Sonntag am "Tatort"

Tatort Münster: Ein Blutsport namens Tanzen

06.05.2016, 12.15 Uhr
von Detlef Hartlap
Bei der Toten handelt es sich um die Tänzerin Elmira Dumbrowa.
BILDERGALERIE
Bei der Toten handelt es sich um die Tänzerin Elmira Dumbrowa.  Fotoquelle: WDR/Martin Menke

Endlich wieder in Bestform: Boerne begibt sich auf glattes Parkett, Thiel auf schlüpfrigen Untergrund. Das Resultat ist ein uneigentlicher Krimi von hohem Unterhaltungswert.

Ganz bitterer Augenblick für Professor Karl Friedrich Boerne: Seine Mitarbeiterin Silke Haller, besser bekannt als "Alberich", wird mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Sie hat – ehrenamtlich – eine Anlaufstelle für Verbrechensopfer ins Leben gerufen.

"Wenn eine Angestellte vor dem Chef ausgezeichnet wird", grummelt Boerne und hält sich ungewohnt verkrampft am Sektglas fest, "darf das durchaus als Affront betrachtet werden."

Doch findet er schnell wieder zu sich: "Was ist schon ein Orden? Ein Purpurband, das mit wenig Metall viel Eitelkeit befriedigt." Dumm nur, dass es nicht seine Eitelkeit sein durfte.

Am Ende ist es tatsächlich Alberichs Anlaufstelle, die zur Lösung des Falles beiträgt. Sie und ein gewisser Udo, der sich als Goldfisch entpuppt.

Ach, haben wir schon erwähnt: Wir sind in Münster. In einem Münster, das endlich wieder daran erinnert, dass von dort die besten und zugleich blödesten und zugleich bestgespielten Tatort-Folgen stammen. Der Münster-Tatort Ein Fuß kommt selten allein ist ein Wonneproppen der Leichtigkeit.

Das war zuletzt nicht immer der Fall. Genau genommen waren Boerne (Jan Josef Liefers) und der verlässlich dicker werdende Kommissar Thiel (Axel Prahl) seit "Tatort - Summ, Summ, Summ" nicht mehr so gut, und das ist drei Jahre her.

Worum geht's? Um menschliche Überreste sowie um den deutschen Tanzsport. Der ist bekanntlich, RTL sei Dank, wieder schwer populär geworden. Der Tatort hätte ohne Weiteres "Let's Dance" heißen können.

Das Skelett einer Tänzerin

Der Reihe nach: Im Wald, der in Münster niemals grün und tief ist, sondern schütter belaubt und nahe einer Bundesstraße gelegen, wird ein Skelett gefunden. Auf schlüpfrigem Untergrund sind ermittelnd im Einsatz: Thiel und Alberich, die zu diesem Zwecke – Arbeit geht vor - noch nicht einmal ihren Verdienstorden hat ablegen können. Den um eines kleinen Gags willen ahnungslosen Thiel belehrt sie, es handle sich um "eine Leiche mit gebärfreudigem Becken".

Bei der Identifizierung hilft das Gebiss, "schwedisches Implantat", aber mehr noch sind die Füße ein unmissverständlicher Hinweis: derart deformiert und von gewesenen Verletzungen gezeichnet, das kann doch nur der Fuß einer Tänzerin sein! Klar.

Denn zufällig halten wir uns gerade, das ist einer der Taschenspielertricks der Drehbuchautoren Stefan Cantz und Jan Hinter, die schon manche Münster-Folge, darunter die allererste im Jahr 2002, geschrieben haben, im Tanzsportmilieu auf. So eine Story kann wie gewürfelt wirken. Und weil die Würfel in diesem Fall nicht ganz übel gefallen sind, ist auch die Story nicht gang übel. So wie man über manche Leute sagt, sie seien "vor lauter Hässlichkeit schön", ist diese Story "vor lauter Unmöglichkeit logisch".

Staatsanwältin Klemm (Mechthild Grossmann) will auf ihre alten Tage noch mal richtig tanzen. Zu diesem Zweck grapscht sie sich Boerne als Partner. Zum Tanzlehrer avanciert der Präsident des Tanzclubs, Dr. Steul (Thomas Heinze), der zufällig auch Münsters einziger Orthopäde ist, weswegen sich Thiel mit dem deformierten Frauenleichenfuß an Dr. Steul wendet, und der in einer Weise rumdruckst, dass selbst dem oberbayerischen Zuschauer klar wird: Der Kerl weiß mehr …

Klingt doof, ist doof, ist aber von allen Beteiligten derart gut gespielt, dass es gar nicht doof genug sein kann. Die Münster-Belegschaft mag ihren Tatort nicht gar so unterkühlt cool runterspielen, wie zuletzt Nora Tschirner und Christian Ulmen in Weimar ihre Folge "Der treue Roy". Aber schauspielerisch sind Liefers und Prahl denn doch von anderem Kaliber, von Alberich (Christine Urspruch) und Vaddern Thiel (Claus D. Clausnitzer) in ihren tragenden Nebenrollen zu schweigen. Letzterer, Vaddern Thiel, tapert auf seine Art durch den Leichenwald, immer einem kleinen Sinnenrausch nachjagend, und findet prompt die zweifelhaftesten Pilze, die ihn "lilafarbene Tage" erleben lassen.

Tanzen ist kein Spaß

Und der Tanzsport? Nach diesem Tatort wissen wir, für den Erfolg geht man über Leichen. Schon gleich zu Anfang werden wir, die Zuschauer, belehrt: "Tanzen ist kein Spaß." Schlimmer noch: "Wenn wir den Aufstieg nicht schaffen, begehen wir kollektiven Selbstmord." Sagt Dr. Steul, der Orthopäde, und meint das nur halb im Scherz.

Wenn Trainer Andreas (Max von Pufendorf) seine Leute nach einer harten Übungseinheit anspornt, klingt das so: "Eigentlich schon ganz gut …". Pause. Um dann zu brüllen: "Aber das reicht eben nicht!"

Klemm und Boerne wirken unterdessen – sie üben Tango – wie Ginger Rogers und Fred Astaire, allerdings in der Karikatur des "Ginger und Fred"-Films von Federico Fellini. Das war ein bitterer Film, damals, 1986.

In Münster 2016 wird uns die Light-Version geboten. Tanzsport als komische Nummer. Polizeiarbeit als komische Nummer. Pilze suchen erst recht. Und dann auch noch Udo, der Goldfisch, der jedes Passwort knackt.

Beste Unterhaltung.

 

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