17.05.2022 Arzt-Kolumne

Allergien: Wie viel Dreck brauchen Kinder?

Von Heinz-Wilhelm Esser
Dr. med. Heinz-Wilhelm Esser ist Oberarzt und Facharzt für Innere Medizin, Pneumologie und Kardiologie am Sana-Klinikum Remscheid und bekannt als "Doc Esser" in TV und Hörfunk sowie als Buchautor.
Dr. med. Heinz-Wilhelm Esser ist Oberarzt und Facharzt für Innere Medizin, Pneumologie und Kardiologie am Sana-Klinikum Remscheid und bekannt als "Doc Esser" in TV und Hörfunk sowie als Buchautor. Fotoquelle: WDR/Herby Sachs

"Bei einem Besuch eines Spielplatzes mit meinen Kindern bemerkte ich eine junge Mutter, die ihrem dreijährigen Sohn hinterherlief und ihm ständig die Hände von Sand und Erde säuberte und desinfizierte. Ich kam mit ihr ins Gespräch und fragte sie: "Was bereitet Ihnen denn solche Sorgen, wenn Ihr Kind mit Dreck in Kontakt kommt?". Sie antwortete mir: "Ich will meinen Sohn vor den Keimen, Bakterien und Viren schützen, die sich in dem Dreck befinden." "Wissen Sie denn, wie gefährlich Schmutz, Dreck und Staub, denen Kinder täglich ausgesetzt sind, wirklich sind?", fragte ich sie und erklärte ihr die sogenannte "Bauernhof-Hypothese".

Diese besagt, dass Bauernhofkinder besonders selten an Allergien leiden. Durch den häufigen Kontakt mit Keimen wird das noch junge Immunsystem von Kindern trainiert. Es stuft diese Keime zukünftig als harmlos ein, sodass es nicht zu Allergien oder gar einem allergischen Asthma kommt. Das bestätigt auch eine Studie, die mit Bauernhof-Kindern in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Finnland und Frankreich durchgeführt wurde. Sie zeigt, dass nur fünf Prozent der Menschen, die von Kindheit an auf einem Bauernhof lebten, eine Allergie entwickelten. Bei Stadtkindern war das Risiko doppelt so hoch.

In einer anderen Studie aus Finnland verglichen Wissenschaftler Staub in Bauerhäusern und Staub in Stadtwohnungen. Kleinkinder, die noch im Krabbelstadium sind, sind dem Staub natürlicherweise mehr ausgesetzt und nehmen die Mikroorganismen über Atemwege, Haut und Mund auf. Je mehr der Staub der Stadtwohnungen in seiner Zusammensetzung dem Staub der Bauernhöfe ähnelte, desto weniger erkrankten die dort lebenden Kinder an Allergien und Asthma.

Dieser Effekt wurde auch bei Familien nachgewiesen, die die Straßenschuhe in der Wohnung anbehielten oder aufbewahrten. Auch hier erkrankten die Kinder seltener an Allergien und allergischem Asthma. Damit möchte ich Sie nicht auffordern, Ihre Wohnung zu verschmutzen oder Ihren Kindern den Zugang zu Wasser und Seife zu verwehren. Aber eine übertriebene Hygiene ist nicht angebracht. Der Mutter des Dreijährigen riet ich: "Haben Sie keine übertriebene Angst vor Schmutz und sorgen Sie dafür, dass Ihre Kinder viel im Garten, Wald oder Park spielen."

Das könnte Sie auch interessieren