21.02.2023 Arzt-Kolumne

Mit Placebos Schmerzen lindern

Professor Ulrike Bingel ist Neurologin und Leiterin des Zentrums für Schmerzmedizin der Universitätsmedizin Essen sowie Sprecherin des Sonderforschungsbereichs „Treatment Expectation“.
Professor Ulrike Bingel ist Neurologin und Leiterin des Zentrums für Schmerzmedizin der Universitätsmedizin Essen sowie Sprecherin des Sonderforschungsbereichs „Treatment Expectation“. Fotoquelle: Universitätsmedizin Essen

Medikamente ohne Wirkstoff: Was zunächst wie ein Widerspruch klingt, wird seit Jahrzehnten erforscht und kann unter anderem Nebenwirkungen reduzieren und Schmerzen lindern. Wie genau das funktioniert, erklärt eine bekannte Placebo-Forscherin.

„Behandeln Sie meine Schmerzen jetzt auch mit Placebos?“ Diese Frage stellte mir eine 43-jährige Schmerzpatientin vor wenigen Wochen. Das wollen in der Tat häufiger Patienten von mir wissen, wenn sie erfahren, dass ich eine bekannte Placeboforscherin bin. Ich antwortete ihr mit „Nein“, wie in den allermeisten Fällen und erklärte dann, warum der Placeboeffekt dennoch wirkt: „Wir wissen, dass Placeboeffekte die Wirkung von Schmerzmedikamenten enorm verstärken, aber auch zum Beispiel Nebenwirkungen von Medikamenten deutlich abschwächen können.“

Placebos ist der Name für „Scheinmedikamente“, die keinen Wirkstoff enthalten. In der Forschung sind sie hilfreiche Werkzeuge, um Erwartungseffekte zu nutzen. Meist staunen Patientinnen und Patienten, wenn ich ihnen erkläre, dass sie selbst mit ihrer eigenen Erwartungshaltung den Placeboeffekt bewirken. Auch ohne Placebos. Unsere Erwartungen können körperliche Symptome, den Verlauf einer Erkrankung und den Erfolg einer Therapie beeinflussen: Wenn ein Kopfschmerzpatient durch eine Tablette schon Linderung verspürt, bevor der Wirkstoff in den Blutkreislauf gelangt sein kann, stammt der Effekt unter Umständen zum Großteil von der erlernten Erwartung, dass Schmerztabletten eben Schmerzen stillen. Erwartungen basieren auf Erfahrungen, die wir gemacht haben, auf der generellen Einstellung zu medizinischen Prozeduren und auch auf unserer Persönlichkeit. Erfahrungen und Erzählungen von Freunden und Informationen aus den Medien spielen ebenso eine Rolle.

Erwartungseffekte beruhen auf komplexen psycho-neurobiologischen Vorgängen im Gehirn. Allein der Glaube an die Wirksamkeit einer Therapie kann nachweislich bestimmte Areale im Gehirn aktivieren. Gerade in der Schmerztherapie ist der Mechanismus dieser „körpereigenen Apotheke“ besonders gut erforscht: Die Erwartung des Patienten, dass die Einnahme eines Medikaments Schmerzen lindern wird, führt im Gehirn zur Ausschüttung schmerzlindernder Substanzen, sogenannter körpereigener Opioide, die sogar die Weiterleitung des Schmerzreizes im Rückenmark verändern können. Dadurch lassen die Schmerzen nach, obwohl der Patient gar kein Opioid-Schmerzmittel eingenommen hat. Im klinischen Alltag möchten wir nicht Placebos, sondern die schmerzlindernden Effekte einer günstigen Behandlungserwartung als eine Art Wirkverstärker von etablierten Therapien einsetzen. Immerhin leiden 17 Prozent der Deutschen, also zwölf Millionen Menschen, an chronischen langanhaltenden Schmerzen.

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