Die NS-Justiz: Recht des Unrechts
19.09.2023 • 20:15 - 22:00 Uhr
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Originaltitel
Les tribunaux d'Hitler
Produktionsland
F
Produktionsdatum
2023
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Karrieristen und Kameraden

Von Wilfried Geldner

Richter und Staatsanwälte standen an vorderster Front, als es in der Zeit des Nationalsozialismus um die Zerstörung der traditionellen Rechtsordnung ging. Eine ARTE-Dokumentation zeigt den Werdegang der Nazi-Justiz von deren Anfängen bis zu ihrem Ende anhand von Befürwortern und Gegnern.

Beabsichtigt war die "Gleichschaltung" aller Volksgenossen, gefordert wurde von den Nationalsozialisten während des Dritten Reichs absolute Gefolgschaft. Mit immer wieder neuen Gesetzen und neu installierten Sondergerichten wurden unter anderem 16.000 Todesurteile von bürgerlichen Gerichten gefällt, weitere 30.000 von Militärgerichten. Die groß angelegte ARTE-Dokumentation "Die NS-Justiz: Recht des Unrechts" zeigt die Entwicklung in jener Zeit und bezieht dabei die Porträts von vier Zeitgenossen, von Befürwortern und Gegnern der Nazis, ein.

Es ist viel, was einem da die Autoren Jean-Marie Barrere und Marie-Pierre Camus (ARTE France, 2023) da um die Ohren hauen, mithilfe kompetenter Experten wie Historiker und Juristen. Anschaulich zeigen sie die Chronik des werdenden Unrechtsstaates und stellen ihr die Porträts von vier Betroffenen zur Seite. Unter anderem von NS-Gegnern wie dem Rechtsanwalt Hans Litten oder der jungen Gerichtsreferendarin Elisabeth "Lilo" Gloeden, die gemeinsam mit Litten studierte und dabei war, als er in einem Berliner Prozess gegen SA-Männer Hitler die Maske vom Gesicht reißen wollte, um ihn als Vernichter des Rechtsstaats zu decouvrieren. Auf der Gegenseite stand der hochrangige NS-Jurist und Polizeichef Werner Best, der maßgeblich an der Etablierung des juristischen Unrechts beteiligt war. Dazu kommt der Münchner Scharfrichter Johann Reichhart, der im Dritten Reich über 3.000 Todesurteile vollstreckte. Den Autoren gelang mit Reichharts Werdegang vom Arbeitslosen bis hin zum immer wieder angefragten Scharfrichter ein schauervolles Zeitporträt. Zuletzt tauchte Reichhart sogar bei den Nürnberger Prozessen als Vollstrecker auf Seiten eines neu etablierten Rechts wieder auf,

Die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Justiz hat erst begonnen

Zwischen allen zeitgeschichtlichen Archivbildern – ein Unrechtsgesetz folgte nach der "Machtergreifung" auf das andere, der Polizeigewalt wurde mit "Schutzhaftbefehlen" Tür und Tor geöffnet – wirken vor allem die gezielten Anstrengungen, junge Juristen als "Soldaten des Rechts" früh in die NS-Organisation einzubinden, verblüffend. So wurden Studenten in einem achtwöchigen Trainingslager in Jüterborg körperlich und ideologisch auf die Kameradschaft "in freier Natur" hin gedrillt. Studentenverbindungen, in denen Juristen in der Überzahl waren, hatten die gleiche Funktion. Im Film wird der Journalist Sebastian Haffner mit der Bemerkung zitiert: "Kameradschaft nimmt dem Menschen die Verantwortung vor sich selbst und seinem Gewissen ab." Man tue einfach das, was alle tun.

Erstaunlich, wie genau das alles Fritz Lang in seinem Film von 1931, "M – eine Stadt sucht einen Mörder", vorausgesehen hat. Roland Freisler wurde als Volksgerichtshof-Präsident bei den Nachkommenden berühmt, ein Synonym geradezu für Unrechtsprechung. Gustav Gründgens im Film in der Rolle des Volkstribunen mit Freisler gleichzusetzen, ist eine schlüssige Parallele, die wohl nur französischen Cineasten einfallen kann. Nicht ganz so augenscheinlich hingegen die Schlusspointe, wenn ein jüdischer amerikanischer Bomberpilot an der Spitze seines Geschwaders Bomben über Berlin abwirft, deren eine möglicherweise am 3. Februar 1945 den Blutrichter Roland Freisler traf. Dass Nazirichter nach Kriegsende bald wieder in Stellung kamen und kein einziger von ihnen rechtskräftig verurteilt wurde, wäre Stoff für einen anderen Film. Die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Justiz hat ohnehin erst jüngst begonnen.

Die NS-Justiz: Recht des Unrechts – Di. 19.09. – ARTE: 20.15 Uhr


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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