Zusammen mit der philippinischen Journalistin Maria Ressa bekam Dmitri Muratow, der Chefredakteur der russischen Tageszeitung Nowaja Gaseta, im Dezember 2021 den Nobelpreis wegen seines unermüdlichen Einsatzes für die Pressefreiheit. Doch die Nowaja Gaseta wurde inzwischen eingestellt.
262 unabhängige Medien wurden bereits vor Putins Angriff auf die Ukraine verboten, etwa 140 Journalisten wurden wegen ihrer Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine als westliche "Agenten" verleumdet und des Verrats bezichtigt. 15 Jahre Gefängnis unter erschwerter Bedingung stehen darauf. Aber es gab auch Morde und Giftanschläge auf die ins Ausland Emigrierten. Der britische Journalist Patrick Forbes porträtiert in der ARTE-Koproduktion den Chefredakteur und Herausgeber der unabhängigen russischen Tageszeitung Nowaja Gaseta, Dmitri Muratow, Sein Film zeigt einen unbeugsamen 61-Jährigen, der seinen Kampf für Russland und die Pressefreiheit nicht aufgeben will.
Auch, wenn Forbes' Film weitgehend um die Verleihung des Friedensnobelpreises an Muratow im Dezember 2021 und das darauf folgende Krisenjahr kreist, bleibt seine Dokumentation aktuell. Sie zeigt den Journalisten als einen Tatmenschen, der seit der Gründung seiner Zeitung – zusammen mit Gorbatschow – immer wieder für Mitarbeiter eingetreten ist – auch warnend, bevor sie ihren Mut mit dem Tod bezahlten. Sechs seiner Mitarbeiter wurden seit der Gründung der Zeitung 1993 getötet. Er selbst entging im April 2022 einem Säureanschlag. Kurz vor der Abfahrt seines Zuges wurde er mit einer ätzenden, übel riechenden Masse übergossen, die Bindegewebe beider Augen wurden dabei verletzt. Der Attentäter, den er noch am Tatort zur Rede stellen konnte, stellte sich als Angehöriger einer dem Geheimdienst zuarbeitenden Veteranenvereinigung heraus.
Muratow zeigt sich im Film als Mann klarer Worte. Das größte Unglück, so sagt er, sei es, wenn die mit Propaganda überzogenen Menschen nicht einmal mehr bemerkten, dass sie Opfer der Propaganda geworden seien. In der Moskauer Redaktion hingen die Fotos von sechs ermordeten Journalisten über dem Konferenztisch. Inzwischen holt Muratow immer wieder gefährdete Journalisten aus Russland heraus.
In Riga sprach er darüber im Geheimen mit dem lettischen Außenminister und Präsidenten. Manche seiner Sätze sind gewagt. "Die Welt findet keinen Gefallen mehr an der Demokratie. Sie hat sich den Diktatoren zugewandt", ist eine seiner in einer Uno-Rede vertretenen Thesen. Einen Atomeinsatz Putins hält er für nicht ausgeschlossen.
Am 28. März 2022, einen Monat nach dem Überfall auf die Ukraine, setzen sie in Moskau die Arbeit der Zeitung nach mehreren Verwarnungen und zahlreichen Bußgeldern aus. "Es wird uns irgendwann wieder geben", sagt Muratow zum Autor des Films und beschließt mit ihm eine Wette: Er will seine Nobelpreis-Medaille für Unicef versteigern lassen. Wird sie mehr als eine Million für die Kinder der Ukraine erbringen? Tatsächlich werden es dann 103,5 Millionen US-Dollar. Ein gelungener Coup, der Muratow einmal mehr die Aufmerksamkeit der Welt erbringt.
In Moskau feiern sie nochmals einmal ein Fest, den 29. Geburtstag der Zeitung. In Riga wird wenig später die Nowaja Gaseta Europa erscheinen. 5.000 Exemplare, eher eine Exilzeitschrift als eine Zeitung, aber hoffentlich mit vielen Followern im Internet. "Ich glaube, für Muratow ist es eine Tragödie, eine persönliche Niederlage", sagt der neue Chefredakteur. Aber Muratow kämpft weiter, er tritt vor der Uno und anderen Organisationen für die Pressefreiheit ein, er erinnert an die ermordeten Kollegen und steht den lebenden zur Seite.
Russland: Der Wahrheit verpflichtet – Di. 26.09. – ARTE: 20.15 Uhr