ausgestrahlt und bedeutete Florence Kasumbas Ausstieg. Denn in ihrem nächsten Fall soll Charlotte Lindholm nach ihrer Strafversetzung wieder in ihr altes Revier Hannover zurückkehren.

Der letzte neue "Tatort" lief im Mai, selten begann die "Tatort"-Sommerpause so früh wie in diesem Jahr und endete so spät. Geschuldet ist das den vielen Sport-Events – der Fußball-EM, den Olympischen Spielen und zuletzt den Paralympics, die nun am Sonntag, 8. September zu Ende gehen. Ab nächster Woche können sich die Zuschauerinnen und Zuschauer dann auf neue Sonntagskrimis im Ersten freuen. Die Wiener Ermittler Eisner und Fellner beenden die lange "Tatort"-Sommerpause mit dem Fall "Deine Mutter". Darin betritt das Duo nach einem Mord ganz ungewohntes Terrain – die Hip-Hop-Szene Wiens.

"Tatort: Die Rache an der Welt" – So. 08.09. – ARD: 20.15 Uhr


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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